194 aus eine Gruppe zurecht baut, der Schdnheit und Wahrheit zu~- gleich vor den Kopf stésst. Das mangelhafte Durchdenken des Lebens, diese Tragheit der umsuchenden Phantasie tragt die Schuld, dass das ganze Gebiet des Genre so diirftig angebaut ist. Denn dass die Phan- tasie den Bildhauern iiberhaupt ausgestorben sei, ist Gottlob! erlogen. Sie liegt nur in einem dumpfen Halbschlummer, bis die Allegorie kommt und sic riittelt. Und dann greift sie mit den noch schlafirunkenen Augen oft nach dem Allerver- kehrtesten. Allegorie, sagten wir. Die Kiinstlichkeit, mit der die mo- derne Bildung auf ihre Licher die buntfarbigsten Lappen ge- flickt hat, hat es zu verantworten, wenn wir fiir eine ganze Klasse von Kunstwerken keinen schlagenderen Namen zu finden wissen. Wir leben nicht mehr in den glicklichen Zeiten, wo die Religion dem einfachsten Menschen einen Katechismus der Kunst-Symbolik an die Hand gab, wo es nur darauf ankam, bei neuen Schépfungen die alten Zeichen verstandig zu com- biniren, um verstindlich zu sein. Aus einem halben Dutzend Mythologien sind uns einige Dutzend Gestalten und Attribute geliulig geworden, dem einen diese, dem andern jene, und es “ist ein eben so grosser Zufall, wenn ein symbolisirendes Bild- werk verstanden wird, als wenn zwei Menschen, die von der- selben Sprache jeder einige Brocken aufgefischt haben, zufallig dieselben Brocken erhaschten. Denn eine Sprache ist allerdings die Symbolik, aber heut- zutage oft die Sprache Talleyrands, die dazu dient, Gedanken zu verbergen. Oder hatte der Freiherr von Printz sich uns verstandlich machen kénnen ohne den Dolmetscherdienst des Katalogs? Das eine seiner beiden runden Basreliefs stellt eine Schaar spielender Kinder dar, die in der Luft neben einander schweben. Zwei zornige Biirschchen balgen sich wacker ab und werden yon einem weiblichen Genius, der mit seinem un- thatigen mannlichen Geféhrten die Kinder beaufsichtigt, zur Ruhe gewiesen. — ,,Und das findet man undeutlich? Nichts ist klarer, als dass dieses Bild tiber der Pforte einer Anstalt fiir verwahr- los’te Kinder, oder auch einer blossen Kleinkinderbewahranstalt aufgestellt werden soll. Und wenn das nicht, so wird es irgend einem Gymnasium zur Zierde dienen, und der Jiingling neben dem weiblichen Wesen deutet auf den Director, der sich auf den Genius der Pidagogik stiilzt.~ — Aber das zweite Relief, das augenscheinlich den Gegensatz bilden soll, drei Reiter mit wilden Geberden und Fackeln? — ,Nun? und das ware ver- _ wickelter zu lésen? Wer begreift nicht, dass es die bésen Fol- gen der Nachlassigkeit darstellt, mit der manche Eltern ihre Kinder nicht zur Schule halten. Da wachsen sie denn zu wil- den Rangen auf, die Mordbrennereien treiben und den ganzen Tag auf dem Pferde Неоеп.“ — Gut. Das gabe Alles einen leidlichen Sinn. Aber wie tibersetzt nun der dolmetschende Ka- talog diese doppelsinnige Sprache? Er sagt: Zwei Basreliefs, Krieg und Frieden darstellend. Haben wir uns nun unserer prosaischen Deutung zu schimen, oder muss Herr von Printz roth werden? Wir entscheiden hier nicht, weil wir Partei sind. Aber so viel wissen wir, dass die Rathsel schlecht sind, die doppelte Lésung aulasscn. Und hier hat der Kunstler nichts ge- than, um uns gleich von vorn herein auf die poetischere zu bringen, auch in der Ausfihrung nicht, denn die Kinder sind nicht bless im Scherz verwahrlos’t zu nennen, und cin seltsam mohrenhafter Typus ist allen Gesichtern eigen. Ferner aber diinkt uns auf dem Relicf des Krieges die Composition schon im Grobsten mangelhaft, indem der miltiere Reiter kiimmerlich zwischen die andern eingeklemmt und fast um eine Kopflinge niedriger angeordnet ist. Es ist keine Bosheit, wenn wir переп фе$ missrathene nen, obwohl mit dem Wort idyllisch nichts Schéfermassiges be- zeichnet