Е. 969 Cranach’s einen kunstlerischen Werth erhalten, der dem voll- stindigen Exemplare der Wiener Bibliothek abgeht. Die erste Ausgabe der Diirer’schen Zeichnungen in Lithographieen von N. Strixner wurde im Jahre 1808 durch Freiherrn Christoph von Aretin unter dem Titel ,Albrecht Direr’s christlich - mytho- logische Handzeichnungen“ veranlasst. Es war eine Doppelaus- gabe: die eine in farbigen, die andre, geringere, in schwarzen Abdriicken. Der Innenraum war leer gelassen, so dass die Schépfungen des Meisters ihrer bestimmten Beziehungen ent- kleidet wurden. Ein sehlechter Nachdruck dieser Ausgabe er- schien 1817 in London bei M. Ackermann , Albrecht Diirer’s designs of the prayerbook.“ Eine andre, bessere Copie der Strixner’schen Zeichnungen, die den Namen und die Originalitat Strixner’s usurpirte, kam 1820 im Verlag der lithographischen Anstalt von J. Stunz in Miinchen heraus. Sie fihrt den Titel » Oratio dominica polyglotta* von dem in den Schriftzeichen von 38 verschiedenen Sprachen hineingedruckten Vaterunser. Durch unbegreifliches Verschwinden der Originalplatten galt diese Copie lange Zeit fiir das urspriingliche Strixner’sche Werk, bis endlich unter demselben Titel und in gleicher Anordnung F. X. Stéger durch die lithographische Anstalt von J. B. Dresely in Miinchen die wieder aufgefundenen Originalplatten neu her~- ausgab. 13 unbrauchbar gewordene oder abhanden gekommene wurden neu gezeichnet, und Diirer’s Portrait, nach dem be- kannten Bilde des Meisters in der Pinakothek, mit dem Pinsel auf Stein ibertragen, vorn hinzugefiigt. In genauer Befolgung der Zeichnungen wurden sechs Tafeln in rother, dreizehn in griiner, die tibrigen sechs und zwanzig in violetter Dinte ge- druekt. Auch hier waren also durch den willkirlich hinzuge- figten Text die Darstellungen des Kiinstlers aus ihrem urspriing- lichen Boden herausgerissen und konnten sich nur als absichts— lose Spiele der Phantasie geltend machen. Um so mehr miissen wir es dem Veranstalter der vor uns liegenden neuesten Aus- gabe danken, dass er durch Hinzufiigung der betreffenden Tex- tesstellen die Schépfungen des grossen deutschen Meisters in ihr angestammtes Erdreich zurtickverpflanzt hat. Nun erst kén- nen sie uns ihre Bedeutung der ganzen Tiefe und Fille nach - darlegen. Der andre Zweck der gegenwartigen Ausgabe kiin- digt sich dahin an, ,den Freunden der Kunst und der Typo- graphie Zeugniss zu geben von dem Kunstfleiss zu Anfang des 16. Jahrhunderts, der sich sowohl durch Form und Gestalt der Typen und Schriftztige, sowie durch die Tiefe und Schénheit der Druckfarben, als auch die geschmackvolle Eleganaz der ge- sammten Anordnung vor allen ahnlichen Hervorbringungen der Presse auszeichnet. “ Der Doppelzweck ist vollsténdig erreicht, und die Art der Ausstattung, die Trefflichkeit des Papieres und Druckes liefert einen neuen Beweis, dass die deutsche Typographie gegen- wartig der anderer Linder ebenbiirtig ist. Zu diesen Vorztigen der vorliegenden Ausgabe gesellt sich noch das besondre Ver- dienst, dass eine Einleitung von F. X. Stéger beigegeben ist. Sie enthalt die ausfiihrlichsten Nachrichten iiber die friiheren Ausgaben, genaue Beschreibung der beiden Exemplare, eine Untersuchung tiber den Ursprung des Gebetbuches und Bemer- kungen iber die Typographie desselben. Diesen Notizen ent~- nehmen wir, dass das Miinchener Exemplar ein kleiner Folio- band ist, gedruckt auf feines, ziemlich weisses Kalbspergament. Die ersten sechs, mit rosenrother Dinte ausgeftihrten Zeich- nungen sind sehr verwischt und mattfarbig; die sicbente, griine, ist schon deutlich, noch mehr die andern. Im Wiener Exem- plar fehlen die grossen Anfangsbuchstaben; im Miinchener Exem- plar sind sie hineingemalt, golden auf farbigem, meist blauem Grund. Die ersten Versalbuchstaben bei den Versen der Psal- men, so wie die