Jetzt unterbricht sich die Reihe wieder; es erscheint die
blosse Mauer mit ihren verwischten Bildern: ein sitzender
Laienbruder, hinter ihm ein Tod in lebhaft tanzender Stellung,
ein Jiingling und wieder ein Tod, auf ersteren deutend. Eine
leere Stelle — ein Pfeiler — der ein schattenhaftes Todten-
bild zur Halfte deckt, und nun der erneute Reigen mit drei-
zehn Figuren, die Todten in mannichfacher zum Theil gro-
tesker Stellung; unter denen, die ihnen folgen miissen, auch
drei Frauen. Diesen Umstand hebt Hr. Jubinal als etwas be-
sonderes hervor, mit Bezugnahme auf ein Manuscript der konig-
lichen Bibliothek, wo Ménner und Frauen im Todtenreigen
geschieden seien. Es hatte nur des einfachen Hinweises
auf die Heures bedurft, in deren T. T.-Holzschnitten dasselbe
mindestens grésstentheils auch der Fall ist; allein der Ver-
fasser scheint von dieser reichhaltigen Literatur keine Notiz
genommen zu haben. Er fihrt nur am Schlusse einige Folio-
Ausgaben des Danse Macabre an. Wieder eine Unterbrechung,
wieder finf Einzelfiguren: ein Tod, den Pfeil auf den Bogen
legend, eine Mutter mit einem Wickelkind, ein Tod mit Pfeil
und Bogen, ein Mann dem ein Todtenpfeil durch den Kopf
geflogen, Tod mit einer Schlange spielend. Hierauf wieder
der Reigen, sechszehn Figuren, unter den Lebenden ein be-
krinzter Jiingling, vielleicht ein Brautigam, ein Spielmann,
dessen Laute am Boden liegt, ein Bauer die Sichel am Boden,
ein Monch, ein Kind, am Boden sitzend, mumienartig einge-
wickelt. Endlich wieder Mauerbilder , sieben Figuren.
	Der Verfasser spricht tiber das Alter dieser Bilderrethe.
Er setzt es in die Mitte oder gegen das Ende des 15ten Jahr-
hunderts, findet aber, dass manche Figuren doch offenbar
spiteres Costiim tragen. Er sagt uns, dass diese T. T.-Fres-
ken alter scheinen, als die Webereien, die den Chor derselben
Kirche schmiicken.
	Das Interessanteste aber scheint Hr. Jubinal nicht heraus
gefunden zu haben, namlich dass hier offenbar zwei Todten-_
tinze aus ganz verschiedenen Zeiten vor Augen treten; Restle
namlich eines alten, auf die rohe Mauer gemalten und Bilder
eines unvollendeten erneuten, auf dieselbe soweit iibertiinchte
Mauer, als die Erneuung vorschritt. Dem alten, gehdéren die
verblichenen Figuren, steif, streng, schmucklos, vereinzelt,
nicht gruppirt, des Siindenfalles des Predigers und seines Zu-
horers, dann cines Betenden, eines Jiinglings, der Mutter,
des vom Pfeil getroffenen Kriegers und endlich einer Gruppe
geistlicher Personen an, Sicher Malereien des 13ten oder
1Aten Jahrhunderts.
	Der neue zeichnet sich vor dem alten durch die mehr aus-
gedriickte Idee des Tanzes, durch reichere Kosttimirung,
aus der 2. Hilfte des 15. Jahrhunderts, durch Lebhaftigkeit
der Gruppirung, durch geistreichere Auffassung tiberhaupt aus,
sowie durch die naturgemass bessere Erhaltung, um welche
es freilich, nach den oben angefihrten Bemerkungen , abermals
misslich steht. Jedenfalls ist die Kenninissnahme dieses be-
deutenden mittelalterlichen Kunstwerks fir diejenigen wichtig,
welche sich fir das dtistere Gebiet, dem sich die zeichnende