sein soll.) Aber wie Viele irren noch in unwirthlichen Wiisten, ohne das Kanaan zu schauen, das doch so nahe liegt! Mit schlichten Worten, die Zahl solcher Werke ist diesmal ge- ring gegen die, welche Stoffe anderer Art behandeln. Wir er- wihnen zuerst Wichmanns , Wahrsagerin* (Gypsmodel). Eine anmuthige Gruppe zweier hibscher Madchen, yon denen die eine die Wahrsagerin spielt. Denn aufrichtig gesagt, so gut sie die Gesten eines Zigeunerkindes nachmacht, fchlt ihr doch gerade so viel Hexenhaftes und Abenteuerliches zu ciner ernsthaften Wahrsagerin, als dem andern schénen Kind Spannung und Aberglauben zu einer ernsthaften Zuhérerin mangelt. Kurz, es gebricht dem Werke an dem, was gerade dem Genre. Noth Ши, ап praégnanter Charakteristik, die allen Humor einer Si- tuation liebevoll ausbeutet. Die Poesie des Vorganges ist nicht zu ihrem Recht gekommen, so dass es erscheint, als sei sie erst gelegentlich und nachtraglich hinzugekommen, als der Ktinst- ler, der eine Madchengruppe bilden wollte, um die Haltung der Arme verlegen gewesen. Hiitte er diese Arme, die so zierlich sind, sich einfach innig umschlingen lassen, so wiirden , die Freundinnen“ erreicht haben, was der , Wahrsagerin nicht ge~ lingt — uns zu erwirmen. Ueber das Machwerk ein Wort verlieren, wire ein Zweifel an Wichmann’s Talent. Nur der eine, schon frither bemerkte, Missgriff, dass er Gewandung an- bringt, die nur fest liegt, wenn sie aus Einem Stick mit dem Korper besteht, verdunkelt in etwas die Reinheit der Arbeit. — E. Wolf s ,,spinnendes Madchen in Marmor“ entbehrt nun aber jener Schénheit der Linien, die uns bei dem Wichmann’schen Werk fiir so Manches entschadigt. Wir fordern alle kleinen Madchen Europas — die tiirkisehen vielleicht ausgenommen — zu dem Versuch auf, ob sie in dieser Stellung einen Faden von nur einer halben Elle zu Stande bringen kénnen. Das wunder- liche Lacheln der kleinen Spinnerin macht den Eindruck, als habe sich das lebende Model des Kiinstlers tber das gelungene Kunststiick gefreut, die Glieder nach den kiimmerlichen Massen eines beliebigen Marmorblocks in diese Lage zu zwingen. Aber wie muss ihm das Steifhalten des kleinen Riickens sauer ange- kommen sein! Wir bedauern, dass all diese iiberwundenen Schwierigkeiten und der viele Fleiss des sonst glicklichern Mei- sters einen so wenig erquicklichen Erfolg gehabt haben. H. Berges’ Marmorstatue eines Madchens, welches bei Ab- legung des Gewandes in die Ferne blickt, hat ein einfaches, schickliches Motiv, das durch die tiber den Augen gehaltene Hand Gelegenheit zu einem hiibschen Spiel des Schattens gab. Nur ist dem Kinstler an dem sonst tberaus fleissig modellirten schlanken Korper die Brust vielleicht zu hoch gerathen, wodurch eine langweilige Leere bis zur Hiifte entsteht. Tadelloser ist G. Friihs Schmetterlingsfanger (von Fischer gegossen und ci- selirt). Ob er auf diese Art — die in der Plastik scheint ty- pisch geworden zu sein — yiel Beute bei seiner Jagd machen wird, 1st gar zweielhatt. Indessen kommt es auch hier auf die Schmetterlinge weniger an, als auf die jugendlichen Gestalten, die in der Attitiide des Beschleichens immerhin eine eigene An- muth entwickeln. Caspar Miller hat eine Genovefa im Model ausgestellt, die uns vollig misslungen scheint. Die Mutter ist noch leidlich wohlgestalt, aber ihr Kind eine wahre Missgeburt, und die Hirsch- kuh hat einen Hals wie ein Pferd. Zudem ist es widernatiirlich, dass die Mutter den Saugling am Euter der Hinde so sich selbst liberlassen und nicht vielmehr niederknien sollte, ihm das Ge- schaft zu erleichtern. Warum wendet der Kiinstler nicht die geringe Mihe der Phantasie auf, einen Vorgang véllig durch- zudenken. Wie viel neue Beztige wirden ihm aufgehen, an- statt dass er jetzt, wo er von einem augenblicklichen Einfall