liegende, nach einer organisch vollendeten Gestallung aller Le-
bensverhiltnisse und Lebenskrafte im nationalen Sinne ringende
Element auch der Baukunst zugut kommen wird, dariiber kann
allerdings nur die Erfahrang spaterer Zeiten entscheiden.

Um aber den lIebenden Architecten neuen Anlass und Ge--
legenheit zu bieten, bei diesem Ringen der Gegenwart nach
einer nationalen Neugestaltung der Architectur, ihren Neigungen
und Kraften gemiss, sich zu betheiligen, wird, mit Ermachti-
gung Seiner Majestét des regierenden Kénigs Maximilian von
Bayern, eine freie Preis-Bewerbung zur Anferligung eines Bau-
planes fiir eine héhere Bildungs- und Unterrichtsanstalt nach
dem beifolgenden Programme und den weiter dort angegebenen
Bestimmungen hiermit erdéffnet.

Man geht dabei von der Ueberzeugung aus, dass der frag-
liche Zweck nur im unmittelbaren Anschluss an eine bestimmte
practische Aufgabe von entsprechender Wirdigkeit und Grosse
sich werde erreichen lassen, indem die Herstellung eines Bau-
werkes, in dessen gesammter Erscheinung der Character der
Zeit so recht unverkennbar seinen verstindlichen Ausdruck fande,
in welchem die Ideen und Bestrebungen der Gegenwart sich
verkérpert sihen und bei dem zugleich die seitherigen Erfah-
rungen der Architectur, die nach allen Seiten hin ausgreifenden,
staunenswerthen Fortschritte der Technik, die gesammte Er-
rungenschaft der Vergangenheit an constructiven und ornamen-
talen Vorbildern, das ausserordentlich erweiterte Feld des Ma-
terials in unbeschrankter Freiheit und sowohl dem Zwecke wie
dem Charakter des Gebiudes selbst angemessen und mit dem
moglichsten Haushalle in den Mitteln bentitzt ware, unstreitig
von den wirksamsten Folgen auch fir die entferntere Zukunft
der Baukunst sein miisste. Ist der Architect von dem vollen
Inhalt seiner Aufgabe, von der Idee des Bauwerks, das er zu
schaffen hat, und dessen Zweckbeslimmung ganz erfillt und
durchdrungen, und versteht er es, die technischen Grundbe-
dingungen alles architectonischen Schaffens, namlich den von
dem Baubedirfniss abhaingigen und die gesammte Raumanlage
bestimmenden Grundplan und die von der Oertlichkeit, dem
Klima und Baumatertal bedingte, auf dic Gesammt-Gliederung
und die ornamentale Einzelgestaltung des Bauwerkes riickwir-
kende Konstruktion, mit den héheren Anforderungen jener Ideen
in lebendigen Einklang zu bringen, weiss er den Charakter
praktischer Zweckmassigkeit und heiterer Behaglichkeit mit dem
der Einfachheit und Schénheit zu verbinden; so kann es nicht
fehlen, dass das Gebaude ein in sich vollendetes, ausdrucksvolles
und schénes Ganze in dem angedeuteten Sinne bilden werde.

Wenn nun aber auch den concurrirenden Kiinstlern kei-
nerlei Zwang aufzuerlegen ist, und es namentlich wiinschens-
werth erscheint, dass sie sich in voller Freiheit der
verschiedenen Baustyle und ihrer Ornamentik zur
zweckmassigen Lésung der vorliegenden Aufgabe
bedienen, damit die zu erwahlende Bauart keinem der be-
kannten Baustyle ausschliesslich und speziell ange-
hére, so soll doch auch nicht verschwiegen bleiben, da es
sich hier um die Herstellung eines Gebaudes in Deutschland
und im deutschen Sinne und Interesse handelt, dass es vielleicht
zweckdienlich erscheinen dirfte, bei dem Entwurf dazu das
Formenprinzip der altdeuischen, sogenannten gothischen Archi-
tectur, und beim Ornament die Anwendung deutscher Thier~ und
Pflanzenformen, wo mdglich, nicht ganz aus den Augen zu lassen.

