seine indiyiduelle Weltanschauung, wenn er eine solche habe, zur Grundlage seiner Arbeit machen, und in diesem Falle sei er gezwungen, jene Anschauung, die er als bekannt nicht vor- aussetzen kénne, seinen Werken vorauszuschicken. Denn das ist einmal die Ansicht des Hrn. K., dass zu allen Zeiten die Kunst abwechselnd einer religiésen Weltanschauung unterthan und dienstbar gewesen sei, oder wo eine solche Weltanschauung nicht mehr allgemein giltig war, ohne Inhalt producirt, oder diesen lediglich als Behalter, als Periickenstock der schénen Form gebraucht habe. So sei die Kunst bei Rafael nichts als eine hohere Art Hieroglyphe gewesen, in der also die sinn- liche Form die Dienerin des Gedankens ist, in der die ganze Kunst mit vollem Bewusstsein nicht als Selbstzweck, son- dern als Mittel zu einem ausser der Kunstsphire liegenden Zwecke betrachtet wurde. Nach Rafael aber habe sie, dem Process des allgemeinen Kulturganges gemiss, freilich unbeab- sichtigt, den Gedanken zur Dienerin der Sinnlichkeit gemacht. Dieser Process wiederhole sich in der neuesten Kunst seit Cor- nelius und Overbeck noch einmal. Noch einmal ein bewusstes Poniren des Inhalts der katholischen Weltanschauung von Seiten der sinnlichen Form. Noch einmal ein Negiren dieses Inhalts, sei es durch sichtbare Ueberordnung des Interesses fir die sinnliche Form tiber das Interesse fiir den Inhalt, sei es aus Mangel an lebendigen positiven Gedanken. Das wird nun nicht naiher untersucht und die betreffenden Werke auch nicht naher bezeicnnet. Trotz alle dem, dass der Verf. damit nun der Kunst ihren Selbstzweck rundweg abgesprochen und sie als eine Polenz dargestellt hat, welche in Zeiten mangelnder herrschender Welt- anschauungen Gymnastik treiben muss, um, weun die positiven Weltanschauungen kommen, als dienstbarer tichtiger Knecht verbraucht werden zu kénnen — trotz alle dem tberrascht er uns nun mit der Ansicht, dass beide Richtungen (so wohl die, welche den Inhalt, als auch die, welche die Form tiberwiegen lasst) zwar nothwendige und gleichberechtigte Glieder im Pro- cess der historischen Kunstentwickelung sind, dass aber die héchste Stufe dieser nur dann zur Erscheinung kommt, wenn beide Richtungen zusammenfallen, wenn das Interesse, welches die Kunstthatigkeit leitet, gleich gross ist fiir die Form, wie fir den Gehalt; wenn also nicht zu erkennen ist, was dienend und was herrschend war, und ob das Interesse fiir Diese oder fiir Jene die Initiative in der Erregung des kiinstlerischen Wil- lens hatte. Nun meinen wir uns im Einklange mit dem Verfasser zu befinden und hatten nur zu sagen, dass er auf seinem eigen- thiimlichen Weg zu dem Resultat gekommen sei, zu welchem auch die wissenschaftliche Betrachtung der Kunst gelangt. So- fort aber beeilt er sich wieder, als ob er jede Gemeinschaft mit ,asthetischen Kreisen* wie die Pest firchte, zu berichtigen, dass in Wahrheit jenes als Recht erkannte Kunststreben nur immer dann Statt haben kénne, wenn die letzten Stufen einer positiven Geistesrichtung von der hereinbrechenden Negation getroffen werden. Auf diese Weise ware der Kinstler kaum etwas Anderes, wie ein an dem Rade der Zeit befestigter Pin- sel; je nach den Schwingungen wird er ein wahrer Kiinsiler oder bleibt ein Pinsel. Weil also die Méglichkeit, ein wahrer Kiinstler zu sein, durch bestimmte allgemeine Kulturzusténde be~ dingt ist, so kénne niemals das echte kiinstlerische Streben zu einer Schulforderung gemacht werden. Nun erfahren wir hinterher, dass Hr. K. der wissenschaft- lichen Aesthetik Recht giebt, dass er also forlwahrend einen Unterschied gemacht hat und dass er, wenn er yon der Aesthe- tik redete, gar nicht die Aesthetik meinte. Das ist argerlich, ist aber einmal so. Den Schlusssatz bildet die Behauptung: CAunstlitecatur. Die Entwickelung der Gottesidee, Mit einem Vor- wort: Die Kunst und die Aesthetik von Theodor Kauf- mann. Mit acht nach grossen Cartons ausgefiihrten Kupf erstichen. Diisseldorf, Johann Heinrich Schulz. 