noch und lauschen mit seitwartsgebogenem Halse; minder leicht enthusiasmirt sind die Hahne: in ihnen scheint das Gefiihl von der Wiirde eines Familienvaters und ehrsamen Btirgers noch die Oberhand zu haben, aber auf wie lange? — alles Das ist voll der gesundesten, késtlichsten Komik, reich an feinen iro- nischen Beziigen auf menschliches Gebahren. Auch an christlich-symbolischen Darstellungen aus der Thierwelt fehlt es nicht. Wir machen auf ein Blatt aufmerksam, welches ein Einhorn gegeniiber einem Vogel zeigt. Die bei- gegebene Erklarung halt den Vogel fir einen Strauss und sieht darin eine Anspielung auf die Menschwerdung Christi. Naher liegt es, in dem Vogel einen Phénix zu vermuthen, da diese Zusammenordnung in der angegebenen Deutung beliebt war ). —. Andre Darstellungen, wie der mit einem Insekt kampfende Lowe, der Strauss mit der Schildkréte, der Hirsch gegen den Lowen, mogen ihre Deulung in einem ethischen Grundgedan- ken haben. Manche Scenen sind dadurch von besonderem Interesse, dass sie das btirgerliche Leben jener Zeit, manchmal in derber Komik, darstellen. In solchen Bildern zeigt Diirer’s Auffassung von einem merkwirdig feinen, treuen Sinn fir das Reale. Da- hin gehdrt eine Gruppe von vier Tanzenden, als naive Erliute- rung der Textesworte: jubilate Deo omnis terra; ferner eine Frau in der Tracht damaliger Zeit, die mit dem gewichtigen Schlisselbund neben dem Rosenkranz, mit einem Sieb und ei- nem Korbe mit Eiern vom Markte heimkehrt. Aus dem Um- stande, dass diese Figur neben den Worten: in omnibus requiem quaesivi angebracht ist, hat man vermuthen wollen, dass Direr hiermit seine Frau gemeint habe, vor der der gute Meister al- lerdings oft genug vergeblich Ruhe gesucht haben mag. Ent- scheiden lasst sich nicht wohl dariiber; doch ist dem Diirer- schen Humor ein solcher Scherz wohl zuzutrauen. Eben so trefflich gedacht wie ausgefiihrt ist die Paraphrase zu dem Texte: propriae suae fragilitatis cognitio: Ein kranker Arat in langem Talar und aufgeklemmter Brille mit dem Uringlase. Zwei Darstellungen erinnern an die schon damals auftretenden Tod- tenténze: einmal ist es ein Ritter, der gegen ein scheussliches Todtengerippe, das ihm mit Bahrtuch und Stundenglas entgegen- iritt, mit geziicktem Schwerte ankampft; ein andermal jagt der Knochenmann mit geschwungener Sense hinter einem fliehenden Ritter drein. Mehrmals begegnen wir Kampfesscenen. Hier beobachten wir jedesmal das Eigenthtimliche, dass auf der Seite der schwa- cheren Partei oben in den Liiften ein Engel angeordnet ist, der durch seine Fiirbitte, wie wir deuilich gewahren, dem kleineren auf Gott vertrauenden Theil den Sieg erwirkt. Von besonderem Humor ist eine Darstellung des h. Hieronymus, ein Gegenstand, der dem phantastischen Sinne jener Zeiten lange eine sehr will- kommene Ausbeute gewesen ist. Eine Frau in birgerlichem Anzuge, die nach unseren Schonheitsbegriffen eben nicht viel Verlockendes haben wiirde, hat sich breitspurig vor den Aske- ten gestellt, ihn zu versuchen. Thr Complice, der Satan, ein wahres Schelmengesicht, hat. sich hinter ihn geschlichen; die Einfliisterungen des argen Gesellen sind sehr naiv durch einen Blasebalg angedeutet, den er gegen den Eremiten in Bewegung setzt. —- Noch eine merkwiirdige Darstellung ist die, welche den Psalm: ,contra potentes“ begleitet. Unten auf reichem Wagen ein Herrscher mit Krone, Scepter und Reichsapfel: neben ihn 1) So auf einem Oelgemalde der K6Jnischen Schule in 8. Sebald in Niirmberg, wo in ahnlich symbolisirender Weise Phénix und Einhorn, so wie Pelikan und Lowe zusammengestellt sind. Zu der Zahl verwandter Dar- stellungen fiige ich ein weniger gekanntes Beispiel, ein Relief auf einem Saulenkapital der Kirche zu Hamersleben (1106), wo zu beiden Seiten eines Palmenbaumes Lowe und Pelikan abgebildet sind. Wie alle grossen Manner, mégen sie noch