Correggio in ganz andern, weit glanzendern und hellern Farben
malle, so wurde doch Lionardo sein Vorginger in dem, was
man Helldunkel nennt, so fern man darunter die Anordnung
von Licht und Schatten in grossen Massen versteht. So brach
er in mehr als einer Hinsicht Bahn, und sein berihmter Karton,
den er zu Florenz im Weitstreit mit Michelangelo zeichnete,
wurde der Wendepunkt einer ncuen Zcit, indem er dem Geiste
des aufstrebenden Rafael eincn neuen Aufschwung gab.

Aus diesen Eigenheilen unsers Meisters, in Verbindung
mit den kriegerischen Ereignissen, welche in Mailand manches
seiner Werke zerstért haben mégen, kann man sich leicht er-
klaren, dass kaum mehr als 20 Gemalde iibrig geblieben sind,
welche ihm zugeschrieben werden. Und selbst von diesen sind
noch mehrere von zweifelhafter Echtheit, andre unvollendet,
andre verdorben. Um so vorsichtiger muss aber auch die Kritik
sein, wenn behauplet wird, dass man ein neues Bild von ihm
entdeckt habe. Es sei mir daher gestattet, einen Beitrag zu
dieser Kritik zu liefern, ungeachtet ich das zu Hannover auf-

gefundene Gemalde bis jetzt nur aus brieflichen Mittheilungen
kenne. Zunachst wird es erforderlich sein, eine genaue Be-

schreibung dieses Letztern zu geben. Im Vordergrunde ist Leda,
im Schilfe sitzend, mit dem Schwan und 3 Kindern, ohne Zweifel
Castor, Pollux und Helena, zu eincr pyramidalischen Gruppe
vereinigt. Leda ist nackt, mit einem Perlenhalsbande geschmiickt;
sie sitzt auf die linke Seite gewandt, und saugt eins der Kinder,
welches zwischen ihren Beinen steht. Den Kopf wendet sie
zur rechten nach einem andern von den Kindern, welches unter
dem Schwane liegt, und mit der rechten Hand die untere Schna-
belhalfte, mit der linken den einen Fliigel des Schwans ergreift.
Auf dem Schwane kniet das dritte von den Kindern und um-
fasst mit der Linken den Arm der Leda, wahrend es mit der
Rechten eine Flaumfeder der Mutter hinhalt. Der Schwan
scheint mit dem unter ihm liegenden Knaben zu spielen, und
Leda legt ihre ausgestreckte Linke auf scinen Fligel, als wolle
sie ihn zu sich heranziehen. Vor dem Schwane liegen zer-
brochene Eijerschalen. Im Hintergrunde befindct sich ein altes
mit Gras und Moos bewachsenes Gemauer, welches drei Durch-
sichten hat. Durch die mittelste sieht man undeutlich eine
Bronzestatuc, vielleicht Jupiter mit Blitz und Scepter. Leda
und die drei Kinder sind blond.

Das Bild ist sehr mitgenommen, die Farbe, oder wenig-
stens der Firniss, allenthalben gerissen, und die Leinwand ge-
flickt. Namentlich geht ein jiingeres Stiick Leinwand durch den
halben Kopf der Leda, Auch soll man eine frithere gute und
eine spatere schlechte Restauration bemerken. Der Hintergrund
und die tiefen Schatten der Figuren sind so dunkel, dass man
mit Mihe etwas darauf erkennen kann. Die Gruppirung ist
zierlich und gefallig, die Ausfithrung soll sehr sorgfaltig und
die Képfe reizend sein.

Ich bin nun zwar nicht im Stande, zu beurtheilen, in wie
weit die Art der Technik zu dem Schlusse berechtigen mag,
dass diese Leda dem Lionardo oder seiner Schule angehdre,
und eben so wenig ist mir bekannt, in wiefern das Urtheil des
Herrn Reichmann competent sein mag. Jedoch muss ich sagen,
dass ein flichtiger Umriss des Bildes, welcher vor mir liegt,
allerdings eine Anordnung zeigt, die nichts yon der Strenge
hat, wie sie in Lionardos Zeit und ebenfalls in seinen Gemalden
herrscht. Vielmehr erinnert dieselbe an jene grazidse und etwas
theatralische Gruppirung, wie man sie bei Guido Reni, bei
Albani etwa erwartet.

