OO Wer die Ausstellung des Concurses mit angesehen, der, in den Flitterwochen der Republik ausgeschrieben, eine bedeu- tende Anzahl junger Kiinstler und auch nicht wenige der er- probien Meister vereinigt hatte in der vorschriftsmassigen Aus- fiihrung einer allegorischen Gestalt der Republik, der kann wohl keinen Augenblick in Zweifel sein tiber die Natur des Einflusses, welchen die Zeitercignisse auf den Geist der Kiinstler ausgeiibt, denn cine so unerhérte Verirrung des Geschmackes, eine so ganzliche Abwesenheit aller Inspiration, eine solche Vereinigung von Missgeburten, war in Paris wenigstens zu keiner Zeit ge- sehen worden. Dic Welt war aus den Fugen; die Verwirrung der Begriffe, die Aerrtittung der Verhalinisse hatte sich auch der Kunst mitgetheiit, und die bange Besorgniss, mit der man in die Zukunft blickte, liess keine freudige Stimmung aufkom- men und lahmte alle Kraft und Lust zu neuen Schépfungen. Wenn man damals und auch viel spater noch nach irgend einem der altern Ktinstlern von Ruf sich erkundigte, so war die Ant- wort immer und immer dieselbe: der Quell der Begeislerung war versiegt, und der Meister brachte mulhlos und verdrossen seine Tage in Unthatigkeit hin. Wer mit dem Wesen des kiinstlerischen Schaffens vertraut ist; wer den Menschen und seine Geschichte kennt, kann schon von vornherein nicht anders als die Ueberzeugung hegen, dass diese Tage der stiirmischen Aufregung der Kunst nicht ginstig sein, dass aus dem getriblen Bewusstsein der Zeit auch im Geiste des Kiinstlers kein ruhiges, klares und reincs Bild der Schénheit aufsteigen konnte. — Wohl sehn wir gleich- zeilig mit der grossen franzésischen Revolution des vorigen Jahrhunderls, auch in der Kunst eine griindliche Umwalzung einireten; jedoch gingen deren Anfange der politischen Bewe- gung voraus — L. David malte seinen ,,Schwur der Horazier“ und seinen ,,Belisar“ schon im Jahre 1784, — und ruhen ihre Wurzeln ausserhalb des Bodens von Frankreich, — Es handelt sich hier von coordinirten nicht von subordinirten Erscheinun— gen. Jener griindliche Umschwung der Ideen, welcher um die Mitte des 18. Jahrhunderts vor sich ging, war es, der auf jedes Gebiet menschlicher Wirksamkeit einen gleich machtigen Ein- fluss ausiibte. Sicher aber darf man behaupten, dass ohne die spaler eingetretene gewaltsame Zertrimmerung alles Bestehen- den, diese kinstlerische Regeneration ungleich reichere und erfreulichere Friichte getragen haben wiirde. Wohl hat das aus jenem Chaos hervorgegangene Kaiserthum kiinstlerische Individualitéten von Bedeutung hervorgebracht: diese in ihrer Art grosse Zeit schuf und erzog sich, so wie die Heerfihrer, um ihre Schlachten zu schlagen, so auch die Maler, um die erfochtenen Siege darzustellen und zu verewigen. Sehen wir aber auf den tiefern Gehalt, auf die innere Lebensfahigkeit der kiinstlerischen Schépfungen des Kaiserreichs, so werden wir doch wieder zu dem Schlusse berechtigt sein, dass sogar eine Epoche grosser politischer Begeisterung, nationalen Aufschwungs oder sonst welcher Ideen, die den ganzen Menschen in An- spruch nehmen, der kiinstlerischen Wirksamkeit mehr hinder- lich als forderlich seien und dass die Kunst zu einer erfreu- lichen Bliite vielmehr einer stetigen, gleichmassigen, innern Erwirmung, als einer gewaltsamen Aufregung bediirfe. In der That begann auch erst, nachdem das Gerausch des Krieges verhallt, nachdem die staatlichen und gesellschaftlichen Ver- haltnisse befestigt waren, jene Thatigkeit im Gebiete der bil- denden Kiinste, die sich seitdem bis ins Unendliche gesteigert und verzweigt hat; und in dem neubefruchteten Boden fingen die Keime an zu wurzeln, von deren reicher Entwickelung wir spater Zeuge