wirkt wie der Odem der Geschichte selber, da wird man slille
davor und die alte Zeit wird lebendig; man meint, man stehe
endlich vor dem Kaiser Karl, von dem Ludwig Uhland gesungen
hat und der das Kreuz aufgerichtet und Deutschland gross ge-
macht hat; da kommt man wirklich dazu, dass man den Maler
ganz vergisst tiber sein Werk, weil er, so zu sagen nicht immer
dazwischen redet, sondern seine Helden fir sich reden lasst.
Freilich, wer geht nicht gern an der Hand eines geistvollen
Mannes, der uns zeigt, wie er die Geschichte gelesen hat, der
uns vielen Stoff zu sinniger Beschafligung giebt, an diesen
Gestalten voriiber und lasst sich zu den verschiedensten Be-
trachtungen anregen und erfreut sich an der bliithevollen Schén-
heit so mancher Gestalt, allein anders ist dieser Genuss, anders
jener, den man empfindet, wenn die Vergangenheit leibhaftig
aufersteht und die wieder wach gerufenen Helden derselben
mit klirrendem Eisenschritt und mit den Kampfen ihrer Zeit auf
dem Antlitz voriibergehen, so dass die Wucht ihrer Thaten
nachbebt in dem erschiitterten oder begeisterten Gemiith.

Kehren wir jedoch in den Cyclus aurick. Auf dem Bilde
der Kreuzziige erscheint nun der Gottessohn als der allge-
mein und mit schwirmerischer Hingebung Geglaubte. Hier ist
nun jene Vereinigung der enlgegengeselzien Religionen, von
der wir sprachen, vollbracht. Der Mensch ist mit dem einen
Gott vermittelt, welcher in liebender Nihe auf Erden gewandelt
hat. Seiner Auffassung getreu, spricht der Maler: Wie jene
Christum sahen, so muss ich ihn hinmalen. Der lange ausge~
dehnte Zug des Abendlandes gegen das Morgenland, der sich
fort von uns in die Tiefe des Bildes hinein nach dem ersehnten
heiligen Grabe bewegt, ist von der Begeistcrung far den Besitz
desselben durchgliiht und giebt zugleich wieder Gelegenheit,
nebenher andere Charakterziige der damaligen Zeit, des Mittel-
alters, mit hineinzuweben, wie wir das in No. 45 beschrieben
haben. Dieses Bild ist, wie das gegentiberliegende der grie-
chischen Welt, ein Zustandsbild. Beide sind das Portrait einer
gréssern Geschichtsperiode. Aber ein Portrait aus dem уот-
gertickten Alter, wo die Bewegungen sich gelegt und feste Ziige
ausgepragt haben. Diese sind die grossen und hervorragenden
Manner, welche ruhig hineingewoben werden in die breite Zu-
stindlichkeit des Ganzen, und an Ort und Stelle alle mehr etwas
bedeuten, als im Augenblicke wirklich sind, wie die be-
festigten Zige eines Antlitzes demselben durch das Erlebt-
haben und nicht durch das Erleben Charakter und Ausdruck
geben.

