welchen sich der Kunstler zum Vorbilde genommen haben mag.
Mehr allgemeinen Charakters ist das Gesicht des Arztes, wel-
cher auf der andern Seite des Krankenbettes als Rathgeber fir
das Leibliche den Gegensatz zum Seelenarzte darstellt. Er
halt ein Glas ans Licht empor und scheint, den Kranken auf-
gebend, nur noch die chemische Ursache des Todes erforschen
zu wollen: eine in der That prophetische Hindeutune auf die
	neuere Medicin, welche, je mehr sie die verwickelten Entste-
	hungsursacnen der Krankheiten und die Tiefen der Natur ahnen
lernt, sich um so deutlicher von der Ohnmacht kiinstlicher
Hilfe tiberzeugt. — Auch die Facultét der Juristen ist nicht
vergessen, denn hinter dem Geistlichen sitzt ein Notar, wel-
chen das mit den Worten:
»Der Erblasser widmet Gott seine Seele, der Erde seinen
Leib, den Anverwandten seine Giiter“
beginnende Testament niederschreibt. Sollte er wirklich noch
nicht weiter geschrieben haben, so ist es zu spat, denn schon
schwebt die Seele tiber dem Sterbelager und betet:
» Wenn ich auch gestindigt habe, so habe ich doch dich, mein
Gott, niemals verleugnet! *
Dies ist freilich, da der alte Schmidtburg unten noch lebt, ein
Zeitwiderspruch, mit welchem man es jedoch bei alteren Malern
nicht so genau nehmen darf und welcher nach dem Plane der
theilweise sinnbildlichen Darstellung tberhaupt nicht zu ver-
meiden war.

Die Seele Schmidtburgs befindet sich in grosser Bedrang-
niss, denn von ihrer linken Seite fliegen drei Teufel gegen sie
heran und halten ihr Schuldzettel vor, in welchen:

»Die Stinden der Jugend, des Mannesalters und «es letzten

Jahres “
verzeichnet sind, wahrend rechts der hiilfreiche Engel mit dem
Verzeichniss

„Чег guien Werke“

einen schwachen Gegensatz zu bilden scheint. Indess deutet
die segnende Hand desselben an, dass die Scele Gnade finden
werde. Ueber jene Stinden des letzten Jahres erhalten wir
niheren Aufschluss; denn unter dem Rachen der Hélle, welche
in Gestalt eines ungeheueren Wallfisches (wie eines vorwelt-
lichen Hydrarchos) dargestellt ist, krallt ein Teufel hervor und
schreit dem Sterbenden die bittern Worte zu:

Du musst schier verzweifeln, da Du alle Gebote Gettes

nachlassig, die meinigen hingegen unter Mitwirkung dei-

ner Frau stets eifrig befolgt hast!“
Ueber dieses plétzliche Intermezzo scheint (ein naiver mensch-
licher Gedanke) der andere Engel besorgt zu erschrecken,
welcher dem Geistlichen in der Beruhigung des Sterbenden
beisteht. Der alte Schmidtburg hatie sich also vermuthlich in
spaiteren Lebensjahren zum zweiten Male verehlicht und sich
zu manchen Schwachheiten verleiten lassen. Die junge schéne
Frau steht auf der rechten Seite des Krankenbettes (im Bilde
links) und betet fiir den Sterbenden, aber mit falscher Miene
und in Prunkkleidern, wahrend zwei Manner (ihr Vater und
Bruder?) beschaftigt sind, die Geldkasten Schmidtburgs auszu-
leeren, bevor dieser die Augen geschlossen hat.

Dr. Schmidthurg (der Sohn) war also vielleicht durch die
Stiefmutter und deren Anhang aus des Vaters Hause verdrangt
und ein Theil des vaterlichen Vermégens verschwendet oder
sogar veruntreut worden. Gleichwohl wiinschte er cin Anden-
ken an seinen zwar schwachen aber guten Vater zu besitzen
und bestellte daher bei Lucas Kranach das vorliegende Gemalde,
in welchem das betreffende Verhaliniss zwar unverhohlen dar-
gestellt, die Seele des Vaters aber gerettet werden sollte. Es
lasst sich indess auch die Deutung des Bildes dahin modifici-
ren, dass man annimmt, der altere Sehmidtburg habe noch vor
	dem Abieben seine Fehler bereut und eine Begrabniss-Capelle
gestiftet (welche man im obern Abschnitte erblickt), so dass
das Gemalde in Folge seiner Verordnung oder doch im Sinne
derselben bestellt und vielleicht in der Capelle selbst angebracht
worden sei.

