schenlebens im grossen Ganzen zuerst angeregt worden? Solite
auch in der Vereinigung von Poesie und Geschichte, wie sie
der Cid bietet, ein Beweggrund fiir die getroffene Wahl liegen,
so ist doch keine Frage, dass die andere Bezichung zur Be~
zeichnung von Herders Geist ergicbiger gewesen sein wiirde.

Die allegorischen Figuren in der Mitte der den Fenstern
gegeniiberstehenden Wand sind Sage und Legende. Die Sage,
eine jugendliche, weibliche Gestalt einen Blumenkranz im auf-
gelésten Haar, auf eine aus roh bearbeiteten Aesten zusammen-
gefiigte Lyra gestitizt, schaut sinnend herab zu einem Bach, der
an ihren Fiissen voriiberrauscht, als ob er im Murmeln seiner
Wellen ihr Kunde brichte vom Weg den er durchlaufen, von
den Dingen, die er gesehen und erlebt. Es ist eine eigen-
thiimliche Auffassung der Sage, und ich gestehe, dass ich diese
nicht erkannt haben wiirde, dass ich mir die Zeichen des Al-
ters, ja selbst etwas Dunkles, Unheimliches, wenigstens ganz
Fremdartiges nicht von dem Bilde der Sage trennen kann. Die
Gestalt neben ihr, in hatbknieender Stellung, einen Rosenkranz
tiber den Schleier, der Haupt und Brust bedeckt, in der einen
Hand eine Lilie, in der andern eine Schriftrolle mit dem Kreuz,
von nonnenhafiem Aussehen, den Blick andachlig erhoben ist
die Legende, wie sie in dem Eingang zu Herders Legenden
als ,,Ftihrerin® auftrilt.

Die Nebenbilder sind beide aus diesen Legenden genommen.
Das eine aus der Legende ,die Fremdlinge*, und ihr Inhalt
ist die Verbreitung des Christenthums im Norden. Der junge
Benedictiner Columbanus zieht, gestarkt durch den Segen des
Abtes Comogallus von Schottland aus, mit seinen Gefahrten Kreuz
und Evangelium tber das Meer zu tragen. Wahrend er und
Einige mit ihm noch Absehied nehmen vom Kloster, steigen
Andere schon in’s Schiff; Christus schwebt mit der Kreuzes-
fahne dem Schiff voraus, in den fernen Bergen sieht man die
Geister Ossians und Fingals zornig und trauernd sich zurtick-
ziehen.

Die andre Legende ist ,das Bild der Andacht,“ und Jagers
Bild davon eines der schénsten in der ganzen Reihenfolge. Der
griechische Maler Sophronios war Christ geworden und hatte
sich vielfaltig bemiiht, das Ideal der Mutter Christi auf die Tafel
zu bringen, und sich desshalb, aber immer vergebens, an die
antike Kunst um Auskunft tiber die Gestaltung derselben ge-~
wandt. So sehen wir ihn, umringt von Statuen und Biisten des
Alterthums, vor seiner Staffelei ermaltet in Schlummer ge-
sunken. Da erscheint ihm die Himmelskénigin im Geleite von
Engeln, auf dem Arm den gittlichen Knaben und der Unter-
schied zwischen christlicher Kunst und antiker wird ihm plétzlich
klar und keine Venus und Niobe, keine Nemesis und kein Amor
stellen sich mehr vor die Bilder des neuen Glaubens.

Auf der vierten Wand galt es, den eigentlichen Lebens-
punkt Herders zu beleuchten, das Transscendentale und das
praktische Christenthum. Die allegorischen Gestalten sind Theo-
logie und Humanitat. Es ist fast anzunehmen, dass diese
Aufgabe von allen die schwierigste gewesen. Denn wenn auch
Theologie sichere Anhaltpunkte fiir die Darstellung liefert, so
bleibt doch das Bild der Humanitat fast ganz ohne festen Umriss.
Jager scheint durch den Gegensatz beide Begriffe haben be-
zeichnen wollen: die Humanitat ruht auf der Erde und wendet
sich nach oben; die Theologie, befligelt, schwebt in den Wolken
und wendet den Blick nach unten, wohin auch die Gaben der
zum Segen erhobenen Rechten geliéren. Auf ihrem Schooss
hat sie das Evangelium mit dem ,Logos*; die Humanitaét aber
auf ihrer Tafel einzig das Gebot der Liebe; Jene eine dreifache
Flamme auf ihrem Haupt, Diese tiber dem ihrigen einen Stern,
vielleicht zur Andeulung des Unterschiedes von eigner und von
fremder Erleuchtung. Inzwischen ist nicht zu verkennen, dass
	An der Wand dem Eintrelenden gegentber ist das Mittel-
bild eingenommen von Minerva und Harpokrates. Sinnend
auf Werke des Friedens — denn der Oelbaum sprosst neben
ihr und die Spitze der Lanze ist zu Boden gesenkt — sitzt da
die Schutzgéttin Athens, wahrend der agyptische Gott des laut-
losen Wirkens der Natur, der Lotosblume entschwebend, den
Finger am geschlossenen Mund, in der Rechten das reiche Fill-
horn, an ihr voriberzieht! Um nun diesen Gedanken noch
weiter zu versinnlichen, wahlte Jiger von Herders Gedichten
zunichst aus den ,Sagen der Vorzeit* den ,Schwan des Para-
dieses*, wie derselbe dem Henoch (der ihn als Kind im Para-
diese gesehen) eine Feder bringt, um damit die ersten Offen-
barungen, die Bicher der Zukunft zu schreiben, zur Warnuug
fir die in die Siinde sich blind hinsttirzende Menschheit. Eine
einfache durch die Schénheit des jugendlichen Henoch gehobene
Darstellung.

