so recht eigentlich die Stimmung, die jede verschiedene Tages-
zeit auf unser innerstes Seelenleben hervorbringt, in diesen
reizenden Figiirchen verkérpert. Wir méchlen den Morgen das
uppige frohliche Erwachen, den Tag das aufjauchzende Leben,
den Abend ein Insichazuriickkehren und die Nacht den siissen
Traum der Psyche nennen. Der Morgen, ein Knabe, noch sich
reckend aus der eben iiberwundenen Schlafestrunkenheit, fast
iibermiithig den Vogel der Nacht mit dem Fuss von sich stossend,
giebt uns so ganz das Bild des wieder erwachien zum Bewusst~
sein neuer Kraftigung gekommenen Lebens, als es nicht leicht
besser bildlich darstellbar sein wird, auch wenn die seitwarts
angebrachte aufsteigende Lerche nicht wiederholt dasselbe Ge-
fihl in uns hervorrief. Der Tag, ein in das Licht hinaufjauch-
zender Knabe, von dem fréhlich sich wiegenden Ebenbilde der
Psyche, dem Schmetterling, begleitet, der Abend mit halbge-
schlossenen Augenliedern gleichsam in stisser Erinnerung an
den schén durchlebten Tag schwelgend, und die Nacht mit dem
Gedanken an den Schépfer so vieles Herrlichen, hinabtauchend
in den erquickenden Schooss des Schlafes! — Man kann etwas
seelenvoller Gedachtes nicht sehen; wer den Tag seines Lebens
so zugebracht hat, dass diese vier Medaillons auf seinen Grab-
stein passen, der hat gewiss einen sanften Schlaf. Erkennen
wir nicht zugleich in diesen Bildern einen neuen, hie und da
auch endlich in der Kunst Gestalt werdenden Geist einer eben
so gemiithvollen als rationellen Anschauung des Schénen und
Gottlichen in der Natur ?

In einem andern Basrclief zeigt uns Rietschel aber auch
noch, dass er eben so trefflich und gemiithlich humoristisch
sein kann. Es stellt diess cinen Amor vor in der entsetzlich-
sten, héchst komischen Angst; denn er kann der Bestie, die er
sich zu bezwingeu unterfangen, eines Panthers, nicht Herr wer-
den; der Panther geht mit ihm durch, und zwar so rasend,
dass das arme Kind nicht wagt, von seinen kleinen Fliigeln
Gebrauch zu machen, die in der That, ob absichllich oder nicht,
so aussehen, als sei er noch gar nicht recht fltigge und habe
ein Wagstiick unternommen, dem er durchaus noch nicht ge-
wachsen ist. Der arme Bursche macht ein Gesicht wie der
Ganymed von Rembrandt auf unserer Galerie. Es ist so zu
sagen das Bild, nicht einer ziigellosen, denn diese wiirde noch
immer keck und trotzig alles nicht achtend gedacht werden miissen,
sondern das einer volistandig biigel- und haltungslosen Liebe ;
ein héchst ergétzliches Bild!

Von der Durchfihrung dieses sowie der erwahnten Bas-
reliefs sprechen wir nicht; Rietschels Meisterschaft in allem -was
feine Durchbildung der Form betrifft, ist anerkannt und bedarf
keines besonderen Hervorhebens. Der Panther ware vielleicht
das einzige, was eine noch mehrere Kenntniss des Thiercha-
racters weniger — denn dieser ist vollkommen wahr — als
vielmehr der einzelnen Kérpertheile wiinschenswerth erscheinen
liesse, doch aber wohlverstanden nur insoweit, als wir es mit
dem andern in vollkommen gleicher Vollendung wiinschten,
denn immerhin ist auch so schon ctwas dem Eindruck etwa
Stérendes und Auffalliges durchaus nicht zu bemerken.