Es ist nun aber in den ersten 6ffentlichen Kundmachungen
cin grosses Gewicht auf gewisse aussere Umstinde gelegt, und
es ist hier meine Aufgabe, die Frage zu lésen, ob solche dussere
Umstinde fir die Identitat dieser Leda mit der des Lionardo
	sprechen. Dies muss durchaus verneint werden. Man hat ge-
glaubt, in dem Bilde eine Beziehung auf den Ludovico Moro
zu finden, die theils in der ungewohnlichen Darstellung der
Leda mit den Dioskuren, theils in einer Maulbeer-Laube liegen
soll, wofir man das Gemauer im Hintergrunde gehalten zu
haben scheint. Es, findet sich aber wirklich auf dem Bilde keine
Spur davon. Zwar sieht man durch die Durchsicht rechts etwas
Buschwerk, dessen Blatter aber mit denen des Maulbcerbaums
keine Achnlichkeit haben, wie mein sehr sorgfalliger Corre-
spondent nach genauer Priifung bei gutem Licht berichtet. Man
nahm namlich an, dass, wie es Hagen im 4, Bande der Kiinstler-
Geschichten erzahlt, die Leda mit den Dioskuren von Lionardo
gemalt seien, um die Gemalin und die Séhne des Ludovico zu
verherrlichen, und dass Leda und die Dioskuren die Portraits
der Herzogin und des Zwillingspaares darstellten. Man hat des-
halb das eine von den Kindern als Amor, Hymen oder Eilei-
thyia gedeutet, obgleich es ohne alle Frage Helena ist. Man
wollte selbst geltend machen, dass die sorgfaltigen Restaura-
tionen fir eine besondre Werthhallung des Gemialdes, und das
Halsband fiir die Annahme einer Portraitahnlichkeit sprachen. —
	  Grunde, welche wohl zur Unterstitzung anderer Beweise an-
gefiihrt werden kénnen, aber fir sich selbst ohne Gewicht sind.
Jene Bezichung auf den Ludovico Moro kénnte allerdings von
Belang sein, wenn wir irgend etwas dariiber wiissten, ob Lio-
nardo seine Leda mit einer solchen Beziehung gemalt hat.

Hatten wir vollends eine Beschreibung des Bildes von Lionardo,
so wiirde eine Uebereinstimmung dersclben mit dem aufgefun-
denen Bilde allerdings sehr wahrscheinlich machen, dass wir

hier die Leda ‘des Lionardo oder wenigstens eine Copie der-

  selben hiilten.

  Selisamer Weise stimmt die Beschreibung der Leda, welche
Hagen giebt, entfernt mit dieser Leda tiberein, wenn man ge-
wisse Einzelheiten nicht beachtet, und da Hagen durch Titel
und Vorrede glauben macht, dass er nur eine freie Bearbeitung
von Carlo Torre ritratto di Milano liefere, so hat dies einen
wackern Kunstler verleitet, sich bestimmter auszusprechen, als
es gerechtfertigt werden kann. Hagens Erzahlung ist aber nichts
als Roman, sie hat mit dem Buche des Torre nicht die ent-
fernteste Aehnlichkeit, und in diesem letztern wird die Leda
des Lionardo da Vinci, so viel ich finde, tiberall nicht erwahnt.
Es ist lediglich eine Erfindung von Hagen, dass Ludovico Moro
die Leda bestellt oder veranlasst, und dass Lionardo diese mit
Beziehung auf die Familie des Moro gemalt habe.

Alles, was ich tiber die Leda des Lionardo habe ermitteln
konnen, ist folgendes: Der erste, der dieselbe erwahnt, ist
Lomazzo. Wo er in seinem frattato della pittura lib. 2. cap. 15.
von der Schamhaftigkeit redet, bemerkt er, dass sie mit nieder-
geschlagenen Augen dargestellt werde, und figt hinzu: , Dies
befolgte Lionardo Vinci, indem er die Leda ganz nackt mit dem
Schwan im Schoosse malte, welche schamhaft die Augen nie-
derschlagt.* Danach ist eine Nachricht fiber die Leda in die
spatern Zusitze zu Vasari tibergegangen, wahrend Vasari selbst
von der Leda nicht spricht. Fiorillo sagt dann, ohne seine
Quelle anzugeben, die Leda des Lionardo sei in die Galerie
des Firsten. Caunitz zu Wien gekommen, nachdem sie friiher
im Besitze des Grafen Firmian in Mailand gewesen. Man sieht
aber nicht, ob sie zu Fiorillo’s Zeit noch in Wien war. Amo-
retti stimmt damit tiberein. Er sagt: der Graf Firmian habe
dieselbe besessen und spiter sei sie nach Deutschland gegangen.
Daneben widerlegt er aus den Papieren des Pagave dltere An-
gaben, als ob ste in Fontainebleau oder in Rom sei. Gallen~
berg endlich begniigt sich, den Bericht des Amoretti mit dem
des Fiorillo zu verbinden. — Daneben findet sich nun in Ri-
chardson’s Katalog der Sammlungen des Grafen Pembroke