nehme, schon um der hodchst achtbaren Krafte und Talente wil-
len, die sich ihr gewidmet haben, nicht umgehen. Sie war in
dem nationalen Zustande, aus dem unsere Genremalerei ihren
Ursprung genommen hat, nicht begriindet. Als die Reformation
in Holland und den Niederlanden Wurzel gefasst hatte, war es
das kunstsinnige Volk dieses Landes, welches darauf verfiel, die
volle Behaglichkeit der Existenz, die es sich tapfer erstritten
hatte, die ganze Eigenthimlichkeit dieses Lebens, bis in seine
alltaglichsten Gestaltungen hinein, keck und fréhlich auf der Lein-
wand zu wiederholen. Dieser Zustand hat fiir die spitere Genre-
malerei vornehmlich den Character und Ton angegeben. Sind
nun heutiges Tages in dem gesellschaftlichen Leben schwer zu
lésende Probleme, trtibende Misssténde und soziale Schaden zu
Tage getreten, so ist es sehr erklarlich, dass auch dieses sich
in das heitere Gebiet der Kunst ein- und sich diesem und je-
nem Kiinstler als Stoff fiir seine Darstellung aufdringt. Somit
erscheinen solche Darstellungen historisch berechtigt und méch-
ten als kulturgeschichtliche Schilderungen einen Anhang fir die
Historienmalerei unserer Zeit bilden. Allein andrerseits pflegt
die Ausfihrung dieser Stoffe stets von der Art zu sein, dass
sie, auf eine unbefangene Schilderung der Zustande und eine
rein kiinstlerische Wirkung verzichtend, sich eine bestimmte,
weitergreifende, anderweitige Wirkung, einen andern Zweck
zur Aufgabe stellt. Kleidet sich dieser Zweck wieder auf eine
meisterhafte Art in die kiinstlerische Ausdrucksform der Satyre
so lassen wir das gelten, auch vermag wohl eine meisterhafte
Durchfihrung den Unbefangenen selbst da Interesse abzuge-
winnen, wo in den Zeithildern der krasse Ausdruck der extre-
men Parteien zu Tage gelegt ist; allein es giebt noch andere
Zweckbilder, bei denen selbst die gliicklichste Technik nicht iiber
den Inhalt trésten kann: — die Darstellungen des Elends. Wir
nennen sie Zweckbilder, weil ihr Zusammenhang mit dem jetzt
so vielfach besprochenen Zustande des Proletariats der Gesell-
schaft auf der Hand liegt und weil sie, um allgemein -giltig
zu werden, — wir diirfen sagen, um wahr zu werden — das
verséhnende Element ausschliessen oder nicht veranschauli-
chen kénnen, welches wir als éin unerlissliches Moment kinst-
	lerischer Produktionen von erschiitterndem und ergreifendem .
	Inhalte anerkennen mtissen. Wiederum erlauben wir uns einen
Hinblick auf die Schwesterkunst, die Poesie. Warum verzeihen
wir den Dichtern nun durchaus nicht, wenn sie den tragischen
Begebenheiten, der voriihergehenden Erschiitterung keinen ver-
sdhnenden Schluss geben? Und ihr Maler wollt die herzzer-
reissendsten Momente aus dem menschlichen Leben, die jeder
Fihlende aufzuheben strebt, wo er ihnen nur begegnet, ihr
wolll sie dauernd auf der Leinewand befestigen? Fiir manche
Zwecke mégen solche Werke eine entschiedene Wirkung her-
vorbringen. Haben wir doch neulich No. 21, S. 168 in dem
Kunstvereinsbericht aus Gotha gelesen, dass die ,schlesischen
Weber, von Hibner* eine dabei aufgestellte Biichse bald mit
einer namhafien Summe anfillten. Aber Zweck und Wirkung
sind hier nicht mehr vorwiegend kinstlerisch. Denn die Kunst
will in jedem ihrer Werke einen substantiellen Inhalt, das Gétt-
liche, das rein Menschliche zur Anschauung gebracht sehen,
steht aber ab von der prosaischen, zufalligen Wirklichkeit, na-
mentlich aber da, wo diese aufhdrt schén zu sein. Wenden
wir diese Bemerkungen zunichst auf das Werk eines jungen,
hochst talentvollen und begabten Kiinstlers an, auf , den letzten
Segen* von Julius Rider, so liegt allerdings in der Situa~
lion, dass ein sterbender Vater seine zuriickbleibenden Kinder
segnet, dieser rein menschliche, der kiinsUlerischen Gestallung
fahige Inhalt, aber das Grassliche der zufalligen begleitenden
Umstande, dass namlich die Scene in einer dden Dachkammer
spielt, in der das dusserste Elend in den grellsten Zigen zu
	Tage liegt, dieses tritt mit einer so entsetzlichen Gewalt in den
Vordergrund, dass es den eigentlichen Inhalt des Bildes aus-
macht und dass die segnende Bewegung des Sterbenden, zumal
sich die Kinder der trostlosesten Verzweiflung hingeben, ganz
libersehen wird. Aus unbegreiflicher Lust an der Schilderung
des Jammers, wird der Kinstler unwahr, indem er dem jugend-
lichen Alter eine Tiefe der Empfindung beilegt, die es nur dun-
kel oder momentan haben kann, Mit blutendem Herzen gesteht
man dem Kiinstler zu, dass er eine ungemeine Kraft der Dar-
stellung und eine hohe technische Gewandtheit entfaltet hat.