meisten Anfangsbuchstaben, sind mit dem leb- haftesten Roth gedruckt. Manche Buchstaben sind mit Schnor- kelziigen versehen. An der manchmal blasseren Schwarze und dem bisweilen ungenauen Ansatz derselben ersieht man, dass die Buchstaben aus mehreren zusammensetzbaren Theilen ge- gossen waren. Der Theuerdank, dessen typographischer Vor- laufer das Maximilian’sche Gebetbuch war, ist ebenso gedruckt. Durch alles Das erhalten beide Drucke den Anschein von Ma- nuscripten. Schon Heller (Leben und Werke Durer’s, II. S. 55) hat es wahrscheinlich gemacht, dass Kaiser Maximilian selbst der Ver- fasser des Gebetbuches sei. Stéger erhebt durch dussere und imere Griinde es fast zur Gewissheit, dass der Kaiser die Ge- bete und Psalmen selbst ausgewahlt, geordnet, vielleicht theil- weise auch selbst bearbeitet hat. Ganz vollendet wurde das Werk jedoch niemals: von Diirer’s Hand sind nur 45 Blatter mit Zeichnungen versehen, denen sich acht von Lukas Cranach ) anschliessen. Beide Meister haben ihre Monogramme und das Enistehungsjahr 1515 hinzugefiigt. Andere typographische Un- ternehmungeu, zu deren wiirdiger Ausstattung Direr’s Hiilfe nothwendig schien, die Herausgabe des Theuerdanks und der Ehrenpforte, beschaftigten zur selben Zeit den Kaiser und mochten bewirken, dass dem Meister zur Ausschmiickung des ganzen Gebetbuches, die ohne Zweifel anfangs beabsichtigt war, keine Musse tibrig blieb. Doch auch so gehéren die Direr’schen Handzeichnungen unter die késtlichsten Schatze, die uns von dem grossen Meister geblieben sind. In diesen Ergiissen einer reichen kiinstlerischen Phantasie, die so leicht mit der Feder hingehaucht sind, athmet die grésste Frische und Unmittelbarkeit der Conception. Hier weilen wir an der Quelle und beobachten mit Entzticken die sprudelnde Urspriinglichkeit des Diirer’schen Genius, dies an- muthige Gemisch von Laune und Ernst, hier neckisch tber Kiesel hiipfend, mit bunten Blumen kosend, dort wieder ernst- haft tiber tiefdunklen Grand hingleitend. Wie gern vergessen wir fir den Augenblick die grossen Werke, in denen der Quell zum Strome geworden ist, dessen machtige Wogen ein ganzes, volles Leben spiegeln. Und auch hier, wo doch nur die ge- schmackvolle Ausfillung eines gegebenen, engbegranzten Rau- mes Zweck war, welch unerschépflicher Reichthum des Geistes, welch ireue Auffassung des Lebens bis in die feinsten Details, welch lebhaftes Gefihl fiir das Hohe, Ernste sowohl, als fir das derbere Gebahren des biirgerlichen Daseins, die хамегеп Aeusserungen sinniger, naiver Anmuth! Feierlich religiése Dar~ stellungen wechseln mit groteskkomischen Scenen, Thier- und Pflanzenleben durchschlingen sich gegenseitig, und tuber alles Das breitet eine ippig wuchernde Phantasie, dem rankenden Eppich gleich, ihre tausend bunten Faden, Den allgemeinen Charakter dieser reizvollen Zeichnungen wissen wir nicht besser zu bezeichnen, als mit den einleitenden Worten Stogers: , Hier ist Wahrheit der Auffassung, inneres, urspriingliches Leben, welches sich bald auf eine tiefreligiése und ernste, bald auf eine launig phantastische, immer aber sinnige, gemiithreiche, tiefgefiihlte, klarversténdliche und geschmackvolle Weise in diesen scheinbar nur eben leicht hingeworfenen Umrissen und Schraffirungen und auf diesem so engbegranzten Raume in reich- ster Fille ergossen hat.“ Nicht so vollkommen konnen wir der andern Versicherung Stéger’s beipflichten, dass die Zeichnungen sich ,,tiberall charakteristisch und sinnvoll’ dem Texte und sei- nen oft nur leisen Andeutungen anschliessen;“ manchmal hat die Phantasie den Kiinstler aus den engen Schranken des Tex- tes in ihre unbegrenzten Reiche hinausgelockt. 1) Herausgegeben 1818 in Miinchen. Zeller’sche Offizin: » Nachtrag zu den christlich-mythologischen Handzeichnungen,“ Mit genaueren Nachrichten aber den Text von J. B. Bernhart.