Ueberdiess glaubt man bemerken zu miissen: dass in den
Bereich dieses Bauwerkes auch die Schwesterkiinste der Malerei
und Bildhauerei in grésserer Ausdehnung zugezogen werden
sollen, um mit ihrer Hilfe cin nach allen seinen Theilen be-
deutsames, ftir die Gegenwart charakteristisch -schines Denk-
mal der Kunst und Bildung ins Leben zu rufen, bei welchem,
	sondern als ein von geistigem Athem Durchdrungenes und da-
her, je nach der Aufgabe, sich immer und immer wieder neu
Erzeugendes. Das ist der Sinn der dsthelischen oder kunst-
geschichtlichen Schule des Architekten, die ihn nicht dahin
fiihren soll, Dagewesenes in seiner mehr oder weniger bedingten
und zugleich mehr oder weniger ausschliesslichen Giltigkeil
noch einmal zu machen oder dasselbe so oder so durcheinander
zu mengen, — die ihm vielmehr tiberhaupt das Verstandniss
der architektonisch kiinstlerischen Form geben und ihn befai-
higen soll, Herr dieser Form zu werden. Zu solcher Schule
und zu solchem Studium gehért freilich mehr, als in der Regel
vorausgeselzt wird.

Es wird hiernach — da wir das Gewicht des ersten der
drei von uns aufgestellten Ausgangspunkte selbst erheblich in
Frage stellen mussten, — einfach auf diejenigen Bedingnngen
ankommen, die eben von selbst jedem Auge enigegentreten:
auf ein griindliches technisches Wissen und auf eine griindliche
asthetische Durchbildung, und zwar auf eine solche, die cine
wirklich absolvirte Schule hinter sich hat. Beides werden dic
betreffenden Unterrichtsanstalien gewahren und damit ihre Auf-
gabe als erfillt betrachten kénnen. Dann wird es sich, nicht
minder einfach, darum handeln, dass die Architekten mit un-
befangener Naivetat und ohne elwa cin Weiljagen nach dem
Unerhérten anzustellen, die jedesmalige Aufgabe ihren beson-
deren Bedingnissen gemass durchzubilden suchen; das Ange-
messene und auch dem Geiste der Zeit nicht Widersprechende
wird dann von selbst enistelen. Fligt es aber die Gunst des
Himmels, — was freilich kein Concurrenz-Ausschreiben und
keine hichste Erden-Instanz schaffen kann, — dass auch ein
Genie unter ihnen ist, so wird dieses alsdann, aus eigner noch
héherer Machtvollkommenheit, die von der Zeit gegebenen Be-
dingnisse in derjenigen kiinstlerisch lebenvollen Form zu ge-
stalten wissen, welche dem ersehnten Neuen sein Dasein giebt,
Mitlebenden und Nachfolgern zur Marke, danach sie ihr Steuer
zu richten haben.

Diese und ahnliche Gedanken hatten wir bei der Durch-
lesung zweier Aktenstiicke, welche die Miinchner Akademie der
Kiinste hat ausgehen lassen und die uns von einem Architekten
milgetheilt wurden. Sie sind zu wichtig, als dass wir sie unsern
Lesern vorenthalten diirften. Das erste ist eine gedruckte
	„› Kinladung zu einer Preisbewerbung, die Anfertigung
eines Bauplans zu einer héheren Bildungs- und
Unterrichts-Anstalt betreffend.
	Vorbemerkunsg.
	In keinem Gebiete der bildenden Kunst hat sich das Streben
nach einer neuen, natur- und zeitgemassen, volks— und orts-
eigenthimlichen Entwickelung seither auf eine so entschiedene
und augenfallige Weise geltend zu machen gesucht, als in dem
der Baukunst. Doch sind die Richtungen und Wege, auf wel-
chem unsere Architecten dabei zum Ziele zu gelangen hoffen,
sehr verschieden, und wiahrend die Einen das Heil ihrer Kunst
von dem unbedingten Anschluss an die klassischen Bauformen
der Griechen und Rémer, von dem heitern und schmuckreichen
Fagaden-Styl der Renaissance, ja von der barocken Schwer-
falligkeit des Rococco erwarten, Andere dagegen die reine Wie-
deraufnahme des romanischen oder gothischen Baustyls als ein-
zige Bedingung einer nationalen Wiedergeburt fir unsere Ar-
chitectur fordern, sehen wir noch Andere bemiht, miltelst einer
Verschmelzung der Elemente und Eigenthiimlichkeiten dieser
verschiedenen Stylgattungen eine neue, bis dahin noch nicht
dagewesene Bauart zu begrtnden.

Ob Letzteres tberhaupt moéglich, ob das in unserer Zeit