Schon in diesem Bilde, noch mehr aber in einer Anbetung der Hirten, zeigt sich der Einfluss, welchen die geistreichen Kupfer- sliche des Martin Schongauer damals in so weiten Kreisen aus- ubten. Bei letzterer ist dic Composition ganz nach einem der Blatter jenes Meisters genommen. Sehr merkwiirdig wegen der Darstellung, wenn schon untergeordneter im Kunstwerth, ist endlich das grosse, die ganze Seite einnehmende Titelblatt, welches alle méglichen Arbeiten eines Gold- und Silberberg- werks darstellt. Oben sieht man den Besitzer in Goldbrocat von anderen reichgekleideten Personen umgeben. Aus dem hier von zwei Engeln gehaltenen goldenem W. sieht man, dass die- ses wieder der Besteller des Buches sein soll. Vielleicht ist mit jenem Bergwerk der reiche Bergbau vom Cuttenberg gemeint. Ein anderes Choralbuch von ahnlichem Format mit der Jah- reszahl 1491 am Ende befindet sich unter No.2 in der Am- braser Sammlung. In den Initalien, wie in den prachtvollen Randern dieses durch theilweise in bohmischer Schrift, wie durch die slavische Bildung der Képfe sicher als von béhmi- schem Ursprung beglaubigten Codexes findet sich eine grosse Verwandischaft zu dem vorigen. Die Bilder im Geschmack des Wohlgemuth, mit nur untergeordnetem Einfluss des Martin Schongauer, rihren von einem sehr geschickten Kistler her. Die Compositionen sind gut gedacht, die Képfe bisweilen von edlen, meist von wahren und derben Ziigen, die Farbung sehr kraftig, der Vortrag der Guaschfarben von selten starkem Im- pasto. Auf einem der Bilder befindet sich das Monogramm des Kinstlers M. Das die ganze Seite einnehmende Titelblatt stellt oben die Maria mit dem Kinde in der Herrlichkeit und zwei Engel vor, welche sie, die Krone haltend, tberschweben. Unten ein Mann, ohne Zweifel der Veranlasser des Codexes, mit zwei Séhnen, gegeniiber zwei Frauen mit neun Madchen. Das Ganze wird von gothischen Pfeilern, woran Standbilder von Heiligen, und oben von einem Bogen von spatgothischer Form eingefasst. Dabei das Wappen der Familie. In dem Rande vor jedem Haupt- abschnitt meist auf die Vorstellung in der Initiale beziigliche Gegenstande, so, wo in der ersten Christus, im Rande die zwilf Apostel, wo der heilige Sebastian, der an Martin Schongauer erinnert, die Schiitzen. Ein Rand enthalt indess Vorginge aus dem Bergwerksleben und deulet auf eine lokale Beziehung wie der vorige Codex. Ausserdem finden sich noch von einer ge- ringeren Hand in flichtigen, leicht illuminirten Federzeichnun- gen an den Réandern Vorstellungen, unter welchen die Ver- brennung des Johann Huss mit den stark karikirten Bischdfen beweist, dass dieses Denkmal fiir einen Hussiten ausgefihrt worden ist, und eine grosse Zahl kleinerer Initialen mit spass- haften Gegenstanden von 6fter etwas derber Natur. Dass auch im 16. Jahrhundert die Schule von Nurnberg bestimmend auf die Malerei in Béhmen eingewirkt hat, beweisst die Handschrift einer béhmischen Uebersetzung des Lebens der Einsiedler des В. Hieronymus von Hruby von Geleny, welche fir den Kanzler von Béhmen, Ladislav Sternberg nach einer Notiz am Ende im Jahre 1516 geschriehben worden ist, und sich jetzt auf der K. Universitatsbibliothek zu Prag befindet. Die sehr genihrte Minuskel des Foliobandes hat fiir die Zeit einen noch sehr gothischen Charakter. Auf die Riickseite des zwei- ten Blatis einc die ganze Seite einnehmende Vorstellung des h. Franciscus, welcher die Wundenmale empfingt, dabei der Laienbruder und in der Ecke rechts, in prachtigem Pelz von Goldstoff und purpurnem, mit Gold gehéhtem Rock, der knieende Kanzler. Gegentiber sein Wappen, ein behelmter goldner Stern im blauen Felde, und der Inschrift Ladslaw Zsternberka. In der Auffassung der Képfe zeigt sich ein sehr lebendiger, aber derber Realismus; so ist das Schlummern des sehr philistrésen Laienbruders