Aber der hier dargestellte Christus ist noch wieder getriibt
durch die Art und Weise, wie die Menschen ihn zu fassen
streben. Es sind eben Kreuzfahrer, die eine Welt von Mih--
seligkeit auf sich nahmen, um zuletzt am heiligen Grabe das
alte Schicksal der Maria Magdalena zu erfahren; sie suchten
den Herrn und erkannten ihn nicht. Im Aeusserlichen, im Sinn-
lichen suchten sie, was sie allein im eignen lebendigen Geiste
bei sich trugen und zu entwickeln hatten. Aber dieser Geist
war geknechlet durch die Herrschaft der Kirche, welche an
der Spitze dieser Kreuzziige stand und welche so fest war,
dass sie nur von inmnen heraus erschtittert werden konnte. Es
kam aber die Zeit, da der Christus nicht mehr im steinernen
Grabe im Garten des Joseph von Arimathia, sondern im eignen
Geiste und Herzen gesucht wurde, die Zeit, da alle Aeusser-
lichkeiten und alle Zwecke der Endlichkeit, aller Missbrauch
der Herrschaft in ihrer Nichtigkeit erkannt wurden, die Zeit,
wo an die Stelle der Autorilat der Kirche das Zeugniss des
menschlichen Geistes gesetzt ward. Die Reformation, durch
welche die chrislliche Freiheit wirklich geworden, ergiebt sich
also von selbst als Schlussstein des ganzen Cyclus. Wir fahren
dieses an, weil wir neuerdings hérten, dass es nicht so aus-
	gemacht sei, dass der Reformation der Raum des Abschluss-
bildes angewiesen werde, obgleich das auch schon jahrelang
in allen Berichten, die je tiber diese Schépfungen Kaulbach’s
erschienen sind, gedruckt zu lesen war. Wir miissen nun be-
kennen, dass wir es nicht begreifen wiirden, wenn der Meister
sich hierin beirren lassen wollte. Womit sollte denn sonst ab-
geschlossen werden, wenn nicht mit der Reformation? дем
man die Vernunftgéttin der franzésischen Revolution vor oder
will man gar beim Mittelalter stehen bleiben? Beides ware eine
wirklich unglaubliche Verkehrtheit. Wir wollen kein Wort dar-
iber mehr verlieren. Wir wiinschen nur, dass Meister Kaul-
bach den Winter tiber in Miinchen ruhig an den Eniwurf des
Reformationsbildes gehe. Mége er bedenken, dass ihm die
Aufgabe steht, die Weltgeschichte zu malen. Mége er uns im
naichsten Sommer einen Entwurf mitbringen, der sich den abrigen
Schépfungen wiirdig an die Seite stellt.
	Diisseldorf im Herbst 1850.
	Yon Hi. Weiss.
(Fortsetzung.)
	Privatateliers,
	indem wir durch Besprechung der hier jiingst vollendeten
Arbeiten beabsichtigten, die vielseitige Thatigkeit der Schule
hervorzuheben —— wobei wir hauptsichlich der jiingeren, weni-
ger allgemein gekannten Talente gedachten — so bleibt zur
Vervollstindigung unseres Berichtes noch ein Blick in die Pri~
vatateliers einiger Ktinstler tbrig. Diese sind fir uns um so
wichtiger, als gerade zur Zeit in innen mehrere gréssere, figu-
renreiche Compositionen gearbeitet werden, durch welche der
auf der Ausstellung u. s. w. fiihlbar gewordene Mangel solcher
Werke ersetzt wird.

Da wir es hierbei zum Theil mit noch nicht beendeten
Gemiilden zu thun haben,!) so kann unser Urtheil tiber die-
selben immer nur ein sehr bedingtes sein, doch soll mich das
nicht abhalten, selbst einige erst begonnene отбз5еге Аг-
beiten mit aufzufihren.

Zu den zumeist vorgeschniitenen Werken gehért ein grés-
seres Figuren-Bild von Theodor Hildebrandt. Da es in
seinen wesentlichen Theilen beendet ist, so kémnen wir
uns ein naheres Eingehen in die Composition um so weniger
versagen, als es, im Auftrage des Consul Béker gemalt, gleich
nach der Vollendung Dtsseldorf vorlasst, um nach Amerika
abzugehen.

- Hildebrandts Kunst beruht mehr auf einem feinen Gefihl
fir Form und Farbe, als auf einem durch strenge Theorie
begriindeten Fundamente. Seine Arbeiten entstehen nach und
nach aus dem innersten Heiligthume des Kiinstlers. Sie sind
das Resultat eigener Empfindungen, die, gelautert durch ein
feines Geftihl fiir Wahrheit und Harmonie, zur Erscheinung
kommen. — Im Beginne seiner Arbeit, stets iberwalligt von
dem darzustellenden Moment, schwebt ihm das Ganze wirtr
vor seiner Seele, erst nachdem er sich hineingelebt hat in den
Gegenstand, nachdem er ihn selbst vollstandig in sich aufge-
nommen und durchgefiihlt hat, entwickelt sich das Bild besltimm-
ter vor seiner Phantasie — hier erst gestaltet sich das hisher
Einzelne zu einem Zusammenhange und kommt in ihm als ein
Ganzes zur klarcren Anschauung — nun erst beginnt die eigent-
liche Arbeit des Kiinstlers, und jeden einzelnen Theil,
mit innigem бега fiir das Ganze, von Innen herausarbeitend,
	1) Von denen jetat freilich unterdessen manche beendigt sein werden.
D. Red.
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