kraltigster Bewegung in bestimmten, nothwendig gegebenén
Positionen zu schaffen, uud liegt hierin auch die Beantwortung
der Frage, warum gerade Rubens und Danicl da Vollerra die-
sem Gegenstande, der sonst nur selten und nirgends so vor-
trefflich behandelt wurde, sich mit so viel Eifer hingegeben
haben. Aber jenes andere Element der Aufgabe, der Schmer-
2еп- und Trauer~Scenen, ist nicht minder wichtig; denn hierin
liegt der mehr geistige Theil der Handlung, und es ist um so
verdienstlicher, wenn der Kiinstler es verstanden, den Sinn,
die Bedeutung des Ganzen durch Heraustreten des ausseren,
gewissermassen physichen Theiles der Aufgabe nicht zu beein-
trachtigen. Dieses Verdienst hat unstreitig das Meisterwerk des
Rubens vor dem, des Daniel da Volterra voraus. Das Bild des
Daniel, der denselben Gegenstand vier Mal componirt hat, ist
voll machtiger Bewegung; die vier kraftigen Gestallen, welche,
auf Leitern stehend, den Leichnam herunterlassen, die finfte,
welche ihn sttitzt, sind grossartig gedacht und machen einen
gewaltigen Eindruck. Die Schmerzens~Scene der Maria und
der drei Frauen am Fusse des Kreuzes ist voll des lebendig~
sten Jammers, und geben Johannes und Joseph von Arimathia,
welche rechts und links die Gruppe schliessen, der Composition
in edler, schéner Bewegung eine vollendete Abrundung. Allein
nicht zu leugnen ist es, dass die convulsivische Haltung, die
- Zuckungen der Maria unschdn sind, dass die ganze sie um-
gebende Gruppe durch nichts mit der Haupthandlung, der
Kreuz-Abnahme selbst, verbunden ist, und dass die meister-
haften Athleten- Gestalten auf den Leitern, welche in dem Bilde
die grésste Bewunderung verdienen, auch das Hauptaugenmerk
des Beschauers am meisten auf sich ziehen. Das aber ist dem
Sinne der Aufgabe zuwider. Dagegen streben (wie cin Kunst-
richter sich dussert) in dem Bilde des Rubens alle Figuren zu
einer grossen Gruppe zusammen, und werden durch die treff-
lich zusammengehaltenen Lichtmassen noch mehr zu einem Gan-
zen vereint. Alle Gestalten sind hier zu einem und demselben
Mittelpunkte, dem Leichnam Christi, hinbewegt, alle vereinen
sich um ihn, als den Zweck. Dabei ist das Einzelne, wie das
Ganze mit grosser Sorgfalt durchgefiihrt und hat den Vorzug
der leuchtendsten Farbung. So weit die Zeit, so weit das Land,
in dem dies Meisterwerk entstand, eine Feier der heiligen Hand-
lung ausdriicken konnte, ist sie in diesem Bilde vorhanden.
Der Meister vermied mit rihmlichem Streben das St6rende und
zeigte, wie sehr er von der Grésse der Aufgabe durchdrun-
gen war.

In dem vor uns stehenden Bilde von G. Lenthe haben wir
gewissermassen eine Vermittelung der beiden von den genannten
grossen Meistern gewihlten Darstellungsweisen. Wahrend Ru-
bens nur eine Gruppe, nur eine Handlung hat, zerfallt hier die
Handlung in zwei Abtheilungen, die mechanische und die gei-
stige, die dussere und die innere, beide sind aber auf eine
geschickte, sinnige Weise zu einem Ganzen verbunden. Die
obere Abtheilung zeigt uns das Herunternehmen des gestorbe-
nen Heilands vom Kreuze. Zwei kraftige Manner stehen auf
Leitern, welche rechis und links an die Arme des Kreuzes
lehnen, der Altere halt sich mit der linken Hand an dem obe-
ren Ende des Kreuzes, wihrend er mit der rechten Hand iiber
dasselbe hinweg den rechten Arm des Leichnams stiitzt; der
jiingere, kraftigere Mann, der dem Beschauer den Riicken zu-
wendet, halt sich selber mit der Rechten, am linken Arme des
Kreuzes, waihrend er mit der linken Hand, den heiligen Kérper
unter der Schulter stiitzend, das ganze Gewicht seines Ober-
theils hebt. Er ist im Begriff eine Stufe herabzusicigen und
stellt die doppelte Bewegung des Hebens und Steigens dar,
wihrend der dltere Mann auf der Leiter still steht und im Be-
griff ist, den Arm des Leichnams, so wie es geschehen kann,
