Paris befindlichen Manuscript der franzdsischen Uebersetzung
des Josephus, welche nach dem Verf. fiir Jacques Armagnac,
Herzog von Nemours, gegen das Jahr 1465 gemalt worden sind,
fiihrt er noch andere, und héchst ausgezeichnete, im ersten
Theil eines Livius ebenda (Sorbonne No. 297) an. Die 49 Mi-
niaturen in. dem Besitze des Hrn. Brentano-Laroche zu Frank-
furt am Main, welche ich zuerst als ein Werk des Foucquet
bestimmt habe  ), scheint der Verf. nicht aus eigner Anschauung
zu kennen, denn sonst kénnte er nicht sagen, Hr. Brentano
glaube, dass das Gebetbuch, in welchem sich diese vordem
befunden, dem Maitre Etienne Chevallier, Siberaufseher Lud-
wig XI, zugehdért habe, denn dieses ist ftir jeden, welcher die
Bilder geschen, eine ausgemachte Sache, indem sich nicht allein
der Name desselben darin findet, sondern auch auf dem Titel-
blatt sein Bildniss mit seinem Schutzheiligen Stephan, der ihm
der Maria auf dem Bilde gegeniiber empfiehlt. Eine spiatere
Betrachtung dieser Miniaturen hat mich tiberzeugt, dass sie et-
was friher fallen, als die in dem Manuscript des Josephus, in-
dem die Glieder 6flerer magerer in den Formen, die Fallen
haufig mehr im Geschmack der van Eyck’schen Schule gehalten
  sind als in jenem. Sie sind wabhrscheinlich zu der Zeit aus-
gefihrt, als Maitre Etienne Schatzmeister des Kénigs Carl VII
war, dieser starb aber 1461. Ferner lisst sich in verschiede-
nen dieser Miniaturen mit Sicherheit die schwachere Hand eines
Schiilers unterscheiden. Ich sehe mich im Stande, aus meinem
Malerial fiir die Geschichte der Miniaturmalerei Nachricht von
einem anderen Manuscript zu geben, an dessen Miniaturen J.
Foucquet einen betrachtlichen Antheil hat. Es ist dieses die
zufolge einer am Ende befindlichen Notiz von einem Picre
Faure, Pfarrer in St. Denys, im Jahre 1458 gemachte Abschrift
der franzésischen Uebersetzung des Laurent de Premerfait von
dem Werke des Boceaz uber das Leben berihmter Manner
und Frauen in der kénigl. Bibliothek zu Minchen. Dieser
grosse, 302 Blilter eines schr feinen Pergaments cnthaltende
Folioband zeigt auf dem Titelblatt eine sehr zahlreiche Ver-
sammlung, wie ich glaube, ein sogenanntes lis de justice. Hine
unter einem Baldachin thronende Person halte ich fiir den Ké-
nig Carl VIE. Dafir sprechen sowohl die goldnen Lilien auf
dem Baldachin und dem Teppich, als zu jeder Seite auf der
Tapete zwei stehende weisse Hirsche, welche das kénigh Wap-
pen, drei goldene Lilien mit der Krone halten. Innerhalb eines
von Schranken umschlossenen, viereckigen Raumes befinden
sich viele angesehene Personen. Das sich herandrangende Volk
wird hie und da von Wachen zuriickgewiesen. Der ansehn-
liche Umfang, die geschickte Anordnung, die treffliche Zeich-
nung, die meisterliche Individualisirung, die vortreffliche Aus-
fihrung machen dieses Bild zu dem bedeutendsten, was ich
von diesem gréssten franzésischen Maler des 15. Jahrhunderts
in seiner realistischen Richlung kenne. Vor jedem der neun
Bicher befindet sich ein grésseres, zwei Drittel oder die Halfte
der Seite einnehmendes Bild, welche simmitlich sehr vorziiglich
sind und die Hand des Foucquet verrathen, alle aber doch
dem Titelblatt nachstehen. Manche der zahlreichen kleincren
Bilder, welche besonders gegen das Ende hin schwacher wer-
den, zeigen indess die Hand eines Schiilers. Einige dieser
kleineren, z. B. die Vertreibung von Adam und Eva aus dem
Paradiese (BI. 12.a.), wobei die Motive besonders frei und an-
muthig, die Formen des Nackten sehr fein und richtig, sind
dagegen sicher von der Hand des Meisters. Leider sind die
letzten drei Zeilen jencr Noliz des Faure, welche sicher den
Besteller dieses kostbaren Denkmals, vielleicht auch den Maler
enthielten, ausradirt. Aus dem Schluss derselben: «pour et
	1) Kunstwerke und Kitinstler in Paris. S. 373.
