ben, der unaussprechliche Schmerz in dem gesenkten Haupte
desselben, der grelle Gegensatz, welchen die géttliche Ruhe
des Gerechten gegen die in den entsetzlichsten Verrenkungen
sich kundgebende Todesnoth der zu beiden Seiten mit ihm zu-
gleich gekreuzigten Schacher bildet, erschiittern die Seele bis
in ihre innerste Tiefe. Nicht minder ergreift unser Gefiihl dic
wunderschine Gruppe der heiligen Frauen mit Johannes am
Fusse des Kreuzes. Die durch Maria Salome gestiitzte Mutter
hat die Hinde gefalten und wendet ihr Antlitz zu dem Sohne
empor, das den unsiglichsten Seelenschmerz und zugleich die
demiithigste Ergebung auf die riihrendste Weise ausspricht.
Maria Magdalena ist am Kreuze auf die Knie gesunken und
breitet die Arme mit verzweiflungsvoller Geberde gegen Chri-
stus aus. Rechts, zundchst dem Kreuze, steht der h. Longinus
in hellem Kriegermantel, den Speer in der Linken, mit der
Rechten auf den Gekreuzigten zeigend und ausrufend: Wahrlich,
das ist Gottes Sohn! — Rechts hinter ihm die Pharisder, er-
wartend, befriedigt und triumphirend in den mannigfalligsten
Absiufungen des Affektes. Weiter in das Bild hinein Krieger,
theils in der Bekehrung begriffen, theils bloss Mitleid oder auch
stumpfe Gleichgiilligkeit zeigend. Ganz im Vordergrunde die
schéne Gestalt eines Jiinglings mit dem Essiggefisse und dem
Stabe mit dem Schwamm. — Auf der linken Seite des Bildes,
hinter den heiligen Frauen, und der Gruppe der Krieger ent-
sprechend, drangt sich das Volk in buntem Gemisch von Man-
nern und Frauen, von Jung und Alt, und bietet die reichste
Abwechselung des, Ausdrucks und der Bewegungen. Im fer-
nen Hintergrunde ragt Jerusalem tiber den Horizont. Oben iiber
dem Ganzen, in der Spitze des Bogens, schweben drei Engel
mit Lesebaindern. Die Stimmung des Bildes entspricht ganz dem
Gegenstande; sie ist ernst und diister. Unter dem gewitter-
haften Himmel, Angesichts des in finsterem Wahne befangenen
Volkes erglanzt die Erlésungsthat des Gott-Menschen in dem
bedeutsamen Lichte tiberirdischer Verklarung.

Die unter diesem grossen Bilde befindlichen vier kleineren,
ebenfalls von Deger, veranschaulichen noch andere Momente
aus Christi Leidensgeschichte; das erste links: Christus am
Oelberge, das folgende: die Geisselung, das dritte: die Dor-
nenkrénung, und das letzte: die Kreuzschleppung. Die demuth-
volle Hoheit, die in allen vier Darstellungen die Gestalt Jesu
charakterisirt, ist ungemein tief empfunden. Den gréssten Ein-
druck macht ohne Zweifel das erste Bild. Die Ergebung in
den Willen des Vaters ist in dem knieenden, die Arme aus-
breitenden Christus vortrefflich ausgedriickt.

Die an den Chor stossende dritte Langenwand der linken
Seite zeigt die Auferstehung. Ein lichtweisser Engel, mit einem
Palmenzweige in der Linken, sitzt vor dem Grabe, von wel-
chem der Stein, der es schloss, hinweggehoben ist und vor
welchem die Wachter, vom Schlafe iiberwaltigt, auf dem Bo-
den liegen. Der Engel streckt die Rechte den drei Marien,
die mit Specereien zum Grabe kommen, entgegen und verkiin-
det ihnen die Auferstehung des Gekreuzigten. Die lebhaften
Geberden der Ueberraschung und heiligen Scheu, am spre-
chendsten bei der knieenden Magdalene, bilden einen hdéchst
wirksamen Gegensatz zu der bewegungslosen Ruhe des Him-
melsboten. Im obern Theile des Bildes erscheint auf Wolken
der erstandene Christus in weissem Gewande mit der Aufer-
stehungsfahne als Sieger tiber Tod und Grab, zu beiden Seiten
anbetende Engel. Die Aureole ist durch Cherubim und Wol-
ken begrenzt.

