230 erscheint dieses Material daselbst nur als partielle Ausnahme und pflegt erst wieder in den Neubauten seit dem 16. Jahr- hundert vorzukommen. Im innern Deutschland, wo die Rémer nicht herrschten, kommt der Ziegelbau im frithen Mittelalter nicht vor, und wo wir ihn, wie in Baiern, bei spiteren gothischen Kirchen erblik- ken, ermangelt er jeder eigenthimlichen Ausbildung, indem er allein im glatten Mauerwerk als Ersatz der fehlenden Hausteine angewendet wird; alle selbstindig decorirten Theile der Archi-~ tektur sind von Hausteinen gebildet, in dem, letzterem eigen- thiimlichen Style und ohne dass eine organische Verbindung beider in Struktur und Farbe so verschiedenartigen Materials versucht worden wire. Doch auch in einem grossen Theile derjenigen Linder, welche der grossen nérdlicheren Ebene Deutschlands angehéren und des gewachsenen Steinmaterials entbehren, und die deshalb auf den Ziegelbau so zu sagen angewiesen sind, wie in Hol- land und dem gréssten Theile des tibrigen alten Niederdeutsch- lands, wesilich der Elbe, findet sich dieselbe Erscheinung, welche wir so eben andeuteten; nur sporadisch erkennen wir daselbst eine eigenthiimliche Ausbildung des Ziegelbaues, meist in will- kiirlichem Wechsel mit Steinbau, wie z. B. in Verden. Ganz anders ist dagegen das Verhiiltniss in den dstlicher gclegenen Gegenden, welche fast ausschliesslich aus urspriing- lich slawischen Landern bestehen, die von den Deutschen nach und nach christianisirt und zum bei weitem gréssten Theile auch germanisirt wurden. Rein germanische Linder sind hier- unter nur der éstlichste Theil Niedersachsens (wo jedoch auch einst bedeutende slawische Elemente vorhanden waren) und Da- nemark; doch gerade diese beiden Gebiete sind in Bezug auf die Art und Bedeutsamkeit der in ihnen vorhandenen Monumente noch nicht geniigend bekannt, weshalb hier vorlaufig die Frage, in wie weit etwa die Mischung germanischer und slawischer Elemente in jenen Gegenden wie in andern Bezichungen, so auch auf die eigenthtimliche Ausbildung der Baukunst einge- wirkt haben mége, nur angedeutet, nicht gelést werden kann. Das Gebiet des ausgebildeten Ziegelbaues erstreckt sich nun, so weit es erforscht ist, von der Nordspitze Dinemarks bis gegen Krakau hin, wo die Vorlaufer des Karpathen-Gebirges schon gleichzeitig auch dem reinen Steinbau sein gleichberech- tigtes Gebiet anweisen. Im Westen reicht dieser eigenthtim- liche Ziegelbau vollstandig ausgebildet im ganzen Gebiet der Altmark und sporadisch bis zur Weser und tiber dieselbe hin- aus; nach Osten hingegen so weit die Herrschaft des deutschen Ordens reicht; wie weit dariiber hinaus, laisst sich nach den vorliegenden Materialien noch nicht bestimmen. Dahin zu rech- nen sind also die gesammte Mark Brandenburg, und nérdlich davon ein Theil des Liineburgischen, Sachsen Lauenburg, Hol- stein, Schleswig, Jiitland und alle danische Inseln, Mecklenburg und Pommern; siidlich der Mark Brandenburg, die magdebur- gischen und chursdchsischen Lander auf dem Flaming und andere jstliche Theile von Chursachsen und Meissen, die Niederlausitz, der bei weitem gréssere Theil von Schlesien, so weit nicht das Gebirge den Steinbau bedingt; ebenso die weiten Ebenen Po- lens, soweit hier deutsche Kultur Wurzel fasste; endlich gegen Nordosten ganz Preussen und alle vom deutschen Orden ab- hingige oder mit ihm verbundene Linder an der Ostsee. Die Ziegelarchitektur in diesen weit ausgedehnten Lander- gebieten, wenngleich auch in ihr sich Eigenthimlichkeiten je nach den einzelnen Gebieligern und Vélkerschaften zeigen, er- scheint dennoch als ein Gesammlganzes. Der Styl zeigt sich oft bis in die kleinsten Details hinein als ein in sich abgeschlos- soner, gegeniiber dem Steinbau, so dass, des Beispiels wegen, dic Details des Domes in