sechs Blatter sind fur die Ansichten des Innern bestimmt. Yon
den letztern sind bis jetzt vier vollendet. Es sind streng geo-
metrische Aufrisse in einfach linearer Zeichnung; aber gerade
diese schlichte Strenge hat Gelegenheit gegeben, bei der Ent-
wickelung des architektonischen Ganzen zugleich jedes Einzelne
nach seiner Eigenthimlichkeit in Form und Verhiltniss wieder-
zugeben, — alles Eingebaute an Ambonen und dergleichen, al-
les Siulenwerk, allen Zierrath, die gesammte bDildliche Aus-
stattung. Nichts, und sei es die geringste Kleinigkeit und Zu~
falligkeit, ist ibergangen, mit lebenvoller Empfindung, mit héch-
ster Feinheit und Klarheit ist jeder Gegenstand ganz in der
charakteristischen Weise seiner Erscheinung gezeichnet. Die
Behandlung ist zum Theil so zart, dass das Auge an manchen
Stellen ohne Hiilfe des Vergrésserungsglases kaum zu folgen
im Stande ist. Wie die Besonderheiten jedes Blattwerkes an
Saulenknaufen oder Gesimsen beobachtet sind, so das Geader all
der verschiedenartigen Marmorlafeln, mit denen die Unterwande
der Kirche, den kiinstlichen Fournituren der heutigen Schrei-
nerei vergleichbar, bekleidet sind. So nicht minder der ganze
Reichthum der figtirlichen Darstellung an Sculpturen und Mo-
saiken, in dem feierlich starren Styl der byzantinischen Kunst,
in dem germanisch weichen Flusse der Trecentisten, in dem
Ringen nach freierer Bewegung, in den Formen der vollendeten
und der schon entartenden Kunst. Alles auch, was den Mo-
saiken an Inschrifien beigefiigt ist, findet sich aufs Genaueste
wiedergegeben. Machten die in den Grundriss eingetragenen
Angaben gewissermaassen das Inhaltsverzeichniss der Darstel--
lungen aus, so ist uns hier das Buch dieser Bilderschrift selbst
wie in treuer Uebersetzung aufgeschlagen. — Vier Blatter end-
lich sollen ausgefiihrte Stiche nach den schdénen musivischen
Darstellungen bringen, welche den viereckigen Vorraum zwi-
schen dem aussern und innern Eingange der Kirche schmitcken
und davon drei Seiten der Glanzzeit der venetianischen Kunst
im sechzehnten Jahrhundert angehéren. Hievon sind zwei
Blatter fertig, das eine mit dem Gekreuzigten und der Grab~
legung des Erlésers, das andre mit der Grablegung der Maria,
Compositionen von jenem feierlichen Klange, der der venetia-
nischen Kunst, im Zeitalter ihrer Blithe, wenn sie dem tiefsten
Lebensernste sich zuwendet, cine so eindringliche Wirkung giebt,
in diesen Stichen in einfach wirdiger Classicitét durchgefihrt.

Eine Erganzung dessen, was auf den 17 grossen Blattern
nicht zu geben war, soll auf 70 kleineren Blattern, in gross
Quart, nachfoleen, — alle diejenigen Mosaikbilder und Orna-
mente aus dem Innern der Kirche, welche die grossen Blatter
nicht mit zur Anschauung bringen konnten, die Fille der Dar-
stellungen im Umgange vor der Kirche, in denen die Starrheit
des byzantinischen Styles auf so bedeutungsvolle Weise zum
Leben erwacht, die der Taufkapelle und der Kapellen des Kar-
dinals Zeno, der Maria dei Mascoli, des heil. Isidor. Alle diese
Darstellungen werden ebenso, wie die auf den grossen Blittern
enthaltenen, in einfachen Umrissen mitgetheilt werden. — End-
lich wird dem Ganzen ein umfassender archaologisch und hi-
storisch erlauternder Text, ebenfalls im Quartformat, von dem
ein einleitendes Probeheft vorliegt, beigegeben werden,

Wir bewundern die unermiidliche Ausdauer, mit welcher
die Arbeit, den vorliegenden Blattern zufolge, durchgefiihrt ist ;
wir erkennen aber in noch héhcrem Maasse die hingebende
Treue und das sinnvolle Versténdniss an, mit welchen uns die
Fille des Verschiedenartigsten an dem reichgeglicderten Denk-
mal in tibersichtlicher Darstellung vorgefiihrt wird. Wir ver-
danken es dieser Darstellung, dass wir jelzl uns zum ersten
Mal dem rathselvollen Werke in ungestorter Belrachtung zu-
wenden, fiir die Durchforschung desselben einen festen Anhalts-
punkt gewinnen kénnen. Die Herausgabe selbst ist ein Denk-
	bleibt der Bau mit all seinen Wundern dir fremd und unver-
standen, und du hast auch wohl kaum Zeit, mit Forschbegier
und emsigem Fleiss zur Lésung seiner Rathsel dich anzuschik-
ken. Tizian und Pordenone und Paul Veronese ziehen dich mit
zu grosser Gewalt in ihre Kreise; das Beil der schwarzen Gon-
del, die dich durch die prachtigen Wasserstrassen und zu den
Nachbarinseln fiihrt, glinzt dir zu lockend entgegen.

