Dewilehes aeltung lir bildende Kunst und Baukunst. ий Organ der deutschen Kunstvereine. Unter Mitwirkung von Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Diisseldorf — Schnaase in Berlin — Schulz in Dresden — FGrster in Minchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien Ae 36. redigirt von Dr. FE. Eggers in Berlin. Hin Gang durch das neue Museum zu Berlin. Von Vineenz. (Fortsetzung.) Montag, den 9. September. 1850. Blithe wird noch ubler mitgespielt, man lasst sie in die lange Wand ein, den Fenstern gegeniiber, man beraubt sie des Sei- tenlichts, das ihre Bedingung, ihr Lebenslicht ist, und die Land schaften ihnen zu Haupten, mit denen man sie ehren will, wer- den ihnen den Rest geben. Ein Kiinstler, der auf den Ruhm der Antike neidisch ware, hatte mit allen Feinheiten der Bos- heit keinen unvortheilhafteren Platz auffinden kénnen, als den hier dilettantistischer guter Wille geschaffen hat. In demselben Saal, dem Eingang gegentiber, sehen Sie noch ein wunderbares Kunstwerk, dem derselbe gute Wille einen nicht minder schlechten Dienst geleistet hat. Das Tym- panon eines griechischen Tempels, nach Bétticher’schen Princi- pien polychromatisch ausgefiihrt — ein interessantes Model — ist an die Wand angeheftet, zu niedrig iber dem Fussboden, um irgend Eindruck zu machen und mit seinen Akroterien so hart unter der Decke, dass sich das Ganze kiimmerlich eingeklemmt, ohne Luft, ohne Halt ausnimmt, abgesehen von dem verletzen- den Eindruck des dreieckigen Giebels unter der flachgewélbten Decke, und abgesehen von den verstiimmelten spitzen Giebel- winkeln, fiir deren volle Ausfihrung der Saal zu schmal war. Zu schmal war — ein uneigentlicher Ausdruck. Denn er wurde ja dafiir gebaut, von Anfang an darauf berechnet, so schmal zu sein. Oder wire der Spass, ein solches Tympanon-Model anzubringen, ein spaterer Einfall? Wohl mdglich. Indessen nicht jeder Einfall sollte ausgefiihrt werden; man hatte hier sein Gewissen mit den vielen anderen Einfallen beruhigen kénnen, die man bei dem Gebaude ja nicht gespart hat. Aber man hatte seine Griinde , diesen Einfall um keinen Preis aufzugeben. Man musste die herrliche Aeginetengruppe schicklich aufstellen und nichts war schicklicher, als ihr ein Frontispice einzurichten, ahnlich dem, in dem sie vor zwei Jahrtausenden gestanden hatte ). Wiederum eine Pietat, ein Freundschaftsdienst gegen die Aegineten. Aber diese haben noch mehr Freunde, Bild- hauer, Alterthumsforscher, Kunstgelehrte, einfache Menschen endlich, wie Ihr Cicerone, und was sagen die zu dieser Pje- 1) Dass es dem feinen Sinn der Griechen unertraglich gewesen wire, weisse Figuren rings mit so schweren Farben zu umgeben, dass daher die Figuren selbst eine kunstreiche Farbung erfuhren, das ist natirlich Niemand eingefallen. Es ware auch ein sehr lastiger Einfall gewesen, denn er hatte zur Folge gehabt, dass man entweder diesen ersten Einfall mit dem Giebel- Modell aufgeben, oder die Aegineten halte bemalen miissen. Das erste konnte man natirlich nicht tbers Herz bringen, das Andere wagte man nicht. Lieber wagte man, dem Publicum diese gelehrte Barbarci vor die Augen zu stellen! Sic werden vielleicht noch bereuen, dass Sie sich keinem der amtlichen Cicerones anvertraut haben, sondern einem, der nicht so tief in die Mysterien des Baues eingeweiht ist, der mil viel profaneren, wenn auch noch so ehrlichen Augen um sich blickt. Héren Sie z.B., was der Arbeiter dort seiner Gesell- schaft erzahlt, wahrend sie zur Decke hinaufsieht und die Aus- rufe der Bewunderung einander jagen. ,,Dieses Dach ist von dem verstorbnen Baumeister Schinkel entworfen, fiir einen Pa- last, den der Kénig von Griechenland bauen lassen wollte. Da sie aber in Griechenland kein Geld dazu hatten, ist der Plan liegen geblieben; und damit der Geist Schinkel’s nicht auch lie~ gen bliebe* — wie der Mann poelisch wird! — ,ist wenig- stens die Decke vom Herrn Geheimrath Stiller hier angebracht worden. Sie ist von Holz und das einzige feuergefabrliche Stick in unserer sonst feuerfesten Bauart.“ Sehn Sie, so weit reichte unsre eigne Weisheit nicht. Aber sollte diese héchst dankens- werthe Belehrung unser friheres Urtheil entkraften? Nicht das iiber die Sache selbst, wie wir glauben, aber vielleicht das tiber den Baumeister. Die Pietét ist hier mit dem Schénheitsgefihl in Hader gerathen und hat gesiegt. Es scheint, als mache man sich der Impietét schuldig, wenn man nun nicht Victoria! тий. Aber wie, wenn diese Pietat eine falsche Pietat ware? wenn der Geist Schinkels dem Baumeister schlechten Dank da- fir wiisste, einen seiner Plane unter verdnderten Verhiltnissen mit nichts verandernder Treue ausgefiihrt zu haben? Freilich ist nun Schinkel’s Geist nicht ,liegen geblieben“, aber auf gar unsichere Fisse gestellt. Wir haben uns hier fast zu lange aufgehalten, gehen wir weiter. Rechts von der Treppe fiihrt eine statlliche Thi in die Sale, die fiir Gipsabgiisse griechischer Sculptur bestimmt sind. Prachtige Mosaikfussbéden schmiicken alle Raume des Gebiudes, fast zu bunt fiir das einfarbige Gips. Der erste Saal, mit flachem Gewolb, soll an den Wanden den grossen Fries des Parthenon aufnehmen. Aber was bedeuten die Geriiste im Saal? — Wir trauen unsern Augen nicht. Gegenden aus und um Alhen werden da gemalt, in bunten Farben, uber den zwei Reihen der Reliefs? Heisst das nicht, die Sache auf den Kopf stellen? O diesen ehrwirdigen Zeugen der athenischen