vorstellen. Nun ist zwar der Mythus des Pan als Reprasen-
tanten der Himmelsharmonic, der im klassischen Alterthum zur
Darstellung gekommen ist, jener Ueberlieferung fremd geblie-
ben. Es sind aber andere mythische Gestalten, welche der
christlichen Kunst sich anbieten, — nicht allein wenn die Him-
melskérper nach Anleitung ihrer Gétternamen in menschlicher
Gestalt gedacht, sondern auch abgesehn davon, wenn ihnen
himmlische Begleiterinnen gegeben werden. Und eine Andeu-
tung dessen hat auch die bisher verfolgte christliche Tradition
festgehalten, in der von den Afusen die Rede ist (bei Pseudo-
Isidorus), welche, bis auf eine, die der Erde angehdrt, auf den
Himmelssphiren singend ihre Stelle einnehmen. Dazu kommt
noch eine zwiefache Vorstellung, welche in dem letzten Zeit-
alter ausgesprochen ist.

Einestheils werden nach dem platonischen Mythus Siére-
nen. als Trager der Musik den Himmelskérpern beigegeben.
So finden wir es bei dem Alanus ab Insulis (im 12. Jahrh.)
in seiner Encyclopadie, wo er den Weg der Klugheit (Pruden-
tia) durch die Himmelsspharen beschreibt. Wie dieselbe die-
sem Raum sich nahert, hdért sie eine neue Art des Gesanges,
es ist die Himmelscither, welche erklingt: von Seiten des Mon-
des mit leiserem Gesang, am herrlichsten sind die Téne der
Sonne, eine Donnerstimme geht vom Mars aus, ein siisser Nach-
tigallenton vom Jupiter’). Aber verschieden wird der Ursprung
dieser Téne bezeichnet: theils ist es die Stimme einer Sirene,
wie bei der Sonne, dem Mercur und Mars, theils heisst die
Saingerin eine Muse, wie bei der Venus und dem Jupiter *);
daneben wird aber auch die poetische Personification ganz bei
Seite gelassen und der Ton natiirlich. von der Bewegung der
Himmelskérper abgeleitet*). —- Anderestheils sind es Engel,
welche die Sphérenmusik mit Gesang begleiten, nach einer An-
deutung bei Dante (im 14. Jahrh.), der sonst dieser Vorstel-
lung nicht weiter Raum gegeben hat:

Bevor die Engel sangen, deren Sang
Nur Nachklang ist vom Lied’ der ew’gen Spharen ‘).
	Doch schon im 105. Jahrhundert war ein Wendepunkt in
dieser Lehre eingetreten durch den Einfluss aristotelischer Welt-
weisheit, wodurch fernere Beistimmung ihr entzogen wurde.

Vor allem hahen die Haupter der Scholastik sich gegen sie
erklart. Albertus Magnus hat in naturwissenschaftlichem
Zusammenhang einen eigenen Abschnitt ,tiber die Meinung,
dass aus der Bewegung der Himmelskérper ein musikalischer
Ton entstehe**®): er verwirft sie aber nicht allein im Sinne
des Aristoteles, sondern auch mit dessen Worten, da er die
avistotelische Ausfiihrung umschreibend und erweiternd wieder-
giebt. Thomas von Aquino gedenkt bei Auslegung des Hiob® )
der pythagoreischen Lehre, halt ihr aber die Auctoritat des Ari-
stoteles entgegen, welcher zeige, dass die Bewegung der Him-
melskérper keinen Ton hervorbringe, — worauf er den Aus-
druck des Hiob von der himmlischen Harmonie metaphorisch
fir die Uebereinstimmung der nie ruhenden Bewegungen des
Himmels nimmt. ;

Ausfihrlicher erértert der Cardinal Peter d’Ailly in
einer Schrift?) vom Jahre 1416 den Gegenstand,-indem er die
	1) Alani Anticlaud. Lib. IV. c.6—9. Opp. ed. de УлзсВ р. 368—365.

2) Па. с. 6. р. 364. с. 8. р. 365.

3) Па. с. 6. р. 363 з4. с.8. р. 364 з4.

4) Dante Purgat. XXX, 92. Streckf.

5) Albert. Magn. De coelo et mundo Lib. HW Tract. 3. c. 10. Opp.

T. I. P. 2. p. 124. 122.
6) Thom. Aq. In Job. c. 38. sect. HI. Opp. ed. Venet. T. 1. p. 166.

7) Petri de Alliac. De legib. et sectis contr, astron. c. 8. in Jo. Ger-
son. Opp. ed. Dupin. T. I: p. 794 sq.
	aber am Himmel sich zeige. Denn wie ware es mdglich, sagt
er, dass die so geschwinde Himmelsmaschine in schweigendem
uud stillem Lauf sich bewege, wenn auch jener Ton an unser
Ohr nicht kommt, was aus vielen Ursachen nicht anders sein
kann. Er gicbt dann spiter die nahere Nachweisung, nach Ni-
comachus, dass der tiefste Ton dem Saturn und so ferner die
folgenden den nachsten Planeten, also dem Monde der héchste
Ton eigen sei; wogegen Cicero die umgekehrte Ordnung an-
nehme, so dass dem Monde der tiefste Ton zukomme.