so sehr ihre Mitlebenden tberragen, doch als ichte Kinder ihrer Zeit in manche Vorstellungen und Anschauungen derselben festgebannt sind, so war es auch Diirer. Jener allgemeine Hang zum Phantastischen, ein hervorstechender Grundzug aller germani- schen Stamme, vornehmlich des christlich - germanischen Mittel- alters, der sich vielfach lahmend an die fortschreitende Ent- wickelung der romantischen Kunst geheftet hat, legt sich auch bei Direr mehrfach wie ein tribendcr Nebelschleier iber die Gebilde seiner Kinstlerhand. Dies Hinausschweifen der Phan- iasie ins Formlose, Barocke, Ungeheuerliche ist ibrigens eine Kinderkrankheit sowohl bei den Individuen, als bei den Nationen. Erst einer vollendeten Kunst, wie der griechischen in ihrer reinsten Bliithezeit, gelingt es, die iiberstrémende Kraft in die Schranken des Masses zurickzudimmen; und nur Die, welche das Product der Willkiir, die Ziigellosigkeit, mit dem Resultate der Nothwendigkeit, der Freiheit, verwechseln, kénnen das Ty- rannei schelten. Auch Direr steht zuweilen noch in den Kin- derschuhen seiner Zeit: hier in den Zeichnungen offenbart jener phantastische Zug sich gunachst in manchen fabelhaften Lind- - wurm- und Drachengestalten; noch allgemeiner jedoch in den Pflanzenbildungen, die weit seltner dem vegelativen Leben, als dem Boden der Phantasie entstammen. Diesem Verhialtniss schreiben wir manches Unorganische, selbst Unschéne in der Fiihrung der Hauptlinien zu, was an andern Stellen, wo Motive aus dem vegetativen Leben vorwalten, zuricktritt. Dahin ge- horen auch die kiinstlich verzogenen Schreibschnérkel, ,deren labyrinthische Windungen,“ um mit Stéger zu reden, ,nicht das Werk blos mechanischer Handfertigkeit, sondern einer leb- haft erregten und lebendig schaffenden Phantasie und, wie die luftigen abendlichen Wolkengebilde, in buntem, phantasmagori- schem Wechselspiel uns bald Thiere, bald Menschenkdpfe, bald andere Formen und Gestalten vor das getdéuschte Auge fihren. “ Uniibertrefflich zeigt sich Diirer in Darstellungen des Thier- lebens; hierin, so wie in der mannichfalligen Beweglichkeit des schépferischen Genius kénnen wir ihn mit Kaulbach vergleichen. Beide Meister scheinen die Psychologie der Thierwelt studirt zu haben, so voll treffender, wahrer Ziige sind Beider dahin gehérige Schépfungen. In den Diirerschen Blattern finden wir die Thiere bald in humoristisch-parodirender, bald in christ- lich-mythologischer, bald in einfacher beziehungsloser Weise dargestellt. Die leiztere Gattung ist an Zahl die tiberwiegende: da sehen wir einen Affen, der eine Frucht gestohlen; Végel, listern nach Blumen pickend; spielende Hasen; Bilder aus dem Jagdleben, Hunde auf der Fahrle, Falken auf ihre Beute herab- stossend. Alles mit der gréssten Leichtigkeit, Correctheit und Lebenswahrheit gezeichnet. Unter den parodirenden Darstellungen fallen uns zwei be- - gonders auf. Die eine auf einem Blatte, welches den Konig David auf der Harfe spielend zeigt; oben sieht man Gott Vater mit der Krone auf den Wolken thronend; unten steht ein Storch oder Pelikan aufrecht, mit lang emporgesirecktem Halse, ganz in der Stellung eines inbriinstig zum Himmel Hinaufbetenden. Die andere Parodie befindet sich neben dem Text des Vater- unsers und erlautert in ergétzlicher Weise die Worte: et ne nos inducas in tentationem. Die Versuchung erscheint hier in der Gestalt Meister Reineke’s, der sitzend so stiss auf der Fléte blast, dass eine Anzahl von kunstsinnigen Hihnern dem unwi- derstehlichen Musikus hastig zulauft. Der listige Schalksaus- druck in den Ziigen des seltsamen Flotisten, die Liisternheit in den Stellungen der leichtverfihrbaren Hihner, — einige sind in vollem Rennen, den Kopf vorgestreckt, ventre @ terre, wah- rend das Bewusstsein der drohenden Gefahr nur noch in den widerstrebenden Fiissen zu wohnen scheint; andre halten sich