4eitung
fiir bildende Kunst und Baukunst.
	Organ
der deutSchen Kunstvereine,
	Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Diisseldorf — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — FOrster in Miinchen — Eiitelberger v. Edelberg in Wien
			redigirt von Dr. F. Eggers in Berlin.
	Montag, den 4. November.
	Ein Gang in das neue Museum in Berlin.
	Die Arbeiten Kaulbach s.
Von Fv. Eggers.
	Mein Freund Vincenz hat bei seinem Gange durch das
neue Museum nur andeutungsweise von den Schépfungen Kaul-
bach’s gesprochen, welche die grossen Wandflachen des Trep-
penhauses zieren werden. Er hat mir also die wichtige Pflicht
tiberlassen, einen Bericht iber die Arbeiten unseres vielwerthen
Gastes zu geben, welche sich in Anlage und Empfingniss jetat
schon tbersehen lassen und zum Ganzen runden.

Der geneigte Leser lasse sich noch einmal auf die Galerie
der einen, oder unter den Karyatidentempel der andern Fen-
sterwand des Treppenhauses fihren. In beiden Fallen hat er
links und rechts Thiren, welche, an der dussersten Grenze in
den Langwanden, die grossen geschichilichen Bilder derselben
begrenzen und die Bestimmung haben, die Sile des Oberge-
schosses mit einander zu verbinden. Der Wandraum tiber ihnen
wird von den allegorischen Figuren der ,Sage“, der Geschichte“,
der ,,Kiinste“ und der ,Wissenschaften* eingenommen werden.
Die Sage und die Geschichte sind im Carton fertig. Jene er-
scheint als eine nachtlich diistre Frauengestalt. Das epheuum-
rankte Haupt, von dem sich die starken Haare herunterwinden
und sich iber der Brust zu knoten scheinen, starrt uns an, wie
ет geisterhaftes, altergraues Steinbild. Die tausendjahrigen
Raben umflattern ihr Ohr, als ob sie ihr Kunde brachten von
den uralten Wundern, die sie mit erhobener Hand verktindigt.
Sie sitzt auf einer rauhen Felsbank an einem au/gewthiten Hii-
nengrabe und neben dem Schadel des Recken liegen Waffen-
trimmer und ein Kronenreif in den hochgewachsenen Grasern.
Klar dagegen und ruhig wie ein anbrechender Sommertag sitzt
das schéne Frauenbild, welches die ,,Geschichte* darstellt und
schreibt ungestért und unbestechlich in dem grossblattrigen
Buche, das ihr ein befliigelter Genius, die jimgste Zeit, vorhalt.
Zu ihren Fiissen liegen die noch unbeschriebenen Blatter der
Zukunft; eine Lampe auf schéngeformtem Kandelaber mit einem
einfachen Lorbeerreis umsteckt, leuchtet zu der stillen, ernsten
Arbeit, welche der unhdérbare Schrilt der Sanduhr nicht stort,
wahrend er doch den Vélkern ihren Aufgang und Untergang
‘zumisst.

Die beiden Langwande sind nun eine jede durch zwei zu
	malende Pilaster von etwa 10:—412 Fuss Breite in 3 grosse, fast
quadratische Felder getheilt, welche bekanntlich durch 6 grosse
Bilder folgenden Inhalts ausgefiillt werden sollen und zum Theil
schon ausgefiillt sind. Zuerst kommt die bereits vollendete Zer-
storung des Babelthurms, dann der singende Homer,
im Carton begonnen, die Zerstérung Jerusalem’s ist der
Beendigung nahe. Die Hunnenschlacht wird die gegentber-
liegende Reihe eréffnen. Daneben werden die Kreuzzige
kommen, welche eben fertig componirt und im ersten Blei-
entwurf ausgefihrt sind. Den Beschluss wird wahrscheinlich
die Reformation machen. — Wir kommen weiter unten auf
diesen. Cyklus zuriick. Die 4 Pilaster, welche der Linge nach
eine Art Einrahmung erhalten werden, in deren Felder ein-
zelne historische Figuren, gleichsam die Noten zu dem farbigen
Text der grossen Fresken ihren Platz finden, — also diese
Pilaster werden in der Mitte durch einen ungefahr 3 Fuss breiten
Streifen fiir reliefartige Darstellungen in kleinem Maassstabe
in zwei Hialften getheilt. Die obern Halften werden mit den
allegorischen Figuren von Aegypten, Griechenland, Ita-
lien und Deutschland geschmiickt werden, wahrend die un-
{егеп Ваише je ein hervorragender Held einnehmen wird. Dazu
sind Moses, Solon, Karl der Grosse und Friedrich der
Rothbart ausersehen. Die beiden zuerst Genannten sind im
Carton fertig. Moses sitzt auf einem Steinblock, die Gesetzes-
tafeln in den Handen. Es weht der lange Bart von dem auf-
gerichteten Haupt, um welches, wie vom Widerschein der Gott-
heit, leise Strahlen spielen. Zu seinen Fiissen liegt das halb-
zerborstene Kalb, welches einige Arbeiter mit spitzen Hammern
vollends zu Trimmer schlagen. Solon dagegen sitzt, das sin-
nende, kahlscheitelige Haupt in den Handen, tiber den Gesetzen
des Drako, welche mit Beil und Strick in eiem Kasten zu
seinen Fiissen dastehen; er sinnt, wie er diese Blutgesetze
menschlich mache. Ein schéner Griechenjiingling, das junge
Haupt mit Blumen und Bandern geschmiickt, hat sich dem Ge-
setzdenker genahert und schaut ihm mit froher Ungeduld in die
Tafel, ob cs ihm bald erlaubt sein werde, Mensch zu sein.
Irre ich nicht, so hérte ich, dass es Absicht sei, den 4 Landern
einen jedesmaligen grossen Gesetzgeber hinzuzufigen. Da
mochten sich nun allerdings hauptsichlich gegen Carl den Gros-
sen manche Bedenken finden. Einmal kann Italien hier, wo es
sich um Hervorhebung der welthistorischen Vélker und
Lander handelt, nur in Betracht kommen, in so fern das alte
	Rom in ihm lag. Hier nun eine geeignete Personlichkeit als
AA