Hiernach ist der Gegenstand zunachst nach seinem hiinséle-
rischen Interesse von den kirchlichen Schriftstellern tiber Musik,
sei es in der allgemeinen Encyclopidie oder in besondern
Schriften aufgenommen. Cassiodorus ) deutet nur sehr all-
gemein an: es seien auch Himmel und Erde nicht ohne Musik,
sofern nach dem Zeugniss des Pythagoras diese Welt durch
dieselbe gegriindet sei und regiert werde. Etwas bestimmter
lautet die Aussage des Isidorus von Sevilla in seinem gros-
sen encyclopadischen Werk”). — Hingegen mehr in naturwissen-
schaftlichem (kosmographischem) Interesse wird die himmlische
Musik beschrieben in einer eigenen kleinen Schrift (de harmo-
nia et caclesti musica) unter dem Namen dieses Isidorus*):
da ist von der siissen Harmonie die Rede, mit welcher die Pla-
netenspharen sich bewegen und warum ihr Ton nicht an unser
Ohr gelangt+); es werden die musikalischen Intervalle der
Planeten angegeben und endlich bemerkt, dass entsprechend
den neun Consonanzen zwischen der Erde und dem Firmament,
welche man dem Menschen eingeboren fand, die Philosophen
die neun Musen erdichtet hitten. Diese Erérterung (sammt der
ganzen kleinen Schrift) ist wortlich aufgenommen in das Werk
de imagine mundi, welches ehemals dem Anselmus von Canter-
bury zugeschrieben 151°), jetzt unter den Werken des Hono-
rarius von Autin, zu Anfang des 12. Jahrhunderts sich fin-
det*). Und hieraus ist sie im 13. Jahrhundert in dem ,Spiegel
der Natur“ des Vincentius von Beauvais excerpirt’), ob-
wohl er fiir sich der Annahme entgegentritt. — Aber noch von
einem Zeitgenossen desselben, dem Omons, in einem franz6-
sischen Lehrgedicht vom Jahre 1245, ebenfalls unter dem Titel
Image du monde, wird die Harmonie der Sphdren behauptet §);
er weiset sogar nach in anmuthiger Dichtung, wiefern sie auch
hérbar ist: die Kinder, sagt er, geniessen um ihrer Unschuld
willen den Vorzug, diese himmlische Harmonie zu vernehmen,
— so dass, wenn sie im Schlaf lacheln, dies in Folge des Ver-
gniigens ist, welches dieselhe sie empfinden lasst.

Diese ganze christliche Ucberlieferung aber scheint den
zeichnenden Kiinsten keinen Anlass darzubieten, sofern Téne
sich nicht malen, noch sonst sichtbar machen lassen. Aber
iiberirdische Wesen, welche singen und spielen, lassen sich
	1) Cassiodor Ne art. liber. c.5. Opp. ed. Garet, T. II. p. 086.

2) Isidor. Orig. Lib. Ill. c. 17. §. 4. Opp. T. MI. p. 133. ed. Arev.

3) Abgedr. zu Isidor. De nat. rerum c. 13. in d. Opp. ed. Arev. T. VII.
р. 23—25; з. (аБег @е Уайс. Handschr., worin dieser Tractat sich findet)
Ibid. T. i. p. 70. 382.

4) Hi septem orbes cum dulcisona harmonia volvuntur ac suavissimi
concentus eorum circuitione efficiuntur. Qui sonus ideo ad nostras aures
non pervenit, quia ultra aures fit et ejus magnitudo nostrum angustum au-
ditum excedit: nullus enim sonus a nobis percipitur, nisi in hoc aére ef-
ficiatur.

5) Es findet sich im den alteren Ausgaben seiner Werke, ist aber in
der Benedictinerausg, (von Gerberon) nicht mit aufgenommen. Unsere Stelle
	ist Lib. I. c. 23.
6) Honor. August. De imag. mundi Lib. 1. c. 80. 81. in der Max. Bibl.
	Patr. Lugd. T. AX. p. 975. col. 1.

7) Vincent. Bellov. Spee. nat Lib. XV. c. 26. p. 1108. Auch die
yothin erwahnte Stelle aus Isidor. Orig. ist von demselben ausgezogen in
dem Spec. Doctr. Lib. XVI. c. 10. p. 1510.

8) S. Notices et extraits des Mss. de la bibl. nation. T. V. p. 259.