Kunst hier zugewendet, interessiren. —
	ЕН. ШешИсЬ аш ungehorigen Ort und doch in die betref{-
fende Literatur und insbesondere zur Volksliteratur gehérend,
welche letztere seit alten Zeiten an dic T. T. ein Anrecht hat,
begegnet uns eine kleine Todtenbilderfolge in dem Bichlein:
Leipziger Bildermann fir die Wintermonate des
Jahres 1841. Leipzig, in Comm, bei Jul. Wunder. Hier fahrt
ein Artikel, S. 51 beginnend und ,,die sieben Hauptsin-

den‘ tberschrieben, sieben zum Theil groteske Bildgruppen
vor Augen, wo der Knochenmann als sichtbarer Strafengel
	plet; car a present la vieille peinture du quinzieme siecle, дш
rappelait sans cesse aux moines de la Chaise-Dieu quils wé
taient que poussiére et que cendre, ne périra pas: elle revit toute
entiére dans notre gravure. Zu diesem Salz gehdrt folgende
Anmerkung: J ne faut pas confondre cette gravure avee celle
des trois personnages qui sont en téte de la présente Explication.
La premiere forme un rouleau collé sur totle d’environ 10 pieds
de longeur, accompagndé d un fac simile de la peinture origi-
nale. es seconds on été places avant ce texte pour indiquer
uniquement ce que c est que notre grande gravure.

Ohne die zuletzt erwdhnte Bildrolle wirde dem Sammler
von T. T. der Text des Herrn A. Jubinal wenig frommen;
letztere zeichnete, wie wir weiter lesen, ein M. de Planhol
und gestochen wurde sie von M. H. Rouxaine.

Und das ist auch hier das grosse Verdienst der zeichnen-
den Kunst, dass sie mindestens das Geistige solcher dem Un-
tergange nahen Monumente reitet, wie auch bei dem Baseler
T. T. in solcher Weise geschehen, dass wir uns dauernd an
dem Vergangenen, Dahingeschwundenen, noch erfreuen kénnen.

Mit dem Letzleren, dem grossen Baseler T. T., hat nun
auch jener der Kirche von la Chaise-Dieu in Bezug auf Formen
und Gewdnder die grésste geistige Verwandtschaft. Beide zeigen
unter den Todtengestalten nie ein ganzlich fleischloses Gerippe;
Ernst und Humor gehen bei beiden im schaurigen Todesreigen
Hand in Hand, nur ist der franzésische T. T. weniger Rei-
gen, als der schweizerische, und keine der Todtengestalten
des erstern fihrt ein Musikinstrument.

» Der T. T. von la Chaise-Dieu misst 7 Fuss Hohe im
Lichten (das ganze Gemalde) bei einer Lange von 26 Metres,
die Gestalten halten 3 Fuss Héhe und haben weder oberhalb
noch unterhalb eine Schrift. “

Das erwahnte Facsimile in Farben zeigt oben und unten
eine steingraue breite Einfassung, der Fussboden ist matt
ockergelb, der Grund matt carmoisinroth. Die Farbung der
Figuren ist sehr matt gehalten, die Todtengestalten durchge-
hend bleich, vom lichtesten Braun, Gesichter und Hande der
Lebenden matt fleischfarben, die Gewander ebenfalls nur in
maiten Farben angelegt, wie bei den meisten Fresken von ho-
hem Alter. — Die Zeichnung ist im Ganzen correct, nur die
Schidel der Todten erscheinen bisweilen auffallend klein bei
ziemlich lang gestreckten Leibern.

Der Reigen ist nicht ohne Unterbrechung fortlaufend, es
zeigt sich vielmehr eine nicht in allen Theilen woblgeordnete
Folge. Mehrere Gestalten sind auf die rohe Mauer gemalt;
auf dieser macht gleich den Anfang eine schmale Gruppe:
Adam und Eva, nebst der Schlange am Baum der Erkenntniss.
Das alte Dogmatische: durch die Sinde kam der Tod in die
Welt, was Holbein mit Bedacht in seine Holzschnitlfolge wie-
der aufnahm. Es folgt ein Prediger, dem eine nicht mehr gut
kennbare sitzende Gestalt mit einem Stabe zuzuhéren scheint,
und eine stehende das Haupt abwendende Todtenfigur. Letztere
scheint der Chorfiihrer zu sein, der sich nach dem nun be-
ginnenden Todtenreigen umschaut. Hinter ihm kommt der
Pabst. Ein Tod fihrt den Kaiscr an der Hand, ein zweiter
versucht mit dem Cardinal den Tanz zu beginnen; eine fol-
gende Todlengestalt fasst ziemlich streng den Konig an; hiipfend
und grinsend greift der nachstfolgende Tod einen Grafen(?)
an den Hut. Der nachste will mit dem grésstentheils gehar-
nischten Rilter, dessen machtiges Schwert am Boden liegt,
Arm in Arm zum Reigen antreten, wozu jener nicht die min-
deste Lust zeigt, wiederum ein Tod und ein angstlich folgen-
der Bischof, wahrend den nun folgenden Edelmann oder Ра-
gen zwei Todte packen und derselbe nach entgegengesetzter
Richtung widerstrebend fortschrcitet.