Man hat sich bemtht, diesen Bakchus~Saal zu einer wah-
ren Musterkarte von Verslissen gegen die Grundregeln des
guten Geschmacks auszubilden. Sehen Sic, wie die schéne
antike Thtir, die ins Treppenhaus hinausfiihrt, sich an der flach-
gewolbten Decke die Stirn stisst. Warum will man aber auch
Alles auf einmal, antike Thiren und Stichbigen, anstatt dass
man vor allen Dingen in den ganzen Organismus Klarheit und
Ruhe hatte bringen sollen. Mit zierlicher Decoration sind der-
gleichen Schiden dann nicht zu beminteln; noch weniger mit
Kunststticken wie die Mosaikséulen neben der Thiir des nach-
sten Saales. Sie liicheln wieder einmal? Vermuthlich haben
Sie eine Anlipathie gegen diese Technik. Zwei ganze Sadulen,
von oben bis unten mit Mosaik bekleidet, dazu ein kleiner Mo-
saikfries an dem Sims der Thiir, das ist doch immer eine Sel-
tenheit. Oder haben Sie schon gewiltert, dass Sie es mit einer
Altrappe zu thun haben? Wenigstens miissen Sic eingestehn,
dass diese Allrappe geschickt gemacht ist. Indessen es ist im-
merhin wunderlich. Man macht Mosaik, um den Leuten einzu-
reden, es sei Malerei, und je besser die Arbeit ist, je wahr-
scheinlicher macht sie den Betrug, und hier hat der Maler sich
unendlich viel Miihe gegeben, uns einzureden, seine Arbeit sei
Mosaik. Die vollkommnere Technik hat sich herabgelassen, die
Maske der unvollkommneren anzunehmen. Warum sie sich dazu
hergegeben hat, das weiss ich Ihnen nicht zu sagen. Es kommt
dies auf die Liste der tibrigen schalkhaften und geistreichen
Ejnfaille, andenen man bei dem Bau dieses Museums sein un-
schuldiges Privatvergniigen hatte.

Nun aber wiederum ein grossartiger Blick, der einen vollen
Genuss gewahrt. Wir trelen in den zweiten Kuppelraum, aus
dem cine Treppe in die Verbindungshalle zwischen den beiden
Museen iiberleitet. Ueber den vier Bogen, die die Eckpfeiler
des Saales verbinden, wolbt sich die Kuppel kraftig empor; das
gedampfte Licht erhdht die Feierlichkeit des Kindruckes, und
selbst die kleinlichen Ornamente, die man auch hier nicht ver-
mieden hat, vermégen der Grossartigkeit der Grundverhiiltnisse
nicht Abbruch zu thun. Auch der Aufgang zu der Zwischen-
halle, wie diese selbst, ist organisch durchdacht und darum
wohlthuend fiir die Sinne. Wir ruhen hier aus, nach der bunten
Zerstreuung, die wir bisher ertragen mussien, wir geben uns
der Majestat dieses Raumes mit wahrhafter Erquickung hin,
aber wir kiénnen zugleich unsere Verwunderung nicht unter-
driicken, wie ein hinstler, der dies zu schaffen vermochte, an
dem vielfach Kleinlichen, an der tberpuizten Mittelmassigkeit
des Uebrigen nicht zuerst vor allen Andern Anstoss nehmen
musste.