Fiir das griechische Leben wahlite Jager Herders Abhand-
ung; Homer, ein Giinstling der Zeit. Hier galt es mit
wenigen Ziigen die Wirkung des Sangers der Jliade, der Grie-
chenland seine Gétter gegeben, zu schildern. Diese erscheinen
in der Ferne am Himmel, wahrend der blinde Dichter, auf die
Lyra gestiitzt, von ihnen erzahlt. Zu seiner Linken sieht man
zwei ergraute Singer, Vorginger Homer’s, die die Ueberliefe-
rungen aus Altester Zeit gesammelt, die Quellen seiner Dichtung ;
vor ihm aber knieen Jiiaglinge, die mit durstigem Ohr seine
Worte aufnehmen, um als Rhapsoden sie weiter zu tragen; an
sie reihen sich Leute aus dem Volk, Hirten, Jager, Fischer,
in deren Arbeit~ und Bediirfnissleben die Dichtkunst den Strahl
der Freude und der Bildung senkt. Auf der andern Seite sind
Weise, Gesetzgeber, Krieger und Herrscher die zu Gedanken,
Entschluss und That die Weisung vom Sohn des Apollo erhalten
zu wollen scheinen, und Maler, Bildhauer und Baumeister, die
mit gespanntester Aufmerksamkeit seinen Schilderungen folgen.
Selbst die Muse der Geschichte lauscht seinem Gesang und
sammelt daraus in ihre Rollen die Begebenheiten der Vorzeit.

Auf der gegenitiberstehenden Wand bilden Poesie und
Geschichte den Mittelpunkt, zwei Gestalten, ebenso geistvoll
und schén in Anordnung und Bewegung, als charakteristisch in
ihren Ziigen. Auf festem Grunde, und fest auf ihren Arm ge-
stiitzt, die Rechte zum Schreiben bereit auf dem aufgeschlage-
nen Buche, sitzt die Geschichte, den sichern Blick unverwandt
gradaus auf die wirkliche Welt, anf die Begebenheiten an der
Oberflache des Erdballs gerichtet; zu ihren Fiissen liegen die
Zeichen weltlicher und geistlicher Macht mit der Erinnerung
an den Kampf um die Herrschaft und die Biicher mit dem In~
halt vergangener Zeiten. Neben ihr, von Wolken getragen,
von freiem Fligelschlag gehoben, mit dem Blick im unendli-
chen Jenseit schwebt die Dichtkunst, dic Saiten der Harfe rih-
rend, zum Zeichen dass fir ihre Anschauungen und Empfin-
dungen die gewéhnliche Rede nicht bewegt und klangvoll ge-
nug ist. Die beiden Bilder rechts und links sind aus dem Cid
genommen. Das gréssere stellt die Unterwerfung der maurischen
Kénige dar, wie deren Abgesandte reiche Geschenke an Waffen
und Rossen dem Cid Campeador darbringen, von ihm aber an
den Kénig gewiesen werden, als an seinen Herrn, der, umgeben
von seinen Séhnen und den geistlichen und weltlichen Rathen
der Krone, auf seinem Throne die Mitte des Bildes einnimmt.
Das kleinere Bild zeigt uns Cid als Greis vor seinem Ende, wie
ihm der heil. Petrus erscheint. Es wiirde sich allerdings hie-
bei die Frage aufwerfen lassen, warum an dieser Stelle nichts
an den Verfasser der ,Ideen zur Geschichte der Menschheit“
erinnert, wodurch in gewisser Beziehung die Geschichte
eine neue lebenvolle Gestalt erhalten, der Gedanke natirlicher
	und nothwendiger Entwickelung der Erscheinungen des Men-