2 аи.
	Organ
der deutschen Kunstvereine,
	Zeitung
fiir bildende Kunst md Baukunst.
	Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Dusseldorf! — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — FO6rster in Minchen — Eitelberger у. Edelberg in Wien
		redigirt von Dr. Е. Hegers in Bertin.
	Montag, den 15. Juli.
	Die jiingsten Arbeiten der Diisseldorfer Kiinstler.
	ВА.
		sing’s ganzlich und wtrde von ihm abiallen, sobald er hier-
iiber zu einer richtigen Ansicht gelangte.

Es giebt namlich eine Gattung von Kunstwerken, die vor-
zugsweise — ja nicht selten allein —- mittelst ihres Stoffes das
gréssere Publikum fesseln und zur Bewunderung hinreissen.
Haufig ist dieser Stoff nicht einmal ein an sich poetischer oder
einer poetischen Behandlung fahig, sondern ein solcher, der
allenfalls einer Kriminalgeschichte oder dem Abgrunde der tief-
sten Verkommenheit menschlicher Wesen entnommen sein kénnte.
Zeichnet sich die Darstellung solcher Vorwiirfe dann durch Le-
bendigkeit und krasse Wahrheit aus, gelingt es ihr, den Ge-
genstand dem Publikum recht nahe zu ritcken und mit seinen
vorwaltenden Neigungen und Leidenschaften in Beziehung zu
bringen, bleibt dabei gar noch der Sophistik Raum, dass durch
dergleichen Werke das Laster bestraft und gebessert, das Elend
	  gemindert werde: so kann es uns wahrlich nicht wundern, wenn
	sie sich eines ungewohnlichen Beifalls auf der breitesten Grund-
lage erfreuen. Wir haben diese Erfahrung nach mehreren Rich-
tungen hin machen kénnen. In den letzten Decennien war es
namentlich die Opposition auf dem Gebiete des Staates und der
Kirche, welcher wir in jenen Tendenz-Kunstwerken begegneten,
ganz insbesondere als Socialismus und selbst als Communismus.
Ich will hier nur den Prototypen dieser Richtung, Eugen Sue,
nennen und dem Leser es tiberlassen, die Reprasentanten der-
selben Richtung in den andern Kiinsten sich selbst zu verge-
genwartigen.

Es braucht nicht auf die praktischen Erfolge, auf die Wir-
kungen hingewiesen zu werden, die solche Bestrebungen fiir die
Gesellschaft und den Staat gehabt haben, um tiber ihren sitt-
lichen Werth ein richtiges Urtheil zu finden, es lasst sich die-
ses schon aus dem Principe derselben allein gewinnen, welches
lediglich darin besteht, den niederen Leidenschaften zu schmei-
cheln, das jeder unverdorbenen Menschenbrust inwohnende Ge-
fihl fir Recht und Unrecht, fir Gut und Bése zu verwirren
und endlich, durch Negirung eines Jenseits und der Unsterb-
lichkeit der Seele ausschliesslich die Befriedigung einer feine-
ren oder gréberen Sinnlichkeit als die Bestimmnng des Men-
schen zu predigen. Dass durch solche Lehren in den Massen
eine immer mehr zunehmende Unzufriedenheit mit ihren Zu-
standen erzeugt wurde, war natirlich, scheint sogar die nachste
Absicht der socialistischen Faiseurs gewesen zu sein. Haben
wir doch von namhaften Fithrern die unverhohlene Aeusserung
	vernommen, dass die noch im Volke wurzelnde Religiositat ih-
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	Wenn die beiden letzten Jahre den Bestrebungen der Kunst
auch wenig giinstig gewesen sind, indem der reiche Wechsel
der erschiitterndsten Begebenheiten die Geister nicht zu der
Ruhe kommen liess, deren die Phantasie zu ihren Zaubersché-
pfungen bedarf und die gleicherweise zum Empfangen und Ge-
niessen dieser Schépfungen unerlasslich ist, so sind dennoch
in der Werkstait manches Kinstlers, der in der stillen Klause
seinem Berufe treu geblieben, und auch wohl manches andern,
der ihn mit der Theilnahme an dem politischen Wesen auf dem
lauten Markte zu vereinigen gewusst, hie und da Werke ent-
standen, die den Beweis liefern, dass die Kunst einem civili-_
sirten Volke nicht auf den ersten Schlag eines politischen Ge-
witters verloren geht. Zwar sind es fast ausschliesslich die
Priester der Kunst selbst gewesen, die auf dem Altare die hei-
lige Flamme unterhielten, wahrend die Menge, von andern Ideen
beherrscht, ihnen den Riicken kehrte; aber wenn der Rausch
der Leidenschaft voriber, wird auch das Publikum sich wieder
einfinden, und dann kommt es Allen zu gut, dass in den Tagen
des Sturms doch wenigstens die Kiinstler treu geblieben waren
und die Kunst in die schénere Zeit hiniiber gerettet haben.

Von den kiirzlich hier vollendeten Bildern muss ich Ihnen
Lessing’s Huss vor dem Scheiterhaufen® als dasjenige nen-
nen, dem die allgemeinste Theilnahme gezollt wird. Es ist in
diesem Augenblicke auf dem akademischen grossen Galericsaale
ausgestellt und wird, wie Sie bereits erfahren haben, in kurzer
Frist an seinen Eigenthtimer, den Herrn Bécker in New ~ York
abgehen. Zahlreiche Beschauer benutzen die wenigen Tage,
wihrend welcher das Bild noch in der alten Welt sichtbar sein
wird, um durch griindliches Eindringen in seinen reichen Or-
ganismus ein bleibendes Abbild desselben in der Seele zu ge-
winnen. Dabei werden Ansichten und Urtheile ausgetauscht, zu
denen der Gegenstand wie der Urheber des Werkes der Mo-
tive und Ankniipfungspunkte genug darbieten und welche nicht
selten tiber die Grenzen der Aesthetik und Technik in andere
mehr oder weniger abgelegene Gebicte hintiber schweifen. Der
Eindruck ist auf die Meisten cin giinstiger, obwohil aus sehr
verschiedenen, ja entgegengesetzien Griinden. Ein grosser Theil
der Bewunderer verkennt den ktinstlerischen Standpunkt Les -~