Aufschliisse. Was im VJ.—IX. Jahrhundert nicht aus Byzanz bezogen oder von Griechen gearbeitet wurde, ist von einer ganz unglaublichen Unbeholfenheit; das Kreuz der Konigin Theo- delinde mit den an Kettchen dran hangenden Goldkugeln, und das Kreuz von Italien (angeblich von Berengar J. gestiftet) sind beide kaum winkelrecht und scheinbar nur nach dem Augen- mass verfertigt, Juwelen und Emails ohne Sinn fiw schéne Wirkung daran angebracht. An der eisernen Krone ist etwas mehr decorativer Sinn entwickelt, doch steht sie hierin mit den Bronzegittern des Domes von Aachen, mit guten Initialen der karolingischen Zeit u. dg]. noch nicht auf gleicher Stufe. Das goldene Pultblatt mit der Stiftungsinschrift Theodelindens ent- halt im Relief zwei Kreuze von sehr primitiver Gestalt und eine Anzahl von kaum regelmissig aulgenieteten Gemmen; Kamm und Facher der Kénigin machen keine weitern Anspriiche; ihre Krone ist ein eifacher Reif mit runden Emailknépfchen und Edelsteinen. Unter den Geschenken Gregor’s des Grossen ist ein kleines Krystallkreuz merkwiirdig, dessen Unterlage in einer Art yon zierlichem Silber-niello(?) den Gekreuzigten in lan- gem Kleide darstellt; die griechischen Beischriften verrathen auch gleich dic Herkunft. Kiinstlerisch bedeutend sind in die~ sem Schatze ausser einem gothischen Kelch und einer sehr schdnen modernen Monstranz hauptsdchlich die Diptychen aus dem IV., V. und VI. Jahrhundert, deren archiologische Везрге- chung ich gern einem Andern itberlasse. — Uebrigens wollte es auch in den niachstfolgenden Zeiten bisweilen der Zufall, dass bessere antike Ornamente genau nachgeahmt wurden; in dem Mosaik von S. Ambrogio zu Mailand ist der Thron Christi héchst barbarisch und formlos, der untere Saum des Ganzen ein gutes spatrémisches Motiv und der gleichzeitige Tabernakel des Allars wenigstens von besserem karolingischem Styl. Es giebt im ganzen Gebiet der Architektur Weniges, was einen so willktrlichen Dilettantismus verriethe als gewisse go- thische Bauten Italiens. Entweder hatte man zu Ende des Xill. Jahrhunderts das Gothische wahrhaft adoptiren mtissen, wie zu S. Lorenzo in Neapel, theilweise auch in den Kirchen von As- sisi und Venedig, geschah, oder man musste auf der in den bessern toskanischen Bauten des XIL., XIII. Jahrhunderts gewon- nenen Grundlage weiterbauen und vom Gothischen nur die eini- germassen vertraglichen Elemente entlehnen, wie dies dem Mei- ster. des Domes von Orvieto gelungen ist. Auch die Backstein- bauten Oberitaliens aus dieser Zeit haben ein zierliches, wenn auch etwas gemischtes System der Decoration aufzuweisen. Ganz kindisch und sinnlos aber ist z. B. die Fagade des Domes yon Como, deren Strebepfeiler von unten bis oben in lauter Kastchen mit Relieffiguren aufgelést sind. Noch besser zeigt die Fronte des Domes von Monza, wie wenig man wusste, was man wollte; dieselbe ahmt namlich in schdnem weissem Mar- mor die nothwendig beschrankten Formen des Backsteinbaues nach, wie man selbige eine Gasse weiter an der Kirche S. M. in Strada in bester Auswahl! studiren kann. Man kann von dem Laien heutigen Tages nicht verlangen, dass er z. B. dic Hasslichkeit und Sinnlosigkeit der Pfeilerfor- mation, ja der durchgehenden Profilbildung im Dom zu Mailand bemerke und empfinde. Allein das Dasein eines grossen Ca- pitalfehlers fiihlt in diesem Gebiude doch Jeder, der anderswo gute gothische Kirchen mit einigem Auge geschen hat; man weiss nur nicht gleich, woran es liegt. Es ist aber nichts an- deres ats die unschéne Vertheilung des Lichtes, welches fast ganz aus den untern Fenstern kommt, indem die Oberfenster in den nur wenig erhdhten drei