Huw thlatt.
	Organ
der deutSchen Kunstvereine,
	“A4eitung
fiir bildende Kunst und Baukunst.
	Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt. — Waagen in Berlin — Wiegmann in Disseldor! — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — F* Grster in Minchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien
			redigirt von Dr. F. Eggers in Berlin.
	Montag, den 8. Jul.
	mit gewissenhafler Treue wiedergegeben zu haben scheint. Die
Falten des Gewands lassen ebenfalls die Behabensweise des zu
edler Ruhe gelangten Greises sehr deutlich wahrnehmen. Nicht
blos diejenigen Gewandmassen, welche mit den Formen des
Kérpers in unmittelbarer Beriihrung sind, auch dicjenigen Par-
tieen, welche lose herabfallen und von der Wirkung des Stoffs
und der eigenen Schwere vorzugsweise abhingig zu sein schei-
nen, erhalten durch die eigenthiimliche Ruhe oder Raschheit
der Bewegung die Anordnung, die wir so charakteristisch wie-
dergegeben finden. Man kann deutlich daraus abnehmen, in
welcher Stimmung, mit welchem Anstand er sich auf die Kniee
niedergelassen hat und die erhabene Ruhe, welche sich in dem
Ausdruck des Gesichts und der Hande wahrnehmen lassi, ver-
breitet sich auch tiber alle Theile des reich niederwallenden
Purpurmantels. — Gehen wir von einer solchen Betrachtung des
Stamms und seiner Zweige auf die des mit der Bliithenkrone
oder wie hier mit edelgezeitigten Frichten geschmiickten Gipfels
liber, so wird uns das hier hervortretende Endergebniss des
irdischen Daseins mit ganz anderer Mannigfaltigkeit entgegen-
ireten. Der fromme Ausdruck ist nicht blos auf dem Wege
guter Silte und léblicher Gewohnheit angenommen, sondern ist
die Folge einer Lauterung der Gefiihle, wie sie nur durch in-
nere Kampfe, durch Wachen und Beten erreicht und erzeugt
wird. Doch auch bei der Betrachtung des Hauptes thun wir
gut, uns mit unseren Blicken noch einmal der Peripherie 2u-
zuwenden und besonders die eigenthiimliche Bildung der Ohren
in’ s Auge zu fassen. Auch hier sind die urspriinglich edien
Formen zusammengeschrumpft, aber die Feinheit des Wahrneh-
mungsvermégens ktindigt sich doch auch noch unter der Ein-
hillung des vorgeriickten Alters an. Auf dem Scheilel ruht
die Hand des H. Hieronymus, welcher seinen Schitzling der
	gdttlichen Gnade empfiehlt. Das Wohlthuende dieses Handaul-
	legens kiindigt sich in der ganzen, festen Haltung des Koptes
an. Die Haare haben sich bereits entfarbt, lassen aber noch
deutlich das feine Gespinnst der Natur wahrnehmen. — Nach
allen diesen Vorerérterungen wird uns jeder Zug des Antlitzes
vollkommen verstindlich werden und bedeutungsvoll genug ent-
gegenireten. Auf einem jiingeren Gesicht liest sich’s leichter,
das Spiel der Empfindungen ist lebhafter, jede Bewegung des
Geistes oder der Seele hallt laut vernehmbar nach. Nichts ist
unzuginglicher als ein Greisenantlitz. Hier aber ist die Ruhe
und Harmonie nicht blos iiber das Aeussere verbreitet, sondern
	hat den ganzen Charakter durchdrungen. Dieser ist zu emem
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	Bei der Auffassung von Bildnissen thut man gut, mit den
Aeusserlichkéeiten zu beginnen und mit dem Gesichtsaus-
druck zu schliessen.
	Nicnts ist gewébnlicher, als dass wir bei der Betrach-
tung von Bildnissen eben nur die Ziige des Antlitzes in’s Auge
fassen, und alles, was dartiber hinausliegt, im besten Falle als
gut behandeltes Beiwerk einer voriibergehenden, eben auch
gelegenllichen Bewunderung wiirdigen. Fir den angehenden
Kunstfreund ist dies sehr unvortheilhaft. Er gewdhnt sich da-
durch an eine vereinzelte, ausschliesslich vom Geschmack ge-
leitete, Betrachtungsweise und bringt sich durch voreilige Ge-
nusssucht um die Begriindung seiner besseren Einsicht. — Im
Antlitz erhalt das Bildniss natiirlich seinen héchsten Ausdruck.
Zum richtigen Verstandniss desselben aber gehért die Berick-
sichtigung der ganzen Gestalt. Die allen Griechen gingen, wo
es sich um das Wiederauffinden der Familienahnlichkeit einer
Person handelte, von der Betrachtung der Hande und Fiisse
aus. Wenn wir diesen Grundsalz auf die Beurtheilung des
knieenden Donatars in der Madonna di Foligno anwenden, so
wird uns die Leibhaftigkeit seiner Darstellung mit ganz anderer
Kraft entgegentreten. Die andachtig gefalteten Hande sind so
	ausdrucksvoll, dass man aus ihnen allein den Charakter des  
	frommen Mannes abzuleiten im Stande sein wirde. Nirgends
vielleicht wird einem die mimische Bedeutung des Handefaltens
so klar, wie in diesem Bilde. Der Mensch begiebt sich da-
durch jeden Bezugs auf die Aussenwelt, er kehrt ganz in sich
und zu sich selbst zurtick und untergiebt sich unbedingt einem
Héheren und Héchsten. Die Finger lassen die Gewohnheit eines
zarten Gestenspiels wahrnehmen , welches allezeit die Folge eines
feinen Empfindungsstroms ist, welcher hier seinen Ausgang
nimmt. Das Alter, die Miihhabungen des Lebens, der Stand
der physischen Krafte offenbaren sich aber an dieser Stelle noch
viel deutlicher, wie in den Runzeln des Gesichts. Auch der
Adel der Geburt findet in diesen Organen den unzweideutigsten
Ausdruck. Der rothe Hermelinmantel, welcher den Kirchen-
firsten verkiindet, ist in dieser Bezichung bei weitem so un-
iriiglich nicht, wie das angeborene edele Wesen, das sich in
der Bildung und in der durch die Silte veranlassten Ausbildung
der Hande offenbart. Hier sind sie besonders geistvoll und mit
grosser Liebe vom Kiinstler behandelt, der tibrigens die Natur