gluckliche Schlachtopfer — echter souverainer Pobel, wie er auch noch heute ist! Ungleich mehr Haltung zeigen die Henkersknechte, welche den Scheiterhaufen mit Zubehér in Bereitschaft halten. Ruhig warten sie den Augenblick ab, wo das Gebet zu Ende ist und sie sich ihrer Beute bemachtigen kénnen. Es ist ihr Metier, sie kennen das schon. Der bis jetzt beschriebene Theil des Bildes ist im Hell- dunkel gehalten, so dass er sich als ruhige Masse dunkel gegen den hellen Himmel und die entfernteren Gegenstinde absetzt. In entschiedenerer Beleuchtung hebt sich im Vordergrund rechts eine Gruppe von vier Reitern vor dem in die Tiefe des Bildes sich verlierenden Zuge der Rathsknechte hervor; voran auf prachtigem Falben der vom Kaiser mit der Execution betraute Herzog Ludwig von Baiern. Er wendet sich mit verdriesslicher Miene zu cinem queer neben ihm haltenden Pralaten in violettem Kleide, der, im Sattel sich herumwendend und die Linke auf die Kruppe seines Rappen sliitzend, seine ganze Aufmerksam- keit forschend auf Huss richtet. Diesseits der Reiter steht ein alter Bettelinénch auf einen Knotenstock gelehnt und halt eine Brille vor die mit herzloser Neugier und sichtlicher Befriedi- gung auf den Verurtheilten gehefteten Augen. Seine ganze Hal- tung verrath das lebhafteste Interesse an dem, was da vorgeht. Dieser Gruppe gegeniiber befindet sich auf der andern Seite des Vordergrundes das Volk, dessen Masse in dichtem Gedrange von Alt und Jung und von beiden Geschlechtern sich weit in die Tiefe des Bildes ertreckt und, mit Kriegsknechten untermischt, die Richtslatte in weitem Kreise umschliesst, in der Ferne jedoch grésstenheils durch die vorderen Gruppen ver- deckt wird. Hier hat der Kiinstler cinen ungemeinen Reichthum der mannichfaltigsten Motive und Affekte entfaltet. Ganz vorn ist eine Jungfrau niedergekniet, die, den Rosenkranz vor den Blicken der Umstehenden verbergend, heimlich fiir die Seele des Martyrers betet. Ihr zur Linken steht ein stattlicher Mann in vornehmer Kleidung, ohne Zweifel einer der béhmischen Edelleute, die Huss zum Concil geleitet haben. Auch er betet, aber offen vor Aller Augen, die Ellenbogen auf den Felsabhang gestemmt und die Hinde krampfhaft gefalten. Mehr Erwartung dessen, was da werden soll, als innige Theilnahme, spricht aus dem aufwirts gewandten Kopfe eines Ménches vom Trini- tarierorden. Die Licke zwischen diesem und dem obener- wiahnten Edelmann fillt ein wohlgenahrter ehrsamer Btirger von Constanz in bequem gegiirtelem Rocke und Schnabelhut. Es ist ein bejahrter Mann, der ohne Herzbrechen schon viel in seinem Leben erfahren hat; aber das jetzt ihm.gebotene Schau- spiel rihrt ihm doch das gute pflegmatische Herz bis zu seiner innersten Tiefe. Eine interessantere Erscheinung ist eine zur Linken der Birgers stehende Frauengestalt mit dunklem Haar und Gewand und hellem Kopftuche, die in sinnig betrachtender Haltung das Auge mit dem Ausdruck tiefen Mitgefiihls auf Huss heftet. Die ganze Figur ist im Helldunkel und nur der Kopf wird vom Lichte gestreift. Tiefer in das Bild hinein gewahrt man unter anderen minder auffallenden Zuschauern einen bar- tigen Mann — offenbar ein béhmischer Bauer — der mit in- grimmiger Geberde krampfhaft seinen Knittel packt, als koste es ihm Мате, den Ausbruch seiner Wuth zu hemmen. Sehr bezeichnend fir dic Situation ist cin Augustiner, ganz Jinks am Rande des Bildes, der gesenkiten Hauples und mit tiber der Brust gekreuzten Armen tief in sich versunken steht. Ob er die Ketzer -Sentenz recapitulirt, oder, ob an der Glut des Schei- terhaufens auch in seiner Seele sich cin Licht entatindet? Es liessen sich der interessanten und ausdrucksvollen Fi- guren noch mehrere aufziéhlen, doch aus Riicksicht auf die Ge- duld des Lesers, fir