Die kleineren Bilder von Ittenbach unter dem vorigen stellen
» Christus in der Vorhdlle* und „Рену Schlisselamté dar.

Hiermit schliesst die Reile der historischen Bilder aus dem
Leben Jesu. (Schluss folgt.)
	[Ами бега.
	Greschichte der bildenden Kiinste von Dr. Carl
Schnaase. Bd. 4, Abtheilung 1. (Auch unter dem
besonderen Titel: Geschichte der bildenden Kiinste im
Mittelalter; Bd. 2: das eigentliche Mittelalter; Abth. 1.)

Diisseldorf, Verlagshandlung von Julius Buddeus. 1850.
417 Seiten in 8.
	Уоп №. №ЖизТег.
(Fortsetzung.)
	YVorzuglich meisterhaft aber ist das Kapitel, welches der
eigenilichen Glanzerscheinung des Mittelalters, dem gothischen
Baustyle, gewidmet ist. Der Verf. giebt seiner ausgespro-
chenen Vorliebe fir das Mittelalter eben durch diese Behand-
lung selbst die befriedigendste Rechtferligung. Wie der go-
thische Baustyl ein durchweg 4sthetisch bedingter ist, so hat
der Verf. ttberall die adsthetischen Grundsdize desselben darzu-
legen und von ihnen heraus die Formen und den Zusammen-
Капо derselben, in Pfeilerbildung, Bogen-, Fenster- und
Wandgliederung des Inneren, in der davon abhangigen, so ganz
eigenthimlichen Gestaltung des Aeusseren, in seinen Dekora-
tionen und Ornamenten aufs Klarste zu entwickeln gewusst.
Nach so vielem Dilettantistischen, von den verschiedensten Stand-
punkten aus, was die moderne Zeit tber das gothische Bau-
wesen zu Tage geférdert hat, thut es ungemein wohl, hier die
Sache nach dem ihr eigenen kinstlerischen Maassstabe griindlich
bemessen zu sehen. Auch ist der Verfasser, bei aller Bewun-
derung des Styles, doch keinesweges so blind, dass cr nicht
auch den Uebelstand der , Zerkliftung* des Aeusseren, nament-
lich am Chore, wohin bei reichausgebildeten Gebauden die ein-
seitige Consequenz seines , organischen* Gefiiges fihren musste,
nachwiese. (Ich wiirde diesem unschénen Elemente auch noch
die zweite Unschénheit, die freilich mehr willkihrliche der De-
koration der Portalbégen, mit ihren sehr unbequem hangen-
den Figuren und Baldachinen, angereiht haben.) Ein Paar
dsthetische Differenzen zwischen meiner Auffassung und der des
Verfassers sind im Uebrigen so geringfiigig, dass ich sie iiber-
gehe. Nur in Betreff des Profils der Gewélbgurte, — dessen
Form ich fiir besonders wichtig halte, — bemerke ich, dass
ich ein noch etwas scharferes asthetisches Eingehen, namentlich
auch bei den leisen Wandlungen dieser Form nach den Zeiten,
gewiinscht hatte. — Den beim gothischen Style angewandten
Farbenschmuck scheint der Verfasser fir eine wesentliche Neue~
rung, im Gegensatz zu den Dekorationen des romanischen Sty-
les, zu halten, was nach meiner vorstehend gegebenen Andeu-
tung dem Sachverhalt nicht entspricht. Der Verfasser recht-
fertigt das ganze Princip der energischen farbigen Zuthat, na-
mentlich im Verhialtniss der Architekturtheile zu der Buntfar-
bigkeit der Fenster (deren Princip an sich er wieder etwas
zu gesucht zu entwickeln scheint), Er sieht eine sich gegenseitig
bedingende und in solcher Art den harmonischen Organismus
des Ganzen erst beendigende Nothwendigkeit darin. Ich will
dem an sich nicht widersprechen; aber ich glaube, dass ge-
rade im gothischen Baustyl, bei der lebenvollen Plastik seiner
Architekturformen, die Schénheit des polychromatischen Ее-
mentes (und somit auch die des Total-Eindruckes) wesentlich
von dem entschiedensten Maasshalten in dieser farbigen Zuthat
abhangig ist. Ob und wieweit dies im gothischen Mittelalter
der Fall gewesen, ob nicht tibertriebene Consequenz moglicher
Weise auch hierbei tiber das Ziel hinausgeschossen, diirfte
zuvorderst noch festzustellen sein: wenigstens dirfte aus der