mag. Sie ist sich hres ganzen Werthes bewusst und zeigt
jene unerschiitterliche Charakterkraft, die sie auch im Leben
bewahrt hat, gleichzeitig aber beugt sie sich tief vor dem Herrn
liber Leben und Tod, und das Gebetbuch, welches sie in der
Hand halt, ist nicht blos ein aéusseres Abzeichen klésterlicher
Stimmung, sondern in Wahrheit das Symbol tiefer und gehalt-
reicher Andacht. Sie zeigt sich erfillt von dem Inhalt der vor
ihr aufgeschlagenen Zeilen und das Wort scheint sich mit Fleisch
zu bekleiden.

Michel Angelo hat, dem Vasari zufolge, die Oelmalerei fiir
eine der Frauen und Kinder wiirdige Beschaftigung erklart.
Daraus pflegt man den Schluss zu ziehen, dass er sich selbst
nie mit ihr abgegeben habe. Ware dies indess der Fall ge-
wesen, so hatte er kein Recht gehabt, so geringschatzig von
ihr zu reden. Denn wer eine Sache fir leicht erklart, der er
selbst nicht gewachsen ist, ist tibermithig, ja wohl gar frech.
Auch liegen in der That Beispiele vor, welche beweisen, dass
er sich an Staffeleigemalden ernsthaft fiir seine grésseren Un-
ternchmen vorbereitet hat. Wir crinnern nur an das eine, durch
Macpherson vom Untergang errettete Bild, welches eine Grab-
legung darstellt und auf welchem die Farben eine so wunder-
bare Klarheit und Reinheit zeigen, dass man anfangs dartiber
zweifelhaft war, ob es in Tempera oder in Oel ausgefiihrt sei,
nachher aber es fiir ganz miissig erachtet hat, diesen Unter-
schied der technischen Behandlung hervorzuheben. In der That
ist derselbe nicht so erheblich, als man in neueren Zeiten hat
glauben machen wollen. Der Natur der Sache nach lasst sich
mit Oelfarben leichter und sicherer cine Wirkung erreichen,
welche in Tempera nur schwer erzielt werden kann. Prakti-
sche Kistler, die sich im Oel~ und Frescomalen gleichzeitig
und mit Erfolg versucht haben, versichern, dass ihnen in der
That das Oelmalen nach dem Frescomalen leichter geworden
sei. Einen sehr talentvollen jungen Mann, der nach Michel
Angelo einige Copieen angefertigt hat, die allgemeine und tiber-
raschende Anerkennung gefunden haben, habe ich zu diesem
Portrait der Donna Vittoria Colonna hingefiihrt und aber den
Eindruck befragt, den er davon empfange. Er hat nichts dem
Michel Angelo Fremdartiges darin entdecken kénnen, gleich-
zeilig aber erklart, dass ihm ein 4hnliches Portrait kaum vor-
gekommen sei. Jeder Pinselzug erinnere an die Malereien der
sixtinischen Deckenwélbung; man sehe aber, dass der grosse
Meister hier mit dem Pinsel gleichsam spielend modellirt habe.

Mir hat es immer sehr sonderbar scheinen wollen, dass
man in Erwagung jenes durch den Vasari breit getretenen
Scherzes dem Michel Angelo die Geschicklichkeit nicht hat zu-
trauen wollen, Oelfarben in den Pinsel zu nehmen. Ein Mann,
der es wagen konnte, die geschicktesten Maler seiner Zeit da-
von zu jagen und sich selbst an die Riesenarbeit der Ausma-
lung der sixtinischen Deckenwélbung zu begeben, ein Genie,
welches bei Lisung einer so ungeheueren Aufgabe so glanz-
vollen Erfolg hatte, sollte nicht auch im Stande gewesen sein,
ein Portrait in Oel zu malen, nachdem er den geschicktesten
Kiinstlern in diesem Fach so oft den Pinsel gefithrt hatte?