Welch einen Gegensatz bilden dazu Eduard Meyerheim’s
Dorfgeschichten. Denn so kann man die anmuthigen und hei-
tern Schépfungen dieses Kiinstlers nennen. Es ist ja hinrei-
chend bekannt, welch eine Fille der bezauberndsten harmlos-
gliicklichen Scenen der fleissige Idyllenmaler schon hervorge-
bracht hat. Und immer noch tiberrascht er durch neue Situa-
tionen, die er dem einfachen Dorfleben abgelauscht hat. Sei-
nem Auge ist der innerste Kern des Volksherzens geéffnet; das,
was ewig wahr und schén ist, erkennt er mit klarem Blick und
weiss es mit unermiidlichem Fleisse zu sammeln und mit stiller
Liebe zu veranschéilichen. Sind seine Bilder darum so anzie¢-
hend, weil er uns etwa angenehme Tréume vorgaukelt und eine
fremde schéne Welt aufdeckt? Nein, sie sind es, weil er uns
zuerst tiberzeugt, dass die Dinge wirklich so sind, wie er sie
malt, und uns dann iiberrascht erkennen lasst, dass ihr eigent-
licher Inhalt ein so schéner und poetischer sei. Er ist der
Schatzheber des sittlich Reinen und menschlich Echten, das die
dunkle und unbekannte Geschichte einfacher Menschen und Le-
bensverhialinisse durchwaltet, sei es, dass die Kinder um den
grossen Baum spielen, sei es, dass man yon der Feldarbeit
heimkehrt oder dass die Familie sich von ihr in der Feier-
stunde ausruht.

Wic Meyerheim im Dorfe, so ist Rudolf Jordan unter
den Lootsen und Fischern zu Hause. Auch er hat sich in seine
Sphare ganz hineingelebt; auch er bleibt tiberall in derselben
der echte, fein beobachtende und mit schlagender Wahrheit
wiedergebende Kunstler. Es ist zum Erstaunen, wie auch er
immer noch eine neue Scite, ein noch nicht ausgebeutetes Ver-
haltniss aufzufinden weiss. , Die gliicklichen Alten“, ein Sonn-
tagnachmittagstiindchen in der reinlichen Hiitte, und , die Liige*,
ein Stiick Padagogik, geben diesmal davon Zeugniss. Jordan’s
Darstellungsweise ist kraftig und gediegen.

Wilhelm Meyerheim, der das bewegtere Leben dar-
zustellen und in seiner drolligen Derbheit aufzufassen liebt, lie-
ferte unter den sieben Bildern, die er ausstellte, drei sehr
wohigelungene und charakteristische Lager- und Schlachtsce-
nen aus dem schleswigschen Kriege des Jahres 1848.

Elisabeth Jerichow-Baumann aus Kopenhagen hat
ein Genrebild in kolossalen Dimensionen: ,,ltatienische Frauen
am Brunnen* eingesandt. Es liegt ein gewisser Muth fir eine
Dame darin, sich an eine so grosse Leinewand zu wagen. Der
Gegenstand liegt freilich innerhalb der Grenzen, in denen sich
das weibliche Geschlecht zur Theilnahme an der Arbeit der
Manner bewegen darf. Allein, so sehr das Bild in Bezug auf
die Ausfihrung durch eine mannlich kraftige Pinselfihrung un-
terstiitzt worden ist, so will uns doch der Einfall, ein Genre-
bild in so grosser, anspruchsvoller Ausdehnung zu malen, nicht
recht gefallen. ,,Wo soll das ein Unterkommen finden?“ hérten
wir eine Beschauerin nicht mit Unrecht fragen. Ein ungewohn~
liches Talent legt sich alterdings mit grosser Sicherheit und
Keckheit in dieser Arbeit dar; allein es ist uns, als ob ein ge-
wisser Ucbermuth dieser Sicherheit durchblickt, dem nicht al-
lein die Kolossalitat der Gestalten anzugehéren scheint, son-
	dern der auch gelegentlich vor der Linie des Unschonen nicht
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