1550. Queer-Fol. Preis: 6 Thir. Es erschien zugleich eine franzésische Ausgabe. Der Hauptinhalt dieses mit Kupferstichen ausgestatteten Het- tes ist, wie der Titel auch besagt, eine religionsphilosophische Abhandlung, in welcher der Verfasser nach einem einleitenden ersten Theil, worin er seine Gedanken in Bezug auf das Ver- halten der Menschennatur im Entwicklungsprocess des Bewusst- seins iberhaupt mittheilt, im zweiten Theile sodann die Ent- wickelung der Goilesidee im Menschen darzulegen versucht, von dem ersten Erwachen des Gottesbewusstseins an bis auf die Vernunftreligion der Neuzeit. Eine Besprechung dieser Ab- handlung als solche missen wir uns an diesem Orte versagen, diirfen gleichwohl um so weniger die 8 Bilder von dem Werke losreissen und als Schépfungen der zeichnenden Kunst un- serer Beurtheilung unterziehen, als wir durch den Eingang des Vorworts unterrichtet werden, dass der Verfasser weniger Gewicht gelegt haben will auf die Bilder als Kunstwerke, son— dern vielmehr darauf, dass ihre Reihe die mdglichst entspre- chende sinnliche Form einer sie untereinander verbindenden Idee sei, so dass sie also auf ihre Art ausdriicken, was dic Abhandlung in Worten sagt, mindestens also zu dieser einen Cyklus begleitender bildlicher Darstellungen abgeben. Diese Darstellungen haben nun folgenden Inhalt: 1. Ursprung des Gottesbewusstseins im Menschen, Adam und Eva, welche vor dem Blitz des Herrn erschreckt flichen. 2. Ein Menschenopfer. 3. Sokrates, den Giftbecher trinkend. 4. Ein Wunder Christi, die Auferweckung eines Todten. 5. Die Mutter Gottes, ein in Prozession umhergetragenes Marienbild. 6. Ein Ketzergericht. 7. Luther schlagt die Theses an. 8. Die in Prozession umher- getragene Vernunfigéttin der franzésischen Revolution. Fs ist nun eine Sache fiir sich, ob Jemand aus diesem Bildercyklus mit oder ohne Anleitung der Textesworte des Ver- fassers, dessen Idee, die er mit den Zeichnungen yerband, in sich aufnimmt oder nicht; diese Blatter bedingen nicht noth- wendig die Kaufmann’sche Ansicht von der Entwickelung der Gottesidee im Menschen. Man kann auch eine andere dabei haben, oder sich, unabhangig von irgend einer, von einem kul- iur- oder welthistorischen Moment zum andern tragen und zu Gedanken und Empfindungen anregen lassen, immer werden diese Blatter als Kompositionsversuche von lauter sehr malba- ren, historischen Stoffen dastehen. In dieser Wah] der Stoffe besteht nach unserer Ansicht der Hauptwerth der Darstellungen. Nachst diesem darf die Komposition auf einige Anerkennung Anspruch machen, obgleich Dirftigkeiten und Einformigkeiten darin nicht fehlen, Desto mehr lasst Zeichnung und Stich zu wiinschen tibrig. Jene ist inkorrekt, dieser unfleissig gear- beitet. — In’s Einzelne wollen wir nicht eingehen. Es ist an dem vielleicht schon zu viel gesagt, da der Verfasser selber ausdriicklich den Schwerpunkt seines Werkes nicht in den Zeich- nungen, sondern in der Auseinanderselzung seiner Ideen findet. Nichts desto weniger ist das Vorwort: , die Kunst und die Aesthetik“ eine Beweisfiihrung, dass der wahre Kinstler der Jetztzeit so verfahren miisse, wie Hr. Kaufmann in seinem Werke. Wolle der Kiinstler nicht in frihere Weltanschauungen zuriick- greifen und auch nicht beim Genre, beim Stillleben oder der Landschaft mit seinen Darstellungen verweilen, so miisse er