Selle unten ein Vorgang aus det Geschichte des h. Paulus vor-
kommt, wie er denn als allen denen predigend dargestellt ist,
an welche er Epistel gerichtet hat, geht hervor, dass die Be-
stellerin des Buches eine besondere Verehrung fir diesen Apo-
stel gehabt haben muss. Die Abwechselung in den lebendigen
Motiven des predigenden Paulus zeigt eincn sehr begabten
Kinstler. Bl. 13. b. ist ganz von bildlichem Schmuck einge-
nommen. In der Mitte, oben der Evangelist Johannes, jung
aufgefasst, wie er an einem prachtigen, in Gold und Braun
ausgefiihrten Pult von gothischer Form, worauf der goldene
Adler, schreibt; darunter derselbe etwas bartig auf Patmos.
In den runden Windungen des acanthusartigen Randes noch
sechs Vorginge aus seiner Legende. Als Beispiel, wie reich
selbst die gewéhnlichen Seiten mit Text verziert sind, gebe
ich die Beschreibung der folgenden Seite Bl. 14. a. In einem
der Initiale I angehingten Quadrat Johannes mit dem Kelch,
aus welchem sich die Schlange erhebt, von anderer, minder
guter Hand, so dass im Fleische und im Haar die einzelnen
Theile nur auf dem Lokalton mit der Feder gezeichnet sind.
Auf dem Rande, worin die goldenen Knépfchen und Blatter
noch nach der dlteren Weise vorwalten, von derselben Hand
oben in der Mitte ein Schiitz, welcher nach einem rothen Un-
thier mit einer Keule in der Ecke schiesst, an der Seite ein
lesender Ménch mit Thierohren, unten ein nackter Mensch,
Ва in dem Rachen eines blauen Drachen. Unter den tibrigen
Bildern, welche eine ganze Seite.einnehmen, begniige ich mich
ungern mit der Erwahnung der Verkiindigung Maria, BI. 25. b.,
als eins der ausgezeichnetsten. In der Maria ist in dem Képfchen
der Sinn der Worte: ,Ich bin die Magd des Herrn!* sehr fein
ausgesprochen, auch die Hande sind in diesem Sinne sehr gut
bewegt. Die Decke des Zimmers vom zartesten Pinselgold und
Braun, das Innere einer gothischen Kirche dariber mit Orgel
und, um das Tageslicht auszudriicken, silbernen Fenstern, ist
ebenfalls sehr fleissig. In einer Liinelte der segnende und den
В. Geist sendende Golt Vater als Greis, von Cherubim umge-
ben. Auf,dem Rande zwélf auf das Leben der Maria bezig-
liche Vorginge, unter denen sich besonders die Geburt durch
den trefflichen Ausdruck in dem Képfchen der heiligen Anna
auszeichnet. Auch die theils romanische, theils gothische Ar-
chitektur von weissblaulichem Ton, welche die Vorstellungen
einfasst, ist von sellener Feinheit der Vollendung. Nur die
Maria, als Mutter des Erbarmens, BI. 145. b., fiihre ich noch
an, weil sich unter sehr zarten Frauen eine Kénigin von so
portraitartiger Bildung befindet, dass darunter wohl sicher die
Bestellerin des Buchs, welche sich hier dem Schutze der Ma-
ria empfiehlt, vorgestellt ist. Das Denkmal dirfte sicher in
Paris, die grossen Bilder aber gewiss von einem belgischen
Miniaturmaler ausgefiihrt worden sein.

Wenn man friher zu weit gegangen, indem man K6ln fir
den alleinigen Ausgangspunkt jener idealen Richtung der Ma-
lerei angenommen, so ist es doch keinem Zweifel unterworfen,
dass diejenige Art und Weise, worin dieselbe in Koln zur Aus~
bildung gelangt war, von dort aus sich in den benachbarten
Gegenden mchr oder minder weit verbreitet hat.

Fir Aachen bewcisen dieses einige in einer verschlossenen
Capelle des dortigen Doms aufbewahrte Bilder. Folgende zei-
gen namentlich eine grosse Uebereinstimmung mit den Gemil-
den, welche man dem Meister Wilhelm beizumessen pflegt.

Ein Altar, in dessen Mitte Maria mit dem Kinde, von vier
Heiligen umgeben, unter denen Jakobus der gréssere und Mag-
dalena. Auf den Fliigeln, inwendig die Bildnisse der Stifter,
jeder mit seinem Schutzheiligen, auswendig Johannes der Taufer
und Carl der Grosse in goldnem kaiserlichen Ornat. Der Grund
roth mit goldenen Mustern,
	Fint Bilder von edlen und wirdigen Motiven, welche sich
ohne Zweifel meist auf die grossen Reliquien des Doms bezie-
hen: a. Die Beschneidung Christi. b. Ein Engel mit den Win-
deln. c. Die Kreuzigung, wobei das Lendentuch von zwei En-
geln gehalten wird. d. Ein Engel mit dem Hemde der Maria.
e. Die Enthauptung Johannes des Taufers, wobei ein Engel mit
einem Tuche; der Grund ist hier golden.

