Heiligen in der kirchlichen Malerei alle Ein und dasselbe; im
Grunde sind sie alle dieselben. Wie diese, so sind auch die
agirenden Personen des Genre, seien es nun Bauern oder Bir-
ger, Kneipwirthe oder Bettler, durchaus unlerschiedslos gegen-
einander; die Substanz des Einen ist zugleich die des Andern
und die gemeinsame Substanz Aller. Konflikte, saglen wir,
kamen allerdings vor; aber diese Konflikte beruhen auf keinem
innerlichen Unterschied und Gegensatz. Wenn sich die Bettler
um Brod schlagen, oder die Spieler bei den Karten, oder wenn
es bei Gelagen zu Raufereien kommt, so ist dies im Grunde
ganz gleichgiiltig; Spannung, ein innerlicher Kampf und Konflikt
ist deshalb nicht vorhanden; man weiss, im Augenblicke darauf
vertragen sich die Leule wieder aufs herrlichste, als ob nichts
vorgefallen; und selbst wenn es blutige Schlage setzt, so schlagt
jeder im Andern gewissermaassen nur sich selbst; eine Rauferei
ist im Grunde nichts, als die gemithliche Selbsthewegung cines
gemeinsamen und allen agirenden Personen gleichmassig zu
Grunde liegenden Principes, und mit dem innerlichen Konflikle,
einer tiefen wesentlichen Spannung und Verschiedenhbeit der
Interessen fehlen jenem Genre die Hauptelemente einer wahren
und асШеп dramatischen Darstellung; denn, ebschon manches
Drama eben nur eine Rauferei ist, so ist doch eine Rauferei
noch lange kein Drama.

Es muss somit fir die dramatische Malerei ein anderes
Gebiet, mit einer anderen Welt von Stoffen, einem anderen
Kreise von Gegenstinden geeignet erscheinen und dies neue
Gebiet ist die Geschichte. Die geschichtliche Malerei ist dic-
jenige Gattung, in welcher allein die dramatische Form der
Malerei sich vollstandig realisiren und zu ihrer letzien Vollen-
dung gedeihen kann, und, wenn unsere Hoffnungen uns nicht
triigen, gedeihen wird; sie ist wesentlich dramatisch, in ihr
waltet, wie Lommatsch einmal sagt, die Poesie der That.
Es beruht dies auf dem Wesen und der Natur der Geschichte
selber, die den Bedingungen der dramalischen Darstellung am
volistandigsten entspricht. Denn, halten wir zunachst an dem
Begriffe der Handlung im Allgemeinen fest, so ist gerade т
jedem Augenblicke und an jedem Punkte der Geschichte jene
untrennbare Einheit der die Aecusserlichkeit durchweg bestim-
menden Innerlichkeit und der der Innerlichkeit zum lebendigen,
selbststandigen Organe dienenden Aeusserlichkeit vorhanden,
die wir schon oben mehrfach besprochen haben. Die grossen
Momente der Geschichte sind die Offenbarungen dieser Einheit,
in welcher die ganze Welt der Erscheinungen nur als ein Aus-
druck der in ihr waltenden Ideen auftritt und die somit dem
Maler, vorausgesetzt, dass jene den Anforderungen der Schén-
heit geniigen, die beiden wesentlichen Elemente kiinstlerischer
Darstellung in reicher Fiille zubringt. Die ganze Weltgeschichte
besteht aus Thaten, in denen sich diese Einheit offenbart; sie
ist selber eine That des Geistes.

Was nun ferner die zweite Bedingung der dramatischen
Darstellung betrifft, so scheint auch fir die Erfillung dieser
keine andere Sphére von Gegensténden so gecignet zu sein,
als die der Geschichte. Denn die Geschichte ist ja selbst nichts
anderes, als der Verlauf fortwahrender Kampfe um die Ideen,
die in ununterbrochener Folge und Entwickelung auftreten, und
indem sie sich zu einer bestimmten Gellung durchzusetzen su-
chen, oft die ganze Welt in Bewegung setzen. In ihr ent-
wickeln sich Konflikte der tiefinnerlichsten Art, die auf den
hochsten und heiligsten Interessen der Menschheit beruhen und
die deshalb auch fiir die letztere eine ewige, unwandelbare
Bedeutung bewahren werden. Es offenbaren sich in ihr dic
tiefsten geistigen Gegensalze, deren Prozess und Kampf und
Vermittelung ihr eigentliches Leben ausmachen. Nun hat man
zwar gesagt, die Malerei sei nicht geeignet, solche ,geistigen
	wenn man die symbolische Handbewegung des Segnens ausnimmt,
ohne alle Beziehung auf einander, noch auf die umgebende
Welt gebildet, wogegen die entwickelte Kunst auch in dies
Verhaltniss Motive der Handlung tragt; die Beziehungen zur
Aussenwelt, zu einer Umgebung von anderen Persénlichkeiten
— Joseph, Johannes, Heilige — werden mannigfaltiger, bestimm-
ter, bewegter; mit einem Worte, die Handlung verkniipft
beide Seiten, dramatische Ziige und Motive trelen ein und
gerade diese sind es, die derartigen Darstellungen aus der
Bliithezeit der Kunst einen so hohen Reiz mittheilen.

