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	und Form der Fensterscheiben des Mittelalters* und endlich eine
Abhandlung ,iiber den Kirchenbau der Protestanten “.

Was Heideloff bezweckt, werden wir am besten aus sei-
nen eigenen Worten erfahren. Nachdem er den Verfall der
Baukunst seit dem Verlassen des gothischen Styles beklagt hat,
sagt er von sich: ,Da unternahm ich es, gegen die Phalanx
der Modernitaét aufzustehen, die Altire der fremden Gétzen zu
zerstéren und den alten Kunst-Cultus wieder herzustellen, ja
den bildlichen und thatsachlichen Beweis zu fithren, dass ge-
rade der deutsche grossartige Baustyl auch zugleich der an-
wendbarste und wohlfeilste sei, dass er durch Construction
und Charakter dem Geist, Gemith und tberhaupt der ganzen
Natur des Deutschen mehr zusagt, als das Antike der Heiden-
welt. — Wenn ein Kunstler, wie Heideloff, der mit noch ju-
gendlicher Glut der Begeisterung das ihm theuer gewordene
Ideal hegt und pflegt, nun in seiner Vorliebe fiir das Eine wohl
auch mit einem gewissen Vorurtheil gegen Anderes eingenom-
men ist, so diinkt uns das bei einem solchen Manne ebenso
erklarlich als verzeihlich. Wir aber, deren Pflicht es ist, in
Unparteilichkeit Jedem das Seine zuzumessen, wir miissen auch
gegen dic, wie es scheint, zu sehr in Schatten gestellten Kunst-
richtungen gerecht werden. Was nun den Baustyl betrifft, der
sich wesentlich auf antike Prinzipien stiitzt, so lasst sich eines-
theils nicht laugnen, dass derselbe vielfach zu dusserster Ver-
flachung, zu brettartigen, todten Fagaden gefiihrt hat: апдеги-
theils ist aber auch anzuerkennen, dass schon jetzt verschie-
dene tichtige Architekten mit glinzendem Erfolg eine gesunde
Reaction dagegen erhoben haben, indem sie dieselben Prinzi-
pien beibehielten, ohne in die mit Recht zu tadelnden Fehler
zu fallen. Berlin liefert fiir beide Richtungen genug Beispiele.
Gewiss aber sind wir nicht berechtigt, einen Baustyl darum zu-
riickzuweisen, weil er von einem fremden Volke stammt; denn
wie kénnte dann der byzantinische oder romanische, oder der
franzésisch-gothische Styl jemals Gnade finden in unsern Au-
gen? Nach diesem Grundsatz diirften wir ja nicht einmal die
Architektur Griechenlands gelten lassen, da dieselbe wahr-
scheinlich ihre Anfange dem Orient und Aegypten entlehnt; wir
miissten sogar gegen das Christenthum uns erklaren, weil das-
selbe gewiss Nichts weniger, als germanischen Ursprungs ist.

Von jeher ist an den verschiedenen Vélkern sowohl Unter-
scheidendes als Gemeinsames gewesen. In den beweglicheren
Kiinsten, der Malerei und Skulptur, ist, wie in den Sprachen,
mehr das Feld charakteristischer Besonderheiten. Die Archi-
tektur dagegen, dhnlich wie die Kleidertracht, bedingt durch
die Gleichheit der herrschenden Ideen und der praktischen Be-
dirfnisse, ist in ihrem Totalcharakter mehr ganzen Zeitaltern
gemein, und die nationale Verschiedenheit tritt hier nur in
leichten Modificirungen des Gesammt-Typus auf. Die Richtig-
keit dieses Satzes lasst sich in der Geschichte von dem Augen-
blick an verfolgen, wo unter einem grdésseren Vélkerkomplex
ein gemeinsames Leben anhebt. Als das Christenthum eine
Macht zu werden anfing, fand es seinen entsprechenden archi-
tektonischen Ausdruck im byzantinischen und romanischen Styl.
Je mehr aber das christliche Prinzip von der Diesseitigkeit
heidnischer Anschauungen sich léste und zur weltverachtenden
Transcendenz miltelalterlicher Verztickung gelangte, deslo mehr
streifte auch seine Architektur die alten Formen ab, bis end-
lich in dem himmelanstrebenden gothischen Dom, der alle ho-
rizontale Richtung tiberwunden hat, die Idee eines tiber- und
ausserwelllichen Gottes, zu dem unaufhorlich die christliche
Seele sich hinaufsehnt, ihren héchsten, ihren entsprechendsten
Ausdruck gefunden hatte. In diesem ideellen Verhaltnisse lag
die Nothwendigkeit einer allgemeinen Herrschaft des Spitzbo-
genslyles begriindet. Aber auch sein Verfall. Als durch die
	Reformation die mitlelailterliche Goltesanschauung zusammen-
brach, musste auch der durch jene hervorgerufene Bausty] un-
tergehen. Driickt eine Kunstrichtung den geistigen Inhalt einer
Periode nicht mehr aus, so sucht der Genius des Menschen
instinktmassig nach neuen, dem fortgeschrittenen Bewusstsein
analogen Formen.