Dass auch in dem benachbarten Gelderland die célnische
Kunstweise Eingang gefunden, beweist ein Gebetbuch in klein
Ocktav auf der kénigi. Bibliothek zu Berlin, welches nach einer
darin vorhandenen Inschrift im Jahre 1415 fiir die Herzogin
Maria von Geldern in holléndischer Sprache in einer grossen
und starken Minuskel auf 482 Blittern geschrieben worden ist.
Die ziemlich zahlreichen Bilder, deren einige eine ganze Seite
einnehmen, zeigen in Composition, Motiven, Gesichisbildung
	eine entschiedene Uebereinstimmung mit den dem Meister Wil-
helm beigemessenen Gemalden. Sie sind leicht, ja hie und da
fliichtig, doch von geschickter Hand gemacht und im Werth
sehr ungleich. Verschiedene der einzelnen grésseren Heiligen
sind sehr lang, die meisten Figuren dagegen von kurzen Ver-
haltnissen. Die Griinde sind theils schachbrettartig, theils far-
big, Ofter mit sehr feinen, in Gold, Silber oder einer anderen
Farbe ausgefithrten Mustern. Der Kalender enthalt nur ziem-
lich einfache Darstellungen der auf jeden Monat beziiglichen
Beschaftigung. Die Rander aller Seiten sind ziemlich einfér-
mig noch im Geschmack des 14. Jahrhunderts, mit mageren
Windungen, woran goldene und farbige Blattchen, verziert.
Nur hie und da kommen ziemlich dtrftige spasshafte Vorstel-
Jungen vor. Die Farben sind meist hell und lebhaft gehalten.
Unter den biblischen Vorstellungen ist die des zwolfjahrig im
Tempel lehrenden Christus (Bl. 72. a.) durch die schéne Figur
der Maria ausgezeichnet. Auf dem BI. 476. b. sieht man die
Schutzheilige der Herzogin mit dem Kinde in der Herrlichkeit
von zwei Engeln begleitet, wie sie ihrer Schutzbefohlenen, einer
kleinen Figur, welche sie in einfacher, schwarzer Tracht knie~
end verehrt, einen Zweig mit weissen Rosen reicht.

Fir die altcdlnische Schule auf der héchsten Stufe der
Ausbildung, welche sie unter Meister Stephan, dem Urheber
des Céiner Dombildes, erreichte, ist das schénste, mir bisher
bekanntgewordene Denkmal der Miniaturmalerei, ein Gebetbuch
in Duodez, welches sich unter No. 1972 in der grossherzogli-
chen Bibliothek zu Darmstadt befindet. Dasselbe ist auf dem
feinsten Pergament in einer Columne in einer sehr zierlichen
Minuskel geschrieben. Sowohl die plattdeutsche Mundart des
Textes, als die Lokalheiligen des Kalenders, unter denen sich
die Schutzheiligen Célns: Heribert, Severin, Gereon und Cor-
dula, befinden, endlich auch der Umstand, dass dieses Buch
aus dem Vermachtniss des Baron Hiibsch stammt, welcher seine
reichen Sammlungen wahrend eines langjahrigen Aufenthalts in
Céln gebildet hat, sprechen dafiir, dass es in Céln geschrieben
worden ist. Ueber die Zeit giebt die am Ende des Manuscripts
mit rémischen Zahlen geschriebene Jahreszahl 1453 sichere
Auskunft. Obwohl an einer Stelle etwas verwischt und wieder
erneuert, ist doch an deren Echtheit nicht zu zweifeln. Die
60 vorhandenen Vignetten stimmen nun auf das Ueberraschendste
mit dem Dombilde iiberein, sind von sehr zarter Vollendung
und zeigen in den lebhaften und doch harmonischen Farben,
wie in der Behandlung einen sehr vortheilhaften Einfluss aus
den Niederlanden. Die Rander, so wie 166 Inilialen, worin
hie und da ebenfalls figirliche Darstellungen, beide in dem
deutschen Geschmack, gehéren in Schénheit der Erfindung zu
dem Ausgezeichnetsten, welches ich von dieser Art kenne, und
stehen in Riicksicht der Schénheit und Harmonie der Farben,
	der Weiche, Feinheit und Eleganz der Ausfuhrung mit den
20 *