So also ist es die Aufnahme des Dramalischen, welche die
heilige Malerei im sechszehnten Jahrhundert zur letzten Voll-
endung gefihrt hat. Ebenso aber kann man auch sagen, dass,
vermége jenes eigenthiimlichen Widerspruches, der zwischen
der unbewegten Heiligkeit des Inhaltes, und zwischen der be-
wegten und oft leidenschaftlichen Art der Darstellung obwaltet,
das eifrige Verfolgen dramatischer Motive, wie es seit jener
Zeit in der Malerei staltfindet, die heilige Kunst, bei allem
Beibehalten der friiheren Gegenstinde, tiber die Grenzen ihrer
eigentlichen Natur hinausgefiihrt habe; wie ja denn auch —
ohne hier auf das Wesen und die Griinde dieser Erscheinung
einzugehen —- von den exclusiven Verehrern der heiligen Kunst
schon die Meister des Cinque cento als profan und in Beaug
auf heilige Gegenstande keinesweges mehr musterhaft betrachtet
werden.

Nun erlangt das Genre eine neue Kunst- und ich méchte
fast sagen weltgeschichtliche Bedeutung. Im Genre war nun
allerdings die Kunst eine weltliche geworden, und es scheint
somit auch der giinstige Boden fiir die dramatische Form der
Maleret gefunden zu sein. Dies ist indess nur scheinbar der
Fall. Die weltliche hollandische Genremalerei des 16. und 17.
Jahrh. geht auf das Zustandliche aus. Allerdings sehen wir
hier wirkliche Menschen in bestimmter weltlicher Hanthierung,
Beschaftigung, Thatigkeit; es sind in der That handelnde, wir-
kende Menschen. Zur dramatischen Darstellung indess fehlt die
Grundlage eines inneren sittlichen Konfliktes. Denn
wir haben durch die obigen Bemerkungen den Begriff der dra~
matischen Darstellung noch keineswegs erschépft. Wie das
Drama nur den Process geistiger Machte, ihren Kampf gegen-
einander, die Lésung ihrer Gegensatzlichkeit und Spannung und
dies alles an wirklichen Individuen und hestimmten Persdénlich-
keiten vorfiihrt, so erhalt auch die dramatische Malerei ihren
besonderen Charakler erst dadurch, dass sie das Ineinander-
wirken geistiger oder sittlicher Machte, den Konflikt von Ge-
gensiizen darstellt, welche weder in der heiligen noch in der
Genremalerei, oder in beiden immer nur in uniergeordnetem
Maasse zur Erscheinung kommen kénnen. Die dramatische
Malerei verlangt eine andre Welt von Stoffen.

Die iberweltliche Heiligkeit der kirchlichen Malerei kennt
keine Gegensatze, keinen Kampf, keinen Bruch, sie kennt nur die
unbewegte Stimmung hingebender Frémmigkeit, die, selber gegen-
satzlos, auch in den mannigfachsten, zahlreichsten Personen sich
nur auf eine einmiithige, unterschieds— und gegensatzlose Weise
manifestirt. Judas Ischarioth, Satanas und die gefallenen Engel,
die Pharisier und die Geisselknechte kénnen wir zum Theil
kaum als solche Gegensalze gelten lassen, zum Theil ist auf
sie schon das, was wir oben tber den Einfluss des dramatischen
Elementes auf die heilige Kunst sagten, anzuwenden. Dieselbe
Unterschiedslosigkeit, dieselbe Einfarbigkeit, wenn ich so sagen
darf, des Inhaltes ist es auch, welche das Genre zur letzten
Entwickelung des Dramatischen ungeeignet macht. Die hollin-
dischen Genrebilder fihren uns allerdings viele verschiedene
Personen vor, die mitunter selbst in den lebhaftesten Konflikten
begriffen sind. Aber bei Lichte besehen bedeuten sie, wie die