Wir bedirfen eben cines Wegfihrers, eines freundlichen
Vermittlers, wenn die Markuskirche uns mehr bieten soll als
phantastischen Reiz, wenn wir eindringen wollen in die Grund-
siitze ihrer Gestaltung, in die Form ihrer Bilderschrift, in den
Gedankenkreis, der dieser Schrift ihr Dasein gab, wenn wir
tiber das Alles zum Verstaéndniss kommen, die alte Zeit in uns-
yer inneren Anschauung erneuen und, je nachdem wir dazu
ein Bediirfniss haben, unser heutiges Streben zu ihr in ein
Wechselverhiltniss seizen wollen. Hine solche Vermittelung
kann aber nicht durch das geschriebene Wort, sie kann nur
durch bildliche Darstellung des Baues und all seiner Einzelheiten
gegeben werden, und eine solche — wie sie bisher noch nicht
gegeben war — bietet uns das schéne Werk, das in der Ueber-
schrift genannt ist.

Das Werk entsagt von vornherein mit Absicht aller Wie-
dergabe jener malerischen Wirkungen der Markuskirche, die
einen so bestechenden Zauber auf uns auszuiiben gecignet sind;
es will eben nichts, als uns in klarer, versténdlichster Weise
vergegenwirtigen, wie das raéumliche Geftige ihres Baues be~
schaffen, mit welchen Zierden und Bildern derselbe versehen
ist und in welcher Weise die letzteren gestaltet sind. Es will
nur dies, aber dies vollstandig, bis auf den letzten Punkt, und
es erfillt seine Absicht, soviel uns bis jetzt von dem Werke
vorliegt, in gediegenster Weise. Wir kénnen die Blatter des
Werkes in Musse lesen wie ein Buch, unsre Gedanken unzer-
streut und unbeirrt durch alles Mitwirkende der riumlichen Ge-
genwart auf die urspriinglichen Absichten, aus denen der Bau
hervorgegangen ist, sammeln und im ruhigen Nachsinnen zu den
Schwellen des geschichtlichen Kreises, um den es sich hier
handelt, hinabsteigen.

Das Werk besteht zunachst aus einer Folge von Blattern
im gréssten Folioformat; auf 17 Blatter bestimmt, sind deren
gegenwartig 9 Blatter vollendet. Ein Widmungsblatt in italie-
nischer Sprache, mit dem Namen des Kaisers von Oesterreich
(Ferdinand’s I, unter dessen Auspicien das Werk begonnen ward),
eréffnet die Folge. Eine kinstlerische Wirkung hat dasselbe
durch die Beigabe mannigfacher, den Dekorationen der Kirche
entsprechender Arabesken erhalten. — Dann ein Grundriss der
ganzen Kirche und der mit ihr verbundenen Bauten (namentlich
der Sakristei), mit genauer Bezeichnung aller Einzeltheile der
yiumlichen Disposition und mit vollkommen durchgefihrter
schriftlicher Angabe des Inhaltes saémmilicher, im Innern der
Kirche, im Umgange vor derselben und in den Kapellen ent-
haltenen musivischen Bilder. Schon hierdurch empfangt man
eine so klare wie belehrende Uebersicht der Vertheilung dieser
Bilder, d. h. der Hauptanschauungen des alterthiimlich christli-
chen Dogmas, nach Maassgabe der symbolischen Form der Kir-
che, und der besondern Elemente, deren Hinzufiigung hier
durch den Lokal-Cultus bedingt ward. — Vier Blatter werden
die musivische Dekoration des Fussbodens der Kirche, die mit
den reichsten Mustern des sogenannten ,alexandrinischen Wer-
kes“ versehen ist, enthalten. Eins dieser Blatter liegt vor. Mit
der ersinnlichsten Sorgfalt und Genauigkeit ist hier der hun-
dertfach verschiedenartige Wechsel der Verzierungen, welche
jeden Raumabschnilt ausfiillen, wiedergegeben, — eine Blumen-
wiese, tiber der das Heiligthum sich emporwolbt. — Ein Blatt
ist fir die Ansicht des Aeussern, und zwar der Schauscite,