Die beiden Brustbilder an den obern Ecken des Gemaldes
haben ein so entschiedenes Familiengeprage, dass sie als Por-
traits oder Copien zu betrachten sind. Unzweifelhaft stellt das
Brustbild linker Hand den dlteren Schmidtburg dar, denn die
Aehnlichkeit mit dem Sterbenden ist nicht zu verkennen. Das
Brustbild rechter Hand scheint eine Schwester des Dr. Schmidt-
burg vorzustellen, denn ihr Profil ahnelt auffallend dem dlteren
Schmidtburg (dem Kopf linker Hand). Uebrigens liegt die Ver-
muthung nahe, dass der Dr. Schmidtburg ein Mitglied des Leip-
ziger Rathes gewesen, und dass; weil er nur eine Tochter hin-
terliess, oder die Stiftung einging, das Bild spater an die
Rathsbibliothek gelangt sei.

Das Museum der Stadt Leipzig besitzt in diesem Gemiilde
ein so eigenthiimliches und seltenes Kunstprodukt Meister Kra-
nachs, dass ihm schwerlich ein ahnliches zur Seite stehen
dirfie. Es ist einerseits eine religids~moralische, andererseits
eine dramatisch ~satyrische Darstellung, welche an die soge~
nannten Mysterien erinnert, aber schon eine freiere Richtung
des Glaubens bekundet. Die Seele gelangt namlich nach der
Trennung vom Ko6rper nicht erst an einen Zwischenort (Fege-
feuer), sondern unmittelbar in die Nahe des ewigen Richters,
und ihr Schicksal wird nicht erst nach langem Todesschlafe bei
der Auferstehung, sondern sofort entschieden. Es stellt sich
an dem Bilde recht lebhaft der schéne Gedanke dar, dass im
Reiche des himmlischen Vaters nicht unerbittliche Senge, son-
dern auch Milde und Barmherzigkeit walte, und die Firsprache
der Heiligen erscheint mehr wie das freundliche Entgegenkom-
men der durch Tugend verwandten Seelen. Die Verbildlichung
des Uebersinnlichen ist freilich im Geiste der Zeit dargestellt,
macht aber auch jetzt noch auf den fiihlenden Beschauer einen
tiefen Eindruck, indem sie das ernste Todtengericht veran-
schaulicht, vor welchem jeder Sterbliche einst erscheinen muss.

Versetzt man sich aber besonders in die Zeitvorstellung
Lukas Kranachs, so verdient derselbe um so отбззеге Aner-
kennung fiir die sinnvollen Gedanken und zarten Empfindungen,
welche er in sein Gemalde zu legen gewusst hat. Das schénste
Gesicht darin ist in Form und Farbe das der jungen Frau,
welche am Sterbebette betet. Es liegt in ihm die verfihre~
rische 4ussere Schénheit, welche zuweilen auch das besonnene
Alter bertickt und zur Thorheit verleitet, zugleich aber auch
die Falschheit des Herzens und das bittere Bewusstsein, wel-
ches eine Folge innerer Zwietracht ist. Welche vertrauensvolle
Gitte und Seelenruhe wohnt dagegen in dem Angesicht der
Maria und mit welcher innigen Herzlichkeit bitten die himmli-
schen Flirsprecher in beiden Gruppen fir die unbekannte Seele,
als ob es ein geliebter Bruder oder trauter Freund sei. — Gott-
Vater ist etwas streng dargestellt und im Christuskopf mehr
das Leiden des Kreuzestodes veranschaulitht. Die Gesichter
der Engel sind zu feist und tragen ein gleichférmiges Gepriige,
wie auch der Notar und Arzt. Dagegen ist in der Physiogno-
mie des Geistlichen der Ernst des heiligen. Berufs, und gegen-
sitzlich in dem Manne, welche die Truhe aufschliesst, die un-
berufene Heillosigkeit treffend ausgedrickt. Im Sterbenden
giebt sich der angstliche Eifer kund, mit welchem er die letzten
Tréstungen ergreift, und vorziiglich gelungen ist der Ausdruck
der Seele, welche, wahrend sie sich belend zu Gott aufschwingt,
mit bitterer Reue auf das vorgehaltene Verzeichniss ihrer Stin-
den hinblickt.

Im Einzelnen offenbart sich der ganze Fleiss. welcher dem