Dewildhes Aeitung fir bildende Kunst und Baukunst. der deutSchen Kunstvereine, Unter Mitwirkung von Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Disseldorf — Schnaase in Berlin — Schulz in Dresden — FOGrster in Minchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien redigirt von Dr. FE. Eggers in Berlin. Montag, den 24. Лил. Die Bildwerke der diesjahrigen Berliner Kunstaussteliung. Seit einiger Zeit ist es Sille geworden, der Plastik den Tod, oder wenigstens eine bedenkliche Schwindsucht zu weis- sagen. Die Kunstrichter, die mit diesem etwas zweifelhaften second sight begabt sind, haben Griinde genug angefiihrt, Griinde »Wie die Brombeeren.“ So lasst doch héren. Vor allem sagen sie, das Christenthum habe die Geister mit so viel Innerlichkeit getrankt, dass die Mittel der Plastik nicht ausreichten, diesen Durst nach Innerlichem zu stillen. Der Grund scheint unantast- bar, weil es ein frommer Grund ist. Aber so lange die mit elwas heidnischeren Sinnen Begabten den ewigen Namen Goethe’s auf ihrer Seite haben, wird ihr Widerspruch gegen diesen Grund freilich eine Ketzerei sein, aber nur eine Ketzerei gegen den alleinseligmachenden Glauben jener Kunstrichter. Ferner aber: Es habe das Christenthum und das Klima den Menschen Hosen angezogen und Brust und Briiste sorglicher verhiillt. Wer also nackte Leiber meissele, begehe -—— nun was? etwa mehr, als einen Versioss gegen die Kleiderordnung? mehr, als einen lie- benswiirdigen Anachronismus? mehr, als eine Schadenfreude ge- gen das Klima, das wir auf diesem Gebiet auslachen kénnen? Wir fingen den Satz im Geiste der Kunstrichter an, und sind nun in Verlegenheit, wie sie ihn endigen wirden. Denn wenn sie im Ernst behaupten wollten, damit sei ein Verstoss gegen die Sittlichkeit begangen, wiirden sie sich folgerecht die anti- ken Museen verschliessen miissen. Das werden sie freilich nicht, aber nun sagen sie: Wie wollt ihr aus der wohleingewickelten nordischen Gesellschaft Stoff an Situationen nackter Gestalten entnehmen, ohne der Sitte und Art dieser Gesellschaft Zwang anzuthun? — Wir erwiedern einfach, dass ein wohlgebildetes Menschengewichs, frei von der Convention des Gewandes, ein késtlicher Augentrost ist, gerade fiir ein Geschlecht, das diese Schau nur sellen geniesst, und dass es der heutigen Plastik so- gar leichter wird, 2u entziicken, als jener erloschenen, die zu Zeiten blihte, wo dieser Kuchen Brod war. Denn wir begeh- ren gar nicht, den Gott zu schauen; wir sind mit einem schonen Menschen zufrieden, und thate er nichts, als sich den Dorn aus- ziehn, den er sich beim Bade in den schlanken Fuss getreten hat. Ich weiss es wohl, sie zucken die Achseln. Das heisse dic Kunst gedankenlos machen, wenn man ihr einréume, mit leeren Formen zu prunken. Wir scien Gottlob! so weit, dass die Personlichkeit emancipirt 5е1, ипа о. сшоеп ипзеге отоззеп Рег- sonlichkeiten so luftig einher, wie die Alkibiades und Alkinous und besonders die olympischen Gétter! Demnach midge die Pla- stik immerhin noch eine Weile mit ihren schmucken Leibern kommen, bis davon Vorrath in allen erdenklichen Stellungen sei, aber Bedeutung werde sie nimmer erlangen und national sei sie schon lange nicht mehr, denn auch ihr monumentaler Zweig (den man allenfalls noch gelten lassen méchte) werde von den pariser Schneidern Jahr fiir Jahr mehr gemisshandelt. У haben sie ausreden lassen, obwohl es uns und vicl- leicht auch unsern Lesern etwas lang vorkam, aber die Héflich- keit verlangt’ es einmal. Um so kiirzer wird unsere Antwort sein, naimlich gar keine. Wir fiihren sie einfach vor das Dra- ke’sche Monument Friedrich Wilhelms III im Thiergarten. Wenn sie hier noch von Gedankenlosigkeit, Mangel an Bedeutung und nationalem Werth und wie ihre Stichworte heissen, zu fragen fortfahren, so wird unsere Antwort noch ktirzer sein, namlich — dass wir sie stehn lassen. Es scheint seltsam, an die Spilze des Berichts iiber eine Kunstausstellung ein Werk zu stellen, das sich auf dieser Aus~ stellung nicht befindet. Indessen denken wir nicht, Drake’s Ver- dienst hier zu beurtheilen. Denn obgleich ein unverholenes уоПез Lob einem Kritiker erfreulich zu schreiben und dem Kinst- ler unstreitig noch erfreulicher zu lesen ist, so ist doch der Chor der Bewunderer hier zu vollstimmig, als dass es auf einc Stimme mehr ankime. Uns aber ist das Werk insofern wichtig, als es die beiden Seiten oder Richtungen der Plastik vereinigt, das Monumentale und. das Rein-Aesthetische, das Historische und das Poetische, Richtungen die mit wenigen Ausnahmen sich auch aiusserlich verschieden darthun als die Plastik der Gewandung und des Nackten. Das Zahlen-Verhaltniss dieser zwei Seiten, die wohl noch selten in Einem Kunstwerk sich so herrlich zusammengefiigt haben, ist im allgemeinen schwer zu bestimmen. Erfreulich aber scheint uns, dass die diesjahrige Ausstellung, der Ungunst der Zeiten ungeachtet, noch so viel Werke aufzuzeigen hat, dic aus der reinen Formenseligkeit, aus jener obenerwalinten Freude am schénen Menschenleib hervorgegangen sind, die doch im Grunde dieser Kunst ihren eigenthimlichen Reiz der Schwester- kunst gegentiber sichert. Das Reich, aus dem Drake die Fiille seiner Motive ge- —gchépft hat, scheint uns allerdings heutzutage das gelobte Land der Bildhauer zu sein. (Man шас е5$ „14уШзсвез бепге“ пеп- 95