Ди) е
	4eitung
fiir bildende Kunst und Baukunst.
	Organ
der deutSchen Kunstvereine.
	Unter Mitwirkung von
	Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Disseldorf — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — FGrster in Miinchen — Eitelberger v. Edelberg in Wien
	redigirt von Dr. F.. Hggers in Berlin,
	_ „№15.

 

Sonnabend, den 12. April.
	Рапзег КапзфалзеПипо уоп 1850 —51.
	(lortsetzung.)
	„ Осеаш4еп“ ausgefihrt. Am Fusse eines steilen, aus den
Wellen des Meeres hervorragenden Felsen, auf dessen Gipfel
Prometheus gefesselt liegt, tiberlassen sich die 12 Oceaniden
weinend und handeringend ihrer Veraweiflung. Eine derselben
erhebt sich schwebend den Felsen entlang, mit dem Ausdruck
der Hilflosigkeit und des bittersten Schmerzes. Dieser, dem
Inhalte nach uns so ganz ferne liegende Gegenstand, kénnte
méglicher Weise durch die Art der Behandlung in den Bereich
unserer Anschauungs- und Gefiihisweise und somit unserer
Theilnahme hereingezogen werden; so wie er uns hier aber
vorgefiihrt wird, fremdartig und seltsam im Anblick, von den
weiblichen Gestalten an in auffallenden verschrankten Stellungen,
bis zu den Wