dreiviertel links die schénste sein dirfte), sondern ringsum;
ja die Hauptmotive der Statue, Bewegung von Kérper, Armen,
Beinen und Kopf ohnehin, sind, wo man auch stehen mag, sicht-
bar, ein Umstand, der bei Mantelfiguren besonders sellen eintritt.

Die Ausfiihrung ist sehr fleissig, und wenn auch die For-
men im breiten, slatuarischen Styl gehalten sind, so haben sie
doch volles, wahres Leben. Ebenso muss der Erzguss als sol-
cher und die gleichmassig durchgefiihrte Ciselirung gerithmt
werden, durch welche die Stalue die mattgliinzende Oberfliche
erhalten hat, die die ruhigste und schénste Patina annimmt.

Das 9 Fuss hohe Piedestal, ein tberhdhter Wirfel mit ab-
gestumpften Ecken, einfachem Gesims und Sockel ist von dun-
kelgriinem Muschelmarmor (wie er in der Nahe von Weimar
gebrochen wird), nach der Zeichnung L, Schaller’s vom
Maurermeister Ludw. Graf in Weimar gefertigt; die eherne
Tafel, dunkelroth gefarbt, die im Feuer vergoldete Inschvrift:

»Johann Gottfried Herder. Von Deutschen in

allen Landen“
nebst dem Kranz, die Arbeit des Hofgiirtlers Wallak. Allge-
mein ist die Meinung, dass das Piedestal, das obenein nur auf
einer einzigen Stufe steht, gegen die 10 Fuss hohe Statue zu
schwach erscheint und auch ich bin der Ansicht, dass die Sta-
tue durch ein grésseres an Wirkung gewonnen haben wiirde.
Doch hilft die aufsteigende Beschaffenheit in etwas dem Uebel-
stand ab.

Der Platz selbst ist vielfach angefochten worden, nament-
lich in Weimar selbst. Der Kiinstler dagegen ausserte sich mit
der Wah! vollkommen zufrieden. Der Platz ist etwas abhangig ;
die Statue steht auf seiner Hihe, nahe der Kirche, so dass
zwei Strebepfeiler dersclben mit der zwischenliegenden Fen~
sterwand einen einfach graugriinen Hinlergrund mit wechseln—
den Licht- und Schattenflachen bilden. Ausserdem ist der ganze
Raum von Gebauden eingeschlossen, dem stadtischen Verkehr
gehérig, und durch die Nahe von Herder’s Amtswohnung und
der Kirche bedeutungsvoll.

Es muss demnach das Unternehmen als in allen seinen
Theilen vollkommen gelungen bezeichnet werden.

Fragen wir aber dabei nach der Ursache unsrer theilneh-
menden Freude, so ist es nicht allein, dass eine vielgeriihmte
Stadt einen seltenen Kunstschmuck erhalten, nicht alleig, dass
die Kunst nete Proben ihrer Fahigkeiten abgelegt, auch nicht
allein, dass ein geehrter Mann auf wiirdige Weise gefeiert wor-
den ~~ unsere Theilnahme kommt bewusst oder unbewusst aus
dem Einen tief in der Seele des Volkes ruhenden, und trotz
Ungliick und Ungeschick, trotz Schmach und Spott unwandel-
bar uns beherrschenden Gedanken an das Vaterland und seine
Einheit. So lange es noch schlesische Dichter und schwabi-
sche Gelehrsamkeit, cine Theologie von Ingolstadt und eine
	Aufklérung von Berlin gab, konnie von einem Deutschland.
	nicht die Rede sein. Erst als deutsche Bildung in ein Strom-
bett sich gesammelt, erst als der nationale Geist in der Scho-
pfung einer Literaturepoche sich geoffenbaret, trat dem deut-
schen Volk die Einheit seines Wesens wieder ins Bewusstsein.
Wer deutsch dachte und deutsch sprach, wollte Antheil haben
an dem neuerschlossenen Segen und Ruhme, und Keinem im
Norden oder Siiden, an der Donau oder am Rhein, wurde der
Antheil bestritten. Dichtkunst und Wissenschaft hatten Deutsch-
land wieder hergestelll, hatten seine Einheit neu geboren. Und
wenn wir nun das Andenken eines jener Grossen feiern, so
feiern wir in ihm das Vaterland, die Auferstehung seiner Ein-
heit, die zuversichtliche Hoffnung, dass sie feste Gestalt und
Bestand gewinnen werde.

Diese Gedanken und Empfindungen mussten es deshalb sein,
welche das Festmahl und seine Reden beherrschten und ihm
	jenen hohern Schwung gaben, welcher es selbst zu cinem poe-
tischen Erlebniss machte, und wobei Desonders zu erwadhnen
ist, dass, ungeachtet der erhobenen Stimmung und der steigen-
den Begeisterung, die wohlthuendste Harmonie nicht einen Au~
genblick gestort wurde.

In den Tischreden, welche zu Ehren des Grossherzogs,
dem Andenken Herder’s, den Dichtergenossen des Gefeierten
und in verwandter Richtung gehalten wurden, athmete fast je-
des Wort denselben Geist, der sich in den Dankesworten des
Enkels von Herder, des Staatsraths Stichling, vielleicht am
warmsten aussprach: wenn er sagte: ,Wir kénnen nur von dem,
in dessen allmichtigen Hinden das Schicksal der Nationen ruht,
mit Inbrunst erflehen: Er wolle nicht figen, dass das Wort,
das Lied des deutschen Geistes, das von hier aus weit tiber
dic gebildete Erde drang, statt der Frthlingsbote politischer
Grésse zu sein, nur das Lied des sterbenden Schwanes war!
Nein, er wolle durch alle Wehen und Stiirme der Zeit das
Licht des deutschen Lebens und deutscher Wissenschaft in un-
verléschlischer Kraft erhalten und — war s auch nur noch durch
den stummen Mund jenes ehernen Bildes — in den Herzen der
lebenden und der kommenden Geschlechter die reine Flamme
nahren, aus der allein cin Vaterland ersteigt. Von dieser
Bitte ist der Dank durchdrungen, den wir an diesem feierlichen
Tage bringen. Aber nicht mit Sang und Klang und Lebehoch;
nein, still, wie es dem Ernst, der Sorge dieser Zeit gebihrt,
indem wir nur mit unsers Vorfahren eignen Worten rufen:

Gieb uns, wonach wir diirsten,

Ein deutsches Vaterland! “
Und als Schéll nun auch die Schmerzensseite von Schleswig
Holstein angeschlagen, da war es klar, welches in Deutschland
der einzig lebendige, alles durchdringende Gedanke sei, man
mag zur ernsten Berathung oder zu froher Feier zusammentre-
ten, man mag in offener oder geschlossener Gesellschaft sein,
oder auch ganz allein.

Der nachstfolgende Tag brachte noch eine Nachfeier , welche
vornehmlich der Jugend des Landes gewidmet war. Am Vor-~
mittag war im Gymnasium feierlicher Act, bei welchem mehrere
Schiiler Gedichte eigner Arbeit und von Herder vortrugen und
Director Sauppe in einer vortrefflichen Rede den Charakter
Herder’s als Vorbild fiir jeden strebenden Jiingling und seine
Verdienste um die Studienanstalten Weimars, insbesondere um
das Gymnasium, hervorhob. Der Nachmittag aber gehérie der
kleineren Schuljugend, die mit Krénzen geschmiickt in langen,
langen Ziigen zur ,,Herdersruh* am Ettersberg hinausgefiihrt
wurde, um von dem Festtag der Grossen auch etwas zu haben,
und war’s auch nur eine Bratwurst im Freien und in Zukunft
die Erinnerung an den wachsenden Hunger danach w4hrend
	einer langen, langen Rede,
Noch reihte sich an die Festlichkeiten am dritten Tage
	eine Vorstellung lebender Bilder nach Gedichten und Legenden
von Herder, veranlasst durch den ,Lucasverein* und angeord-
net von dem Maler Martersteig. Es wiirde mich auf ein
ganz anderes Gebiet fihren, wollte ich mehr thun, als diese
Vorstellungen erwahnen. Solche lebende Bilder, sowie sie die
Grenze gesellschaftlicher Impromptu’s tberschreiten, und mit
der Pratension eines Kunstwerkes auftreten, leiden so sehr an
innern Widerspriichen, dass ihr Anblick immer etwas Peinliches
hat. Als Leiche der dramatischen Kunst sind sie die Carrica-
tur des Naturalismus und es bleibt immer unbegreiflich, wie
Kistler von Erfindungsgabe und Geschmack sich damit befas-
sen mégen.

Wir aber schliessen diesen Bericht mit den Schlussworten
der in Weimar erschienenen Beschreibung der Feier:

„Зо strebte Alles zusammen, vom Aeltesten bis zum Jiing~

AQ*