Rustler.
	Organ
der deutschen Kunstvereine.
	Zeitung
	fir Dbildende Kunst und Baukunst,
	Unter Mitwirkung yon
	Киг]ег п Веги — Раззауаюе ш Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Dusseldori — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — FGyster in Minchen — Hitelberger v. Edelberg in Wien
			redigirt von Dr. Е. Всоег$ ш ВегИп.
	Montag, den 24. Marz.
	sind die des Heiligen frisch und lebensvoll, von den zartesten
	 

Formen umkleidet und doch wahrheilsgetreu, Die sprechende
Mimik, mit welcher er seine Firbitte unterstitzt, bildet eben-
falls zu der gebundenen Ruhe des Betenden einen sehr be-
zeichnenden Gegensatz. Und so leuchtet auch das Antlitz des
sonst der Einsamkeit und ruhiger Beschaulichkeit ergebenen
Mannes mit wahrhaft magischem Glanz aus dem Bilde hervor,
was um so fihlbarer wird, als gerade dieser edele schéne
Kopf zu den besterhaltenen Theilen des Bildes gehért. — Wenn
man diese dramatisch bewegte Darstellung des h. Hieronymus
mit der ehrwirdig ernsten Gestalt desselben Kirchenvaters in
der Disputa vergleicht, so wird dieser edle Contrast noch auf-
falliger. Dort sehen wir ihn ernst dasitzen und in den tief-
sinnigsten aller menschlichen Gedanken versenkt, wahrend er
sich hier seines Schitzlings mit ciner wahrhaft géltlichen Lei-
denschaftlichkeit annimmt. Ein andrer Unterschied rein mate-
rieller Art ist dabei auffallig, welcher aber hervorgehoben zu
werden verdient, weil er uns eine Einsicht in die technische
Oekonomie des eben so gewandten, als feinfiihlenden Kinstlers
gestattet. Der h. Hieronymus ist dort, wie in den meisten
Fallen mit dem Cardinalpurpur bekleidet, wahrend wir ihn hier
im Lillagewand auftreten sehen. Bekanntlch legen die Cardi-
nile auch diese Farbe bei gewissen Festlichkeilen an, dass
aber hier der Heilige damit geschmiickt erscheint, hat in dem
Bediirfniss des Malers seinen Grund, durch verschiedene Far-
benmassen beide Gestalten auseinander zu riicken. Wenn nun
aber zwischen beide Cardinale die erwahnten Farben vertheilt
werden sollten, so musste es natiirlich viel bequemer sein,
das kraflige Roth in den Vordergrund und mit dem irdischen
Wesen in Verbindung zu bringen und dagegen das mehr athe-
rische Blau dem verklarten Heiligen zuzuweisen. — Solche Ver-
bindungen gehéren ausschliesslich dem technischen Vortrag an,
und in ihnen einen héhern Bezug aufsuchen zu wollen, ist ge-
radezu licherlich. Dennoch hat man es in 4hnlichen Fallen
mehr als einmal gethan und dadurch Denen Mittel der Verdach-
tigung in die Hande gegeben, welche jeden rein geistigen Zu-
sammenhang leugnen und Alles nur auf kiinstlerische Figlich—
keit zuraickfiihren méchten. In unserem Fall muss indess im-
mer noch auf das iiberraschende Zusammentreffen aufmerksam
gemacht werden, welches in Bezug auf die der geistigeren Er-
scheinung zufallenden helleren Farben stattfindet. — Diese innig
verbundene Gruppe hat nun aber einen Gegensatz eher hervor-
	gerufen als ausgeglichen. Der Blick wird daher in der Rich-
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	Die dussere Anordnung eines Kunstwerks ist von dem
Gedankenzusammenhang abhingig.
	Man nimmt gewohnlich an, dass die Zusammenstellung
mehrerer Figuren rein yon Griinden der Symmetric abhingig
sei, und in der That verlangt eine verschiedene Raumlichkeit
eine sehr verschiedene Fiigung der in einem Gemialde verei-
nigten Bestandtheile. Nur geistlose oder routinirle Kunstler
aber erhalten ihre Gedanken durch die Bedingnisse der ausse-
ren Form. Echte Begeisterung webt die einzelnen Gedanken-
fiden so innig zusammen, dass sich alle Elemente wechselseilig
durchdringen und die Zerlegung derselben nur mit den gewalt--
samen Mitteln der Dialektik vorgenommen werden kann. Dass
dabei Ideenverbindungen zu Tage kommen, an welche der
schaffende Kistler, wie man sich auszudriicken pflegt, nicht
gedacht hat, darf die Resultate dieser geistigen Operation nicht
verdachtigen. Die Thatigkeit des Genie’s erfolgt аПе-
zeit unbewusst. — Um nun aber den Gedankenzusammen—
hang nicht zu verlieren, ist vor allem bei der Betrachlung eines
Kunstwerks nothwendig, dass man mit dem Blick nicht von
einer Erscheinung auf die andere tiberspringt, sondern bei jeder
Gestalt so lange verweilt, bis man den Punkt aufgefunden hat,
an welchem sie sich mit der zunachst-aufgereihten auf eine
innige und nothwendige Weise verbindet. Eine solche Ver-
kmipfung kann auf mannigfaltige Weise erfolgen. Nicht immer
freilich ist sie so handgreiflich, wie zwischen den beiden Per~-
sonlichkeiten, deren eine wir bereils eines Naheren betrachtet
haben. Der h. Hieronymus ) legt seine Linke auf das Haupt
des Donators und empfiehlt ihn dem Schutz der Madonna. Durch
diese Handlung ist nun aber auch die Stellung und das Ver-
haltniss beider zu einander gegeben. Der Heilige tritt weit
itber den seiner Firsprache bediirfligen Sterblichen hinaus und
obwohl wir ihn an Jahren mil diesem etwa gleich erachten kén-
nen, so tritt bei ibm doch keine der Narben hervor, welche an
dem Erdenmenschen das Alter zuriicklasst. Einen sehr bedeu-
tungsvollen Gegensatz lassen gleich die Hande des h. Hierony-
mus zu denen des Cardinals wahrnehmen. Wahrend diese von
der Hautbedeckung nur lose umhangen sind und das allmah-
liche Absterben dieses verganglichen Leibes zur Schau tragen,
	1) In Rafael’s , Madonna di Foligno <.
UJ. Jahrgang.