Kommen Sie rasch durch die beiden folgenden Sale hin~
durch. Der erste ist so complicirt, so ganz undhnlich dem,
was wir eben bewundert haben, dass wir das schéne Nachge-
fuhl wieder einbiissen, wenn wir hier zu lange verweilen. Und
der andere, mit den zwélf Saulen? Wir gestehen, dass wir
far diesen Stil kein Herz haben, der durch schwere Saulen-
reihen alle Luft aus dem Raum verbannt. Wir kommen erst
wieder zu Athem, wenn wir aus der letzten Thir in das Trep-
penhaus treten. Oder empfinden Sie anders? Ist Ihnen in der
ganzen Reihe von Salen, die wir durchwandert haben, oft wohl
geworden? Haben Sie sich denken kénnen, dass Sie dort mit
Behagen Kunstwerke, antike Kunstwerke betrachten wiirden,
wo Sie von allen Seilen zerstreut worden sind, hier geblendet
durch zu grelles Licht, dort missgesltimmt durch unnéthiges
HeNdunkel, und, wo diese erste Bedingung fir den Genuss von
Kunstwerken einmal erfillt war, durch den Luxus der Malerei,
und zum Theil an sich héchst vorltrefflicher Malerei, von dem
Hauptzweck Ihres Hierseins abgezogen? Und wenn Sie nicht
abgezogen werden, so haben Sic cs wahrhaflig einer seltenen
	Gabe, sich zu sammeln, nicht aber dem Baumeister zu ver-
danken. (Schluss folgt.)
	Kunstbemerkungen auf einem Ausfluge in den Canton
Tessin und nach Mailand.
	(Schluss.)
Il.
	Bei wiederholten Wanderungen durch die Kirchen und Ga-
lerien Mailands fallt es in die Augen, wie sehr die Compo-
sition fast zu allen Zeiten die schwache Seite dieser Schule
gewescn ist, und wie Einférmigkeit oder bunte Ueberladung
fast die ausschliessliche Alternative war und blieb. Langer als
die meisten italienischen Schulen scheint die mailandische Ma-
lerei sich auf das ruhige, regungslose Andachtsbild beschrankt
zu haben; im XIV. Jahrhundert hat sie weder von Giotto’s le-
bendiger Andeutung des momentanen Vorganges, noch von der
reich durchgefithrten Charakteristik eines Jacopo d’Avanzo sich
elwas angeeignet; im XY. Jahrhundert zégert sic vielleicht am
langsten mit der Annahme des grossen neuen Darstellungsprin-
cipes, welches den Schulen von Florenz und Padua seit Ma~
saccio und Squarcione eine so hohe Bedeutung giebt. Freilich
sind in der Hauptstadt selber durch unaufhérliche Umbauten
die meisten und vielleicht die wichtigsten Malereien der vis-
conlinischen Zeit verschwunden; aber auch die erhaltenen
Sticke, wie z. B. die gewiss sehr prachtvoll ausgefiihrten Sce-
nen aus dem Leben der Kénigin Theodelinde im Dom zu Monza
sind fiir die erste Halfte oder die Mitte des XV. Jahrhunderts
keinesweges innerlich bedeutend zu nennen ), Bei den Malern
der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts, Foppa, Civerchio u. A.
(ich nehme Bramantino aus), macht sich eine seltsame Unge-
schicklichkeit der Anordnung bemerklich, sobald mit der Sym-
metrie nicht auszureichen ist. Sehr belehrend ist vollends ein
Verglcich von Borgognone’s Krénung Maria in der Chornische
von S. Simpliciano mit derselben Darstellung im Dom von Spo-
leto von der Hand Filippo Lippi’s; der Mailander Maler schichtet
seine ganz anmuthigen Engel in regelmassigen Reihen auf und
stellt sich damit in der Composition auf die Stufe eines A. Or-
cagna, wahrend der um ein halbes Jahrhundert АЦеге Еогеп-
tiner die rein architektonische Anordnung langst durchbrochen
und sich zu einer freien Belebung des Ganzen aufgeschwun-
gen hat.

Forscht man nun weiter, was Lionardo da Vinci seinen
mailindischen Schiilern mitgetheilt hat, so erstaunt man tiber
die fast angstliche Art und Weise, wie sich dieselben an die
einzelnen herrlichen Attituden, Gewandmolive, Gesichtstypen,
zum Theil auch an seine Pinselfihrung angeschlossen haben und
wie dies Alles selbst stiickweise aus ihren Bildern dem Be-
schauer entgegentritt. In der Gesammtcomposition dagegen konn-
ten sie sich schon deshalb nicht viel von ihm aneignen, weil
er in Mailand ausser dem Abendmahl wenige oder keine gros-
sen Gemialde schuf. Nach seinem Weggang verarbeiteten sie
die empfangenen Eindriicke jeder auf seine Weise, bei Einzel-
nen erloschen dieselben ziemlich bald.

Bernardino Luini ist ohne Vergleich der bedeutendste die-
ser Schiiler gewesen. Seine edle und zarte Gemiithsweise er-
innert an Giovanni Bellini; an Reichthum der Phantasie tiber-
triff— er diesen bei weitem; vicle seiner Gestalten nechmen den
	1) Man schreibt sie einem gewissen Trosi von Monza zu.  Einzelne
Sticke, offenbar yon einer besseren Hand, bezeichnet 1444, erinnern in
der Erzihlungsweise, im Typus der КорГе, т der Behandlung der Grinde
selbst in den hoch aufgesctzten Vergoldungen unmittelbar an Gentile da
Fabriano.