	gleiten zu lassen. Die Kniee desselben hat Joseph von Ari-
mathia, der am Fusse des Kreuzes steht, bereits ergriffen und
erleichtert dem jiingeren Manne die Last des Hebens. Sein
Blick ist wehmuthsvoll auf das herabgesunkene Antlitz des Er-
lésers gerichtet. Hiermit schliesst die eigentliche Handlung des
Herunternehmens vom Kreuze. Sie ist auf einfache, klare
Weise ausgedriickt, tiberaus verstindig geordnet. Der Alte,
oben am Kreuze, scheint, so wie es dem Aller geziemt, die
Handlung mehr zu leiten als selber auszufithren, doch nimmt
auch er daran Theil und stitzt da, wo es Noth thut; der jin-
gere Mann entwickelt die grésste, aber auch nur physische
Kraft- Anstrengung; Joseph von Arimathia endlich zeigt neben
der Anstrengung des mechanischen Hebens den Ausdruck einer
tiefbewegten Seele, eines Herzens voll inniger Trauer. So
haben wir in den drei Gestalten den Ausdruck der Verstandes~
Thatigkeit, der physischen- Kraft und des tiefbewegten Gemii-
thes, und ist mit wenigen Mitteln das, worauf es ankommt,
vortrefflich dargestellt. Joseph von Arimathia bildet den Ueber-
gang zu der Gruppe am Fusse des Kreuzes. Hier sehen wir
die Mutter des Heilandes, niederknieend und die Arme sehn-
siichtig nach dem geliebten Sohne ausstreckend. Aus ihrer
Haltung, aus ihrer Bewegung erkennen wir das ganze Maass
ihres Schmerzes, das Gesicht ist ganz dem Sohne zugewendet.
Sie wird auf der einen Seite von Johannes, der sanft sich zu
ihr niederbeugt, auf der andern Seite von Magdelena, welche
neben ihr knicet, gestitzt. Wahrend in Johannes’ milden Zii-
gen die Trauer um den Tod Christi ebenso klar zu erkennen
ist, wie die Theilnahme fiir Maria, so ist im Gegensatz hierzu
Magdalena ganz dem Schmerze hingegeben; sie, die viel ge~
fehlt, hat jetzt doppelt grosse Trauer um den dahingeschiede-
nen Erldser, und die Bewegung gegen Maria ist kein eigent-
liches Stiitzen, kein Trésten, sondern mehr ein Hinneigen dort-
hin, wo sie gleichen Schmerz, gleiche Trauer weiss. Mehr im
Hintergrunde, neben Joseph von Arimathia, erblicken wir end-
lich noch eine weinende Frau, die, wenn sie auch nicht eine
bestimmte Persénlichkeit der Schrift darstellt, gerade um so
klarer die allgemeine Trauer ausdriickt, welche die Glaubigen
itber den Schmerzenstod des Heilandes erfiillt. Wahrend in dem
Gemilde von Daniel da Volterra die untere Gruppe der Maria
in gar keinem sichltbaren Zusammenhange mit den Figuren am
Kreuze steht, ist in dem Lenthe’schen Bilde, theils durch die
Bewegung der Maria, welche ganz dem Leichnam zugewandt
ist, theils durch die Stellung, welche der Kinstler dem Joseph
von Arimathia zwischen der weinenden Frau und der Magda-
lena gegeben hat, die untere Schmerzensscene mit der oberen
mechanischen Handiung sinnreich zu einem Ganzen verbunden.
Aber auch jene physische Kraft-Anstrengung, deren Ausdruck
so leicht der Feierlichkeit der Handlung Eintrag thut, ist in
diesem Bilde sehr verslandig geordnet, indem jedcr Gestalt,
nicht nur ein anderes mechanisches Werk, sondern eine an-
dere Bedeutung gegeben und tiberhaupt keine Figur mehr an-
gewandt wurde, als zum klaren Verstindniss néthig ist. Und
hierin liegt ein Hauptverdienst dieses ganzen Kunstwerkes, dass
es neben zweckmassiger, nattirlicher Stellung der Figuren,
neben gefalliger Anordnung der Linien, eine klare, leicht ver-
stindliche Darstellung des Gedankens giebt, der den Kinstler
in den einzelnen Theilen, wie in dem Ganzen leitete. Der
christliche Sinn aber, der feierliche Ernst, der ihn bei diesem
Werke erfillte, wird Niemand verborgen bleiben, wer sich
demselben beschauend nahect, und so wird es, gleiche feicr-
liche Stimmung, gleiche fromme Bewegung erweckend, seinen
Zweck als Allargemilde vollkommen erfillen,

Wenn wir nun noch ein Wort tiber die Leistung des Zeich-
ners und Malers, im Gegensalze zu dem Werke des Compo-