Die Madonna von Prof. Hahnel ist zwar weniger cin so
eigenthiimliches, als vielmehr ein gelungenes Werk adoptirter
kiinstlerischer Anschauungsweise zu nennen, wie denn am Ende
eine Madonna in wirklich glaubiger Hingebung an die miltel-
allerliche Mythe zu unserer Zeit tiberhaupt kaum wird entstehen
kénnen, am wenigsten aber diess mit einer Richtung sich ver-
einigt denken liesse, wie sie durch Prof. Hahnel bisher ver-
lrelen war. Um so mehr bewundern wir die méglichst gelun-
gene Bewiilligung der, unserm Dafiirhalten nach, fir den Kiinstler
doppell schwierigen Aufgabe, und scheint uns diess vorziiglich
in einer glicklichen Verschmelzung und Benutzung zweier Auf-
	fassungsweisen des Madonnentypus zu ltegen, des rein deut-
schen, der Holzschneidekunst des Miltelalters besonders eigen-
thiimlichen, und des ilalienschen oder vielmehr raphaelischen
Ideals; dem ersteren ist die dem Standbild entsprechendere Hal-
tung der ganzen Figur, dem letzteren eine gréssere Fille, die
fast bis zur Gedrungenheit vielleicht etwas zu sehr gesteigert
ist, und die anmuthigere leichtere Durchfihrung in der Gewan-
dung entlehnt, und so hat der Kiinstler die Klippen, an denen
so Viele bei der Wiedergeburt des mittelalterlich kirchlichen Typus
scheitern, glicklich umschifft, sowohl die gewéhnlich in unge-
niessbare Siisslichkeit und diirftige Magerkeit umschlagende
Innigkeit jener Zeitauffassung, als auch ein allzuweites Ent-
fernen von dem nun einmal gegebenen Typus der Madonna.
Der Ausdruck des Kopfes der Madonna harmonirt vollkommen
mit dieser krafltigeren Auffassung, und wenn Viele in dem Aus-
druck ihres Kopfes, wie des Christuskindes, etwas zu Weltliches
haben erkennen wollen, so miissen wir bekennen, diess von
unserem Siandpunkt aus nicht recht zu verstehen, uns ist nur
noch die irdische Maria, d. h. das Weib in seiner hochsten
geistigen Vollkommenheit, darstellbar, die himmlische, mystische
scheint uns denn doch im Ernst zu weit entriickt zu sein, als
dass wir eine Forderung dieser Art an den Kinstler unserer
Zeit zu stellen verméchten. Die Durchfiihrung des Standbildes
ist jedenfalls sehr verdienstlich, und wenn wir oben einer viel-
leicht zu siarken Gedrungenheit des Korpers gedacht, so ist
uns diess vorziiglich in der Breite der Schultern so erschienen,
so wie auch das auf der rechten Hiifte aufgelegte Gewand das
Auge tiber den vielleicht richtigen Fortgang der Kéorperlinie
verfiihrt.

Einen Tadel wollen wir hiermit nicht ausgesprochen haben,
auch kénnen wir selbst méglicherweise irren, es dient jedoch
ein Eingehen dieser Art dem Kiinstler jederzcit gewiss zu der
Beruhigung, dass man seine Arbeit mit Aufmerksamkeit und
Liebe betrachtet, und nicht blos mit dem Catalog in der Hand
	Notizen fiir ein Journal gesammeit hat. (Fortsetzung folgt )
	Zur Kunde der altesten Kupferstecher und ihrer Werke.
Von J. D. Passavant.
(Vgl. No. 21. 22, 23. 28. 29. 32 (Nachtrag). 37. 38 und 45.)
(Schluss.) °
	Mailander Kupferstiche,
	Dass auch in der Schule des Leonardo da Vinci in Mailand
Versuche im Kupferstich gemacht worden sind, und von dem
Meister selbst ein solcher vorhanden ist, ergiebt sich aus einigen
Blattern, von denen der Sturm der Zeiten nur wenige auf die
unsrige hat kommen lassen. Von Leonardo da Vinci selbst
halte ich jenen schénen Profilkopf einer Dame mit reichen Haar-
flechten, welcher sich in der Sammlung des Thomas Wilson
befunden, und von dem sich in dessen Catalog von 1828 ein
Facsimile befindet. Das Original besitzt jetzt das Britische Mu-
seum. Die Behandlung daran ist meisterlich geistreich und von
der gréssten Feinheit in der Zeichnung. Der Ausdruck hat
jenen unnachahmlichen Liebreiz, den wir bei Leonardo so sehr
bewundern, der bei seinen Schilern aber meist ins Gezierte
fallt. Die Fihrung des Grabstichels zeigt dagegen Ofters eine
darin noch ungeiibte Hand. Dem Leonardo zugeschrieben wer-
den auch verschiedene Entwirfe oder Ansichten des Pferdes
zu der von ihm modellirten Reiterstatue des Lodovico Sforza,
Es sind deren zwei oder drei in sehr kleinen Dimensionen auf
einem Blatt, Ich sah diesen Stich vor vielen Jahren bei Valardi
in Mailand, versaumte aber damals, mir eine genaue Notiz da-

AG *