Rul tolact.
	Organ
der deutSchen Kunstvereine,
	4eitung
	‘ir bildende Kuust und Baukunst.
	Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Dusseldorf — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — FGrster in Miinchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien
	Dr. Martin Luther,
	abgebildet von Albrecht Durer.
	(rewiss wird es Vielen ergangen sein wie mir bei Betrach-
tung der unvergleichlichen Sammlung von Zeichnungen von Al-
brecht Diirer in der vom Herzog Albert von Sachsen-Teschen
in Wien angelegten Gallerie, jene stehende mannliche Figur
	mit nach oben gerichtetem Blick und gefalteten Handen fir ein  
	redigirt von Dr. F. Eggers in Berlin.
	Моп tag
	, den 23. September.
	Portrait des grossen Relormators zu halten. Eine Nachbildung
davon ist im 5. Hefte der lith. Copien von Original -Handzeich-
nungen berihmter alter Meister aus der Sammlung Sr. k. H.
des durchl. Erzherzog Carl von Oesterreich. Wien, Mansfeld &
Comp., spater L. Férster, und habe ich bei Verzeichnung dieses
Werkes fiir meinen 3. Kunstkatalog, Leipzig 1836 unter No. 3448.
schon damals Luther als den Dargestellten auffithren zu dirfen
geglaubt, wie ich solches schon friher gethan beim ersten An-
blick der késtlichen Zeichnung in einem handschriftlichen Ka~
talog iiber die bertihmte Wiener Sammlung, welchen ich mit
Erlaubniss des verstorbenen Directors, Rechberger, fiir meinen
sel. Vater angefertigt hatte.

Weniger bekannt ist aber vielleicht, dass jene gottergebene
Figur als Johannes am Fusse des Kreuzes des Welterlésers,
in der unvollendet gebliebenen Platte von Albrecht Direr oder
des grossen unvollendeten Crucifix, wie Sandrart es nennt, vor-
	kommt, welche Heller unter No. 2200. seines Buches tiber Direr
beschreibt und von der beiliufig bemerkt sei, dass tiber die
- Originalitét dieses in blossen Umrissen verbliebenen Blattes, von
	welchem, wie von der Copie desselben, es einige Abdrucks-
gattungen giebt, kaum ein Zweifel iibrig ist, besonders denen,
welche die unvollendeten Abdriicke, ebenfalls fast nur in Um-
	rissen, von Diirer’s Adam und Eva gesehen haben. Jene Studie,
	nach der Natur, zum Kopfe selbst ist wahrscheinlich , fiir eine
Schaumiinze benutzt worden, wie Diirer selbst spater einige
	Schaumiinzen auf Luther angefertigt hat, ist aber nicht die einzige,
	welche zu der reichen Composition des genannten Crucifix an-
gewandt und gliicklich bis auf unsere Zeit erhalten worden ist.
Es befanden sich in der Zeichnungssammlung von Sir Thomas
Lawrence mehrere Naturstudien von gleicher Behandlungsweise
	  mit den Jahrzahlen 1521. 1523. besonders von der Frauengruppe
links, oder den heiligen Frauen in Ntrnbergischen Trachten,
	in welchen der grosse Meister viclleicht Bildnisse von Furstin-
nen, welche der Reformation zugethan waren, insbesondere
von Sichsischen, darzustellen sich vorgenommen hatte. Wie
	ganz anders aber ein protestantischer Kunstler seinen Glaubens-
	helden am Fusse des Gekreuzigten dargestellt hat, als es von
gleich grossen Kiinstlern eines andern Glaubens z. B. Anton
van Dyck in seinem bekannten Crucifix mit dem Dominikaner
(Je Christ au Jacobin) geschehen ist, das mag man mit aus der
hier beigefiigten verkleinerten Copie in Holzschnitt nach jenem

Luther von Albrecht Diirer ersehen. Rudolph Weigel.