tiefgedacht Holbein’s Erweiterung ihrer urspriinglichen Zah!. —
Durch die Vorsorge der Verlagshandlung kénnen wir tbrigens
unsern Lesern eins der Merkel’schen Bilder und Flegel’schen
	SPP GEL NE
	Holzschnitte hier vor Augen fthren.,
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	Todtengraber in dic Grube, die er eben noch einem Anderen,
zum Thore Herausgetragenen, grabt) — Greis (der Tod ge-
leitet den Gebeugten durch das Kirchhofsthor zum Grabe bei
winterlichem Mondenschein) — Auferstehung (der Tod beugt
sich vor dem aus der Grabesgruft hervortretenden Herrn):

Es hat der Tod sein Werk vollbracht:

Was lebte hat das Grab verschlungen;

Doch hat der Geist aus Grabes Nacht

Zum Lichte sich emporgerungen;

Ein neues Leben ist erslanden, —

Des Todes Herrschaft ward zu Schanden!
Den iibrigen Bildern sind nur je zwei Reimzeilen beigegeben,
von denen mir, so gelungen das Bild ist, die beim ,, Kinde“
verfehlt erscheinen:

Die Lerche singt und die Sonne scheint,

Das Kind in der Schule muss lernen — und weint;
verfehlt, weil sie, an sich ganz gut und eine richtige in sich
abgeschlossene Betrachtung enthaltend, hier dennoch aus der
Rolle fallen. Erinnern die dem Greise beigegebenen wie das
Bild selbst an Vorbilder, erinnert ferner der Lebenstber-
druss, den der Tod fliecht, an den Holbein’schen kranken Bettler
auf dem Stroh, der den Tod ruft, dem dieser (und jenem allein
von Allen) nicht kommt, so ist an den meisten Blattern viel
Sinniges anzuerkennen. Der Todtengraber, der sich selber
die Grube gribt, der Handwerker, der sich selber seinen
Todtenschrein fertigt, der Arzt, der, wahrend er zum Leben
verhelfen will, selber dem Tode verfallt, der Bauer, der wah-
rend er die Saat maht, selbst unter die Sichel falls — das sind
schliechte, ungesuchte, volksverstandliche, darum gewiss wirk-
same Bilder. Sie sind in modernes Gewand oder Gewander
gekleidet, doch meist schén gezeichnet. Der bei der Wiege
des Kindes die Laute spielende Tod, der in der Schule morali-
sirende sind trefflich gehalten; ergreifend und schén verschlungen
die heftige Gruppe, wie der Tod die appig hoffende Jungfrau
	dem vom Bodenlager nachstirzenden Jinglinge entreisst. Der
	wilde Tanz, den der Tod aufspielt, spricht auch dem wildesten
Paare zu Herzen (oder auch nicht); der Tod als Kupplerin oder
die Jenem verfallende Unschuld ist erschiitternd; das Duell ge-
lungen gezeichnet (nicht vielen Kinstlern bekanntlich gelingt
die einfachste Darstellung lebendiger Leibesbewegung oder Lei-
besiibung, namentlich wenn sie den borghesischen Fechter in
seiner Doppelbewegung nachahmen wollen); der aufwiegelnde
Tod mit den aufgeschiirten Massen ist wahr und lebendig; eben
so der Selbstmord. Einige Blatter dagegen sprechen oder zie-
hen weniger an, besonders die Eitelkeit, der Delinquent. Am
wenigsten aber befriedigt die Schlussgestalt des Heilandes, die
zu kurz ist und kein Heilands-, keines Auferstandenen Sieges-
gesicht trigt, Die mehrfach, ja meist verfehlte Fleischpanze-
rung des Rumpfes beim Tode, die sich an seinem Pferde auf
dem Titelblatte (s. oben) gewissermassen wiederholt, haben wir
bereits geriigt: sie ist aber auch kiinstlerisch dfter verfehlt und
wirkt mehrmals sogar unangenehm.

Auch mit der Auswahl wie Folge der Bilder kénnen wir
uns nicht ganz einverstanden erklaren. Selbst wenn wir die
Folge der Bilder so gruppen: Pest. Hunger. Krieg — Saug-
ling. Kind. Jungfrau — Eitelkeit. Tanzen. Kupplerin — Saufen.
Spielen — Duell. Aufwiegler — Delinquent. Selbstmord. Le-
bensttberdruss — Bauer. Handwerker. Arzt. Kiinstler. Soldat.
Todtengraber — Greis — Auferstehung; so kommt Willkir
bei der Auswahl, Liicken mancher Ari, Auseinanderreissen des
natiirlich Zusammengehérigen, unbegriindete Paarung des Nicht-
zusammengehorigen, Spalten oder Vervielfaltigen des Zunahe-
liegenden u. s. w. nur zu sehr dabei zu Tage. Wie begriindet
ist dagegen die Urfolge der alten dffentlichen Todtenlinze, wie
	Nachdem wir so, wie ich glaube, der Gegenwart ihr Recnt,
ihre Ehre angethan haben, gehen wir noch zu Sotzmann’s
geschichtlicher und kunstgeschichllicher Einleitung zu_,Hol-
bein’s Altem Testamente* zuriick, dessen Nachbildung wie jene
Bilder des Todés gleichfalls in Leipzig erschienen sind. Jene
Einleitung beginnt wiirdig mit dem Anlasse zu den gleich nach
der Kirchenverbesserung so vielfach hervortretenden Bil-
dern zur HeiligenSchrift, an denen sich die ausgezeichnet-
sten Kiinstler der Zeit betheiligten. Welcher rasche Unterschied
und Umschwung ist auch hier zwischen den Leistungen der vor-
ausgegangenen Biblia pauperum und jenen mit Liebe, Begeisterung
und héchster Leistung ausgefiihrten Bildern sichtbar! Freilich
welche Zeit! welche Angelegenheit! Neben einem Luther
daher ein Diirer, ein Kranach, ein Holbein! Wie stechen
neben deren Bilderbibeln oder Bibelbildern schon die nachsten,
mehr fabrikmassigen, obschon nicht ungeschickten Arbeiten
eines S. Beheim, Jost Ammon, Virgil Solis, Tobias
Stimmer ab! — Wie haben jene Kunstreformatoren zugleich
»das durstige Volk (durch das Bild, wie Luther durch das
Wort) am neueréffneten Urquell zu tranken* gewusst! Wie
durch die Buchdruckerei fir allgemeine Verbreitung des Wort-
textes, so wird fir anschauliche Einpragung des Wortinhaltes
durch das Mittel des Holzschnittes gesorgt! Und wie blihte
dieser auf! Mit vollem Rechte wendet sich der Trieb unsrer
Tage jenen kraftigen Begleitern der Reformation und nament-
lich den kiinstlerisch vollendeten Leistungen eines Hans L itz el-
burger wieder zu, denen in seiner Zeit selbst die schénen
Nachschnitte bei Vaupris oder Valprisius in Verfedig nicht nach~
kamen. In Liitzelburger’s Arbeilen ist eine innige Verbriide-
rung oder Verschmelzung des erfindenden und des wiederge-
benden Kiinstlergeistes vor sich gegangen; hier hat der Holz-
schneider mehr gethan, als den Aufriss todt nachgeschnitten:
das heisst inniges Versténdniss und theilnehmendste Liebe zum