Gehért denn zur Elfenbeinschnitzerei weniger Uebung und
Geschicklichkeit, als zur Oelmalerei? Wer daran zweifelt, er-
hole sich bei denen Rath, die sich an derlei Arbeiten versucht
haben. Dennoch scheint Michel Angelo auch diesen’ Zweig der
Technik mit gleicher Unerschrockenheit und mit gleichem Er-
folg cullivirt zu haben. Der Bildhauer Lotsch in Rom besitat
ein Crucifix aus Elfenbein, welches man ziemlich allgemein dem
Meister des Moses zuspricht. Es zeigt dieselbe Leichtigkeit der
Behandlung des zum Trager der Idee erkorenecn Stoffes, wic
unser Portrait und Niemand méchte ahnep, dass es von einem
	  Kiinstler herruhre, der sich nicht lange und unausgesetzt in
	in den Malereien des Giulio Romano. Fir den Farbenvortrag
des Michel Angelo ist dies aber gerade tiberaus bezeichnend.
Dabei sind indess die Ueberginge so zart gehalten, wie sie
schwerlich bei irgend einem seiner Schiiler zu finden sein diirften.
Der Kopf ist nicht lasirt, wohl aber der Schleier, der, obwohl
mit wunderbarer, wahrhaft erhabener Hinfachheit hingeworfen,
vielleicht bei Vollendung der tibrigen ausserwesentlichen Theile
tbergangen worden ist. Auch hat die Malerei, obwohl im Gan-
zen vortrefflich erhalten, gerade hier vielleicht einige Nach-
besserungen von einer auffrischenden, aber sehr geschickten,
sorgfiltigen und vorsichtigen Hand erfahren.

Am anerkennendsten sprechen sich die Bildhauer tiber die
wunderbar kraftige und dabei chen so feine Modellirung dieses
charaktervollen Antlitzes aus. Tenerani hatte geradezu be-
hauptet, dass nur ein Bildhauer gewisse Formen auf diese Héhe
des plastischen Ausdrucks zu bringen vermige. Die entschiedene
Weise, in welcher Emil Wolff und Steinhauser sich tiber
ein solches, ganz ungewohnliches Kiinstlerverdienst ausgespro-
chen haben, scheint jenes Urtheil vollkommen zu bestatigen.

Es wird natirlich noch einige Zeit verlangen, bevor die
Acten liber einen so bedeutenden Fragepunkt geschlossen wer-
den kénnen. Das Sammeln von Urtheilen, selbst gewichtiger
Autoritéten, kann nur geringen Nutzen bringen, so lange die-
selben nicht griindlich motivirt sind. Selbst da, wo dies ge-
schieht, wird die Persdnlichkeit des Kunstrichters psychologisch
beriicksichtigt werden miissen. Darin scheinen bis jetzt Alle
tibereinzustimmen, dass wir in diesem Portrait cin héchst be-
deutendes Kunstwerk der Glanzepoche des Cinquecento vor
uns haben.

Platner, welcher sich mit Michel Angelo griindlich be-
schaftigt hat und eine negativ strenge, aber sehr oft gerechte
Kritik in ahnlichen Fallen geiibt hat, erklart es nicht blos fir
ein sehr vorziigliches Kunstwerk, sondern, trotz aller Schwie~
rigkeiten, die sich der Entscheidung einer so verwickelten
Frage entgegenstellen, als des Pinsels des Michel Angelo wir-
dig. Darauf scheint auch das Urtheil, welches Magnus abge-
geben hat, hinauszulaufen. Letzterer hat es freilich bis jezt
nur einmal in Augenschein genommen, wahrend Platner wie-
derholte Male zu diesem Bilde zuriickgekehrt ist und versichert,
bei jedem neuen Besuch in seiner Ansicht nicht blos bestatigt,
sondern noch bestarkt worden zu sein.

Wichtig genug ist die Untersuchung. Sie ist es schon we-
gen des Gegenstandes. Denn Donna Vittoria Colonna war si-
cherlich die bedeutendste Frau ihres Jahrhunderts und der un-
mittelbare Centralpunkt der bedeutendsten Personlichkeiten Ita~
liens. Michel Angelo wird durch seine treue Liebe zu ihr
ebenso sehr gechrt, wie sie selbst durch die Anbetung, welche
ihr von hervorragenden Mannern zu Theil wurde. Dieses Im-
mergriin der Empfindungen, welches den Tilanen von Florenz
auszeichnet, scheint nun auch aus der Auffassung der sorgen-
voll gealterten Matrone hervorzuleuchten. Wenn es schon et-
was unendlich Riihrendes und Ergreifendes hat, die Wehmuth
zu beobachten, mit welcher Raphael den Glanz der untergehen-
den Sonne in dem Portrait der Fornarina festzuhalten gesucht
hat, so ist es noch viel herzzerreissender, den Widerspruch
wahrzunehmen, welchen der Maler zwischen der ewigen Ju-
gendfrische des Geistes und den Triimmern der Tempelhalle
wahrer und erhabener Schéne, die sich dieser erbaut hatte, in
diesem Portrait mit gewaltigen Ziigen veranschaulicht hat. Die
Augen liegen wie zwei tieffunkelnde Edelsteine in dem erha-
benen Antlitz und die tief gebeugte Wittwe, welche in kléster-
licher Einsamkeit jeden Anspruch auf weltlichen Glanz aufge-
geben hat, schaut mit einem Selbstgefiihl auf uns herab, wel-
ches nur die Gewissheit unsterblichen Ruhmes zu geben ver-