	lichen Dienst der Konige von Frankreich standen. Es sind de~
ren die betrachtliche Zahl von 56 vorhanden. Als eine Art
Einleitung verbreitet sich der Verf. indessen zuvérderst uber
den Maler Jean Foucquet, welcher in manchem Betracht als
der letzte Maler der gothischen, in anderen Bezichungen aber
auch als der erste der Epoche der Renaissance angesehen wer-
den kann. Durch meine Studien bin ich schon seit langer Zeit
zu der von dem Verf. ausgesprochenen Ueberzeugung gelangt,
dass die gewdhnliche Ansicht, nach welcher die Renaissance
erst gegen die Mitte des 16. Jahrh. durch die Berufung ciniger
ilalienischer Kinstler in Frankreich bewirkt worden sein soll,
durchaus irrig ist, dass dieselbe vielmehr schon in der aweiten
Halfte des 15. Jahrhunderts stattgefunden hat. Der Verf. geht
aber weiter, er behauptet, dass hiebei von Italien aus gar kein
Einfluss stattgehabt habe. Hierin kann ich ihm nun aber nicht
beistimmen, sondern muss vielmehr bei der schon friiher aus-
gesprochenen  ) Ansicht beharren, dass die eigenthtimliche Grésse
der franzésischen Kunst im 15. Jahrhundert gerade in der Durch-
dringung des héchst ausgebildcten Realismus, wie der trefflichen
Technik der Schule der van Eyck mit dem durch den Einfluss
der italienischen Kunst hervorgerufenen Sinn fiir stylgemisse
Anordnung, ftir einen edleren Geschmack in den Formen, wie
in den Motiven und den Gewandern besteht. Wenn wir in den
Miniaturen des Jean Foucquet, um das Jahr 1465, in den Hin-
tergriinden nicht blos rémische Triumphbégen, welche, wie der
Verf. richtig bemerkt, der Ktinstler allerdings auch in Frank-
reich sehen konnte, sondern eine vollstandig ausgebildete Ar-
chitektur der Renaissance in der Form des Brunelleschi finden,
so moichte es doch dem Verf. schwer werden, um diese Zeit in
diesem Geschmack in Frankreich ausgefihrte Gebaude nachzu-
weisen, welche dem Foucquet hier hatten zum Vorbilde dienen
kénnen, wahrend Italien dergleichen schon vom Jahre 1430 an
besass. Auch gesteht der Verf. zu, dass der Styl der Renais-
sance in der Archilektur in Frankreich erst spat, d. h. gegen
Ende des 15. Jahrhunderts zur Anwendung gekommen ist. Wenn
wir ferner in den Miniaturen eine Beobachtung der Gesetze der
Anordnung fiir eine monumentale Malerei, einen 6fter sehr rei-
	hen unt edien Geschmack mn den Gewandern finden, und be-
	denken, dass diese Eigengchaften in Italien seit 1430 durch
Masaccio zu einer grossen Vollendung gediehen waren; wenn
wir endlich erwidgen, dass schon der Herzog Johann von Berry
zu Ende des 14. und zu Anfang des 15, Jahrhunderts italie-
nische Miniaturmaler bei sich beschaftigte, so dass sicher auch
dergleichen im Laufe des letzteren sich in Frankreich aufhiel-
ten, so ist wohl nichts nattrlicher, als dass ein so grosses Ta-
lent als Foucquet diese neue Formen und diese grossen Eigen-
schaften, welche die italienischen Miniaturen jener Zeit zeigen,
gesehen, und dieselben mit dem besten Erfolg, mit den Vor-
theilen, welche ihm seine Ausbildung in der realistischen Rich-
tung der van Eyck gewahrten, zu vereinigen gewusst hat. Sehr
dankenswerth sind einige neue Notizen iiber den grossen Kiinst-
ler. Die frithste Erwahnung desselben kommt 1461 in den Rech-
nungen tiber die Bestattungsfeier Carl VII vor, die nachste be-
trifft eine Zahlung fiir Bilder, welche er fiir den Konig Lud-
wig XI ausgefiihrt hat. In einer anderen vom Jahre 1472, worin
ег den Auftrag erhalt, ein Gebetbuch fiir die Herzogin von Or-
leans auszufiihren, wird er ,Maler des Kénigs* genannt, und
im Jahre 1475 kommt er noch einmal unter derselben Benen-
nung vor. Der Verf. glaubt, dass er etwa 1415 geboren und
1483 gestorben ist. Ausser den schon von mir ausfiihrlich be-
sproclienen Minialturen?) in dem in der Nationalbibliothek 2u
	1) Kunstler und Kunstwerke in Paris. 5. 309 f.
2) Das a. W. S. 371 ff.