Marienwerder denen des Domes in Stendal oder Brandenburg verwandter sind, als wie denen der eignen siidlichen Vorhalle welche aus Stein gearbeitet ist. Die Ausbildung der Ziegelarchitektur im Laufe der Zeit, obschon im Allgemeinen von der des Steinbaues abhingig, bildet den- noch wieder ein in sich geschlossenes Ganze, so dass eine neue Errungenschaft nicht auf eine Provinz beschrankt bleibt, sondern alsbald im ganzen Gebiete des Ziegelbaues Geltung gewinnt. In allen diesen Landern diirfte es kein aus Ziegeln erbautes Bauwerk geben das um mehrere Decennien tiber die Milte des 12. Jahrhunderts hinaufreicht; das dlteste, sicher datirte fallt gerade um diese Mitte selbst; hieraus folgt, dass der Ziegelbau dieser Gegenden nicht an den Bestrebungen Theil nehmen konnie, welche die mittelalterliche Kirchenbaukunst zuerst tiberhaupt begriindeten, da dieses fast schon hundert Jahre zuvor geschah ; wohl aber an jenen, welche zur Begriindung des gothischen Bausystems beitrugen, d.h. auch im Ziegelbau sehen wir die allmihlige Entwicklung des Gewdélbebaues bis zum Gothischen hin, obschon damit nicht gesagt sein soll, dass derselbe an der eigentlichen Erfindung dieses Styles einen Antheil hatte, son- dern nur, dass er nach und nach, wie auch im tibrigen Deutsch- land, alle diejenigen Phasen mit durchmachte, welche die Vor- bereitungen des gothischen Bausystemes und dann die weitern Ausbildungen desselben stets begleiteten und deshalb, in ei- genthiimlich dialektischer Form, Analoga zu denselben bilden. Es ist hier nicht die Absicht eine Gesammtiibersicht der Ziegelbauten in jenem oben beschriebenen weiten Landergebiele zu geben, was gegenwirtig wegen Mangels an Kenniniss aller dieser Gebiete noch nicht einmal méglich sein mégte, sondern nur in einem derselben, der Mark Brandenburg, jene fortschrei- tende Entwicklung bis zur Bliithezeit der gothischen Baukunst nachzuweisen, Theils liegen uns hierfiir die Beispiele am voll- stindigsten vor Augen, theils auch dirfte dieses, unser naheres Vaterland, deshalb die meiste Beobachtung verdienen, da sich hier sowohl die dltesten Beispiele dieses Baukreises als auch die am héchsten vollendeten vorfinden. Ich nenne hier zuerst nur im Voriibergehen ein Gebaude, das man gewohnlich an die Spitze der der Mark Brandenburg angehérigen Architekturen stellt, namlich die leider im Anfange des vorigen Jahrhunderts zerstérte Marienkirche auf dem Har- lunger Berge bei Brandenburg. Nur einige altere Abbildungen auf Gemalden aus der Zeit vor ihrer Zerstérung und ein klei- nes Modell, das vielleicht erst nach jenen Abbildungen ange- fertigt ist, zeigen die friihere Gestalt dieser Kirche, doch schon in der Zeit, wo sie ihrem Verfalle entgegenging; wber das Detail aber, welches fir Bestimmung der Erbauungszeit vor- zliglich bedeutend ist, sind wir vollig im Dunkel. Die qua- dratische Anordnung des Grundrisses mit ihren vier Thiirmen und vier Absidenvorlagen steht in der deutschen Architektur einzig da, so dass sie immer noch genug an orientalisch-—by- zantinische Bauformen erinnert, wenn schon die in den Abbil- dungen so auffilligen Halbkuppeldacher der Absiden urspring- lich wohl, wie anderwarts, mit gewéhnlichen Dachern tiber- deckt waren. Kurfiirst Friedrichs I. Stiftungsurkunden des Schwanenordens von 1440 und 1445 ) nennen den letzten Wen- denkénig Heinrich, oder Pribislav als ihren Erbauer, wonach sie in die Zeit zwischen 1136, wo er getauft ward, und 1142 oder 43, wo er starb, fallen wiirde. Die erste urkundliche Erwahnung finden wir jedoch erst im J. 1165, wo sie dem Dom- kapitel nebst der Golthards—Kirche durch Bischof Wilmar be~ stiiligt wurde. Dass das Gebaude nicht vollig in einer und der- 1) S. v. Stillfried: der Schwanenorden. 1840. 8. 30.33. Daselbst auch eine Abbildung der Kirche.