vortrefflich ausgedriickt. Die Landschaft, in wel- cher sich reiche gothische Gebaude erheben, hinter denen blaue Berge aufsteigen, und die dunkelblaue Luft mit hellem, gold- gesireiftem Horizont abschliesst, verrath eine grosse Verwandt- schaft zu A. Altdorfer, dessen Einfluss aus dem benachbarten Re- gensburg auch sehr erklirlich ist. Ein Lowe und ein Bar im Vordergrunde erinnern dagegen lebhaft an Diirer, z. B. in den bekannten Randzeichnungen. Die Farben sind von grosser Kraft und Tiefe, die Lichter in Pinselgold zierlich aufgehéht. Die fleissige Ausfihrung ist mehr technisch meisterlich, als geist- reich. Der braune Rand mit mageren Windungen ist hier nicht von Belang. Desto reicher und prachtiger ist die volle und genahrte Acanthusarabeske auf der Seite gegentiber, in welchen Griin, Purpur, Blau und Violett im vollsten Glanze abwechseln. In der Initiale, worin der schreibende heilige Hieronymus mit seinem Léwen, ist ein Einfluss italienischer Miniaturen bemerk- bar. Hier, wie schon in der Initiale und dem Rande der Vor- rede, ist die Ausfiithrung héchst meisterlich, Die Vignetten aus dem Leben der Einsiedler vor jedem Abschnitt sind von unglei~ chem aber geringerem Kunstwerth, indess immer sehr interes- sant durch den Inhaft der Vorstellungen, welche die Valer ein- sam im Lesen vertieft, ungeheure Drachen durch den Segen bindigend, und in anderen Beschiaftigungen darstellen. Zu den besten Vignetten gehéren die Einsiedler Paulus und Antonius. Auch der Rand enthalt hier in zwei Affen, deren einer die Pauke schlagt, der andere die Guitarre spielt, artige Vorstel- lungen. Ungefihr in der Milte des Buchs héren die Vignetten so wie die reichen Randverzierungen und die zahlreichen Ini- tialen auf. Dass die Kunstweise der frankischen Schule in der Form, wie dieselbe in BOhmen ausgebildet worden, sich von dort aus auch nach Schlesien verbreitet hat, beweisst ein prichtig aus- gestatletes, auf die Veranlassung von Heinrich, Herzog zu Mun- sterberg und Oels und seiner Gemahlin Ursula von Hohenzol- lern-Brandenburg geschriebenes Passionale in der Kaiserl. Bi- bliothek zu Wien (No. 1960). Nach dem Charakter der Bilder diirfte dasselbe gegen das Ende der Regierung dieses Herrn, mithin kurz vor dem Jahre 1502 fallen. Gegen die gleichzei- ‘tigen, bohmischen Denkmale steht dieses Buch indess in der Kunst zuruck und verrath einen provinziellen Charakter. So sind hier die Rander mit Acanthusmotiven schwiilstig und grell- bunt in den Farben, die vorkommenden Masken widrig und ver- zeichnet. Unter den Bildern zeichnet sich die Maria mit dem Kinde, von dem knieenden Herzog verehrt (Bl. 53b) besonders aus. Im Allgemeinen sind jedoch die Gesichter hasslich in den Formen, hart und trocken in den Umrissen, schwer in der Farbe, die Gewander iiberladen mit eckigen und bauschigen Falten. Am Ende befinden sich die grossen, prachtigen, zu einem Ganzen vereinigten Wappen des Herzogs und der Herzogin. Bei der Bedeutung, welche jedes Werk von Hans Holbein dem jiingeren fiir den Freund der deutschen Kunsigeschichte hat, bemerke ich, dass ich ein solches in einer in dem walraf~ schen Museum befindlichen Anbetung der Hirten erkenne, wel- ches dort, so viel ich weiss, als unbekannt aufgestellt ist. Da die Bilder dort noch keine Nummern haben, gebe ich zur nahe- ren Bezeichnung an, dass die Composition in ihrer Zufalligkeit elwas durchaus Genrearliges hat, welches sich auch in den Charakteren und der meisterlich durchgefiihrten, von dem Kinde ausgehenden Beleuchtung vorfindet. In dem Gefiihl, in der Art der trefflichen Modellirung, in dem braunlichen Localton der Fleischfarbe findet sich cine auffallende Uebereinstimmung zu der ebenfalls als Nachtstick aufgefassten Anbetung der Hirten im Minster zu Freiburg im Breisgau, bekanntlich einem be- glaubigten Werke Holbeins.