Mittelschiffen so klein wie Dach- luken aussehen und im Grossen und Ganzen gar nicht zu wir~ Beschauer voliends durch eine wahrhaft raphaclische Stissigkeil gefangen, welche nicht blos in den Gesichtsziigen, sondern in der Schénheit des ganzen Kérpermotives liegt. Nirgends aber sind diese grossen Eigenschaften mit einer weniger entwickelten Composition, mit ungeschicktern Linien verkniipft gewesen; ich verweise absichtlich auf Hauptwerke, wie z. B. die Tempera- bilder im Dom zu Como, die Passion zu Lugano, der geringern Arbeiten nicht zu gedenken, deren er sehr viele, wahrschein- lich oft unter den bescheidensten Bedingungen, geliefert hat. Ganz rein ist der Eindruck bloss in den ruhigen Andachtsbil- dern, wie z. B. in dem grossen Fresco von 1521 (Brera) und in den Gemalden neben dem Altar der Monastero maggiore. Marco d’Oggione erscheint in der Composition eher ohn- machtig, Gaudenzio Ferrari eher iibermichtig. Der lelztere kann resolut sein bis zur Rohheit; er ist der erste entschie- dene Manierist dieser Schule. Trotz aller bunten Ucberladung, irotz Masslosigkeit und Grillen wird man indess Bilder wie das Martyrium der h. Catharina nie ohne Bewunderung sehen k6n- nen. — Von den spatern Malern des XVI. Jahrhunderts kann man keine besonders reine Composition verlangen; es ist aber doch merkwiirdig, dass unter den Malerschulen der Nachbliithe diejenige der Procaccini zu Mailand sich ganz speciell durch Ueberfiillung und Verwilderung in dieser Hinsicht versiindigt hat, wahrend man sie um des Details willen bisweilen hoch- schatzen muss. Der interessanteste Kiinstler dieser Reihe bleibt wohl Cerano-Crespi, bisweilen manierirt, aber immer geistig, unverkennbar imerlich verwandt mit dem Sevillaner Francisco Zurbaran. Bei 6ftern Reisen auf der Strasse von Lugano tiber Como nach Mailand bemerkt man die bestandige Zunahme architekto- nischer Malereien an den Landhausern, die oft wie gothische Theaterdecorationen aussehen, meist in dem witisten Geschmack des Domes von Mailand. Andere Eigenthtiimer lassen ihre Villa als Ruine bemalen, mit scheinbaren verwitterten Quadern, rings- um (gemalter) Epheu und Grasbiischel, u. dergl.m. Wie viel Romantik dabei mit im Spiele sein mag, lasse ich auf sich be- ruhen; eine nahere Erklérung liegt wohl darin, dass Mailand vorzugsweise die Stadt der Theater und der prachtigen Deco- rationen ist. Dergleichen will man dann auch zu Hause vor sich sehen. In dieses Capitel gehdren auch die in Stein aus- gehauenen Carnevalsmasken, Musikanten u. s. w. — Statuetten von 2, 3 Fuss Héhe — welche zu halben Dutzenden als Zier- rath auf den Hofmauern stehen. Man kann sie in Mailand be~ stellen oder fertig kaufen; einzelne waren als Chargen sogar Dantan’s wiirdig. — Es gehért immerhin eine gute asthetische Verdauung dazu, neben so viel echter, grossartig massiver Ar- chitektur die gemalte Parodie und ausserdem noch den in Stein gehauenen Humor wiahrend einer ganzen Villeggiatur zu er- tragen und hiibsch zu finden. Der liber pontificalis des Anastasius ist bekanntlich gros- sentheils ein Catalog der massenhaften Prachtgerathe von edeln Metallen, welche von den Papsten des frithern Miltelalters den rémischen Kirchen geschenk: worden sind. Die combinirende Phantasie hat oft Mihe genug, aus vorhandenen Resten und Notizen sich die vermuthliche Gestalt und Grésse dieser Ar- heiten zu vergegenwartigen; der Verstand hat noch gréssere Mithe, sich in den fabelhaften Meta!lwerth derselben zu figen; Styl und ornamentistische Behandlung dagegen kann man sich nach gleichzeitigen Resten aller Gattungen unschwer vorstellen. Der Schatz des Domes von Monza giebt hieritber mancherlei