Unrecht wiirden wir also thun, wenn wir jene kunstge-
schichtliche Umwalzung als ein Werk der blossen Nachahmungs-
sucht auslaindischer Moden betrachten wollten. Die Aufnahme
fremder Kunstprincipien wird man keinem Volke verargen kén-
nen: die Hauptsache fiir die Kunst ist nur, dass das von aussen
Heriibergenommene in Fleisch und Blut verwandelt, dass etwas
Neues, Selbstindiges daraus geschaffen, dass es zum eigenen
geistigen Besitzthum werde. Und das war einst mit dem go-
thischen Style in Deutschland vollkommen der Fall: mag die
neuere Forschung auch immer mehr feststellen, dass die An~
fange des Spitzbogenstyles in Frankreich zu suchen sind, das
Lob wird darum dem Deutschen unverkiimmert bleiben, dass
er den fremden Styl mit jener Tiefe und Consequenz ausge-
bildet hat, die cin Erbtheil des deutschen Geistes ist. Aehn-
lich haben wir ja auch die Anfange der gelehrten Musik aus
Italien tiberkommen, und doch hat auch hierin kein, Volk eine
solche Phalanx tiefsinniger, durchgebildeter, klassischer Sché-
pfungen aufgestellt, wie das unsere.

Da in unserem Zeitalter des Eklekticismus bis jetzt noch
kein Baustyl zu ausschliesslicher Allgemeingiltigkeit gelangt
ist, so wird man es keinem Archilekten verargen kénnen, wenn
er nach seiner gewissenhaften Ueberzeugung dem Prinzipe folgt,
welches ihm das wahrste und richligste zu sein scheint. Fern
sei es von der Kunstkritik, sich hier zur Schiedsrichterin tiber
Fragen aufwerfen zu wollen, die vor das héhere Forum der
Geschichte gehéren. Wir werden uns nicht anmaassen, uber
eine Kunstrichtung das Anathem auszusprechen, wofern dieselbe
in wahrhaft kiinstlerischer Weise sich geltend macht. Das ist
ja eben das Eigenthiimliche unserer Zeit, dass sie eine so un-
ermessliche Mannigfaltigkeit der Bestrebungen umfasst; das eben
das Spannende in dieser Entwicklung, dass geradezu entgegen-
gesetzte Richtungen, auf derselben Scholle dicht neben einan-
der aufgeschossen, machtig mit einander um die Existenz rin-
gen. Unsere Sache ist es da, zuzusehen, dass der Streit ein
offener, ehrlicher bleibe, dass er nur mit den edlen Waffen
der Kunst gefiihrt werde. Wie wir daher dem tiberzeugungs-
treuen Streben Heideloff’s unsere volle Anerkennung niemals
versagen werden, so glauben wir aber auch gleiches Recht fiir
die von ihm angegriffene Kunstiibung ansprechen zu dirfen.
Er sagt: Dieses Gemengsel von gricchischer und rémischer
Architektur, dieses Quodlibet von Saulen, Gesimsen, Orna-
menten und anderen barocken Gliedern zusammengesetzt, ist
ein steinernes Spotigedicht auf den guten Geschmack, entbehrt
aller Originalitét und hat nur das traurige Verdienst, das rein
Antike und den edlen deutschen Bau-Charakter vollends zu
verderben.* So weit diese Vorwirfe begrindet sind, tragen
wir um so weniger Bedenken, sie zu adoptiren, als wir kiirz-
lich in einer Besprechung der Hitzig’schen Arbeilen (Deutsches
Kunstblatt No. 45) aus jenen Uebcisténden kein Heh! gemacht
haben. Aber, wie schon oben angedeutet worden, haben un-
sere tiichtigeren Architeklen — und unter diesen steht ftir den
Privatbau Hitzig obenan — die Kunst aus dem geschilderten
Verfall herausgerissen, in manchen Arbeiten nicht allein Mu-
sterbilder reinen, guten Geschmackes, sondern auch originale
Umbildungen antiker Style aufgestellt, und dadurch dem von
ihnen befolgten Bauprinzip Giiltigkeit und Gleichberechtigung
	mit jedem andern verschallit.
Gehen wir nun zu dem Posiliven tber, was uns von Hei-