gewescn. Ein neuer Schritt ward gethan und cin wirklicher, wenn auch nur theilweiser Fortschritt ward erreicht durch die kurz lung fortgetrieben, in welcher er den Ruhepunkt zu finden hoffen darf, nach welchem er sich sehnt. Wir erreichen denselben bei der gleichnamigen Gruppe, durch welche am anderen Ende des Gemiildes das Gleichgewicht der Massen wieder hergestellt wird. Den Uebergang kénnen wir hier nicht unmittelbar zu finden hoffen, sondern hier gilt es, einen gliicklichen Sprung zu thun. Denn gelingt es uns nicht, die Antithese an ihrem Keimpunkt zu begreifen, so sind wir in Gefahr, den wahren Gedankenzusammenhang fiir immer zu verfehlen. Wir sind in gleichem Falle wie zu Anfang der Betrachtung des Gemial- des, nur dass die Schwierigkeit gewachsen ist. KE. Brawn. Pariser Kunstausstellunge von 185(}—51. Kinleitendes. Kaum war nach den verhangnissvollen Ereignissen des Jah- res 1848 der erste, kurze, schmeichlerische Traum der Freiheit verflogen; kaum hatten die Dinge eine Wendung genommen, wodurch das Bestehen ganzer Staaten in Frage gestellt, die Stellung jedes Einzelnen aber gefahrdet und seine Zukunft be- droht wurde: so trat auch, eine der ersten, die zahlreiche Ge- nossenschaft der Kiinstler und aller derer, denen das Wohl der Kunst am Herzen liegt, zusammen, und in den Angstlich be- sorgten Mienen konnte man die Frage lesen: was wird aus uns, was wird aus der Kunst werden in diesen wirren Zeiten und im Taumel aufgeregter Leidenschaften? Zwar fehlte es nicht an gliubig begeisterten Anhingern der neuen Ordnung der Dinge, die, auf das Beispiel von Hellas, von Rom und Florenz, ja selbst auf die Zeiten der ersten franzésischen Republik sich berufend, in kithnen Paradoxen die Monarchie als das Grab aller wahren und ernsten Kunstiibung, die Republik dagegen als deren natirliche Pflegerin, Freundin und Beschiitzerin darzustellen sich bemiihten. Doch wenigen nur wollte solche Beweisfithrung geniigen und zum Trost gereichen, und Muthlosigkeit war in allen Reihen. Da rafften sich die Entschlossensten auf, schlugen Maassregeln vor, Versammlungen wurden gehalten, Beschliisse gefasst; die Regierung der jungen Republik, an deren Spitze selbst mehrere Kiinstler und Manner der Wissenschaft standen, blieb nicht unthatig; dem dringendsten Bedirfnisse wurde auf dem Wege direkter Unterstiitzung abgeholfen; weitaussehende Plaine wurden gemacht, grosse Arbeiten, gleichsam aus dem Stegreife, beschlossen, unternommen und dem Einzelnen sein Antheil daran zugetheilt; Festlichkeiten wurden dem Volke zu Ehren veranstaltet, und deren Verschénerung der Kunst zur Aufgabe gestellt, wie damals, wo auf dem Marsfelde das ,,Fest des Héchsten Wesens“ begangen wurde, mit dessen kiinstleri- scher Anordnung der ,,Biirger“ David beauftragt war. Bestel- lungen aller Art wurden gemacht, Freiheitsgéttinnen wurden in Unzahl gemalt, gepragt, geformt, gemeisselt und geschnilzt. So war denn das Verlorene einigermaassen erselzt, und auf nothdiirftige Weise wenigstens fiir das gegenwirtige Bedirfniss der Ktinstler gesorgt. Wie aber stand es, wie steht es mit der Frage nach der Kunst und ihrem Gedeihen? Haben die in Umlauf gesetzten neuen Ideen, die zum Theil aufrichtigen Entschliisse uneigenniilziger Hingabe fir das Gesammtwohl, hat der beschleunigte Pulsschlag, der das Blut mit erneuter Kraft und Warme durch das Gedder des Staatskérpers trieb, auch dem Herzen der Kunst einen neuen Schwang mitgetheilt, der schépferischen Phantasie noch ungekannte Stoffe dargeboten, der kiinstlerischen Anschauung neue, lebensfrische Quellen er- пер? Und ferner, hat das in der Begeisterung des Augen- blicks Erfasste auch eine wohlthucnde und nachhaltige Wirkung ausgetibt ?