die es nichts Ermiidenderes giebt, als bescariebene Musik und beschriebene Malerei, wollen wir es unterlassen. Damit hatten wir den dusseren Umriss des gewaltigen, mehr als 174 Fuss langen und 114 Fuss hohen Bildes, dessen vordere Figuren mehr als lebensgross sind, zu geben versucht. Unge- achtet der vielfachen Gliederung der reichen Composition ist dem Auge das Ganze doch auf den ersten Blick klar. Kein Theil drangt sich stérend oder die Aufmerksamkeit mehr auf sich ziehend, als der Gegenstand bedingt, hervor, sondern alles Einzelne klingt zu einem vollen harmonischen Accord zusam- men. Ist die Farbung auch nicht eine solche, wie wir sie bei einigen belgischen Meistern zu sehen gewohnt sind, die das Auge besticht und nur zu oft fir andere, sehr wesentliche Man- gel entschidigen muss, so ist sie doch eine in jeder Hinsicht tiichtige und meisterhafte. Das Helldunkel, welches durch Wol- kenschatten motivirt wird, ist farbig und klar, die beleuchteten Partieen sind gesattigt und die Lokalléne sind hier, wie dort, entschieden und harmonisch. Einzelne Theile zeichnen sich als ganz besonders gelungen aus, wie z. B. der Bettelménch dies— seils der Reitergruppe. Diese ordinaire Natur, so charakteri- slisch sie auch fiir viele Mendicanten ist, findet eben keine be- sondere Vorliebe bei uns, aber als Malerei ist sie untibertrefft- lich und wetteifert mit den besten Arbeiten von van der Helst. Die Stimmung des Bildes driickt die trockene Schwiile eines heissen Sommertages vortrefflich aus. Der etwas fahle, mit leichtem Gewélk verschleierte Himmel, der durch das Ge- wtthl aufgeregte Staub, der die Gegenstinde zunachst tiber dem Boden, am auffallendsten aber in der Ferne, einhillt und un- deutlich macht, das Alles vereinigt sich zu der frappantesten Wirkung. Noch grésseres Lob, als alles Uebrige, verdienen Zeich- nung und Charakteristik. Beide zeugen durchweg von dem tiefen Studium und der feinen psychologischen Beobachtungs- gabe, die wir stets bei Lessing bewundert haben. Jede Figur ist ganz sie selbst vom Scheitel bis zur Zehe, geschlossene, le- bendige Individualitét. Manche Gestalten haben ein so entschie-— denes Geprige, dass wir daraus ihre Geschichte entziffern méch- ten. Ausdruck und Geberden sind bei fast allen Personen spre- chend und verstandlich, so verschieden sie auch je nach den Charakteren dem Grade nach sind. Nur bei einigen wenigen sind wir im Zweifel tiber das, was sie wollen. Dieses gilt na- mentlich von dem Baiernherzoge. Indess mag er selbst es auch wohl nicht wissen. Von verschiedenen Seiten hérten wir den Wunsch ausspre- chen, dass im Ganzen die Affekte lebendiger und leidenschaft- licher gehalten sein méchten, sowohl die des Hasses, der Rache und des Triumphes, wie auch die des Schmerzes, der begei- sterten Anhanglichkeit und des Unwillens. Wir kénnen diesen Wunsch nicht theilen, weil er durch die Geschichte nicht ge- rechifertigt wird. Erwage man doch die Umstande, unter de- nen Huss hingerichtet wurde. Er war von Prag weit weg nach Constanz beschieden worden, wo er weder Anhanger seiner Person noch seiner Lehre. hatte, vielleicht ein Paar Freunde abgerechnet, dic ihm dahin gefolgt waren, die aber keinerlei Einfluss auf das Volk dieser Gegend hatten. Dieses wusste von ihm und seiner Lehre vielleicht gar nichts oder hatte doch nur entstellte, dunkele Geriichte dariiber vernommen, wie es ja in jenen Zeiten ohne Offentliche Presse nicht anders sein konnte. Wer sollte dort nun besonders lebhaften Antheil an Hussens Geschick nehmen? Aber auch auf der Seite seincr Gegner hatten Ausbriiche hefliger Affekte keine innere Wahrheit gehabt. Wenn iber- haupt irdische Leidenschaflen, Hass, Neid u. dgl. mit bei der Verurtheilung thatig gewesen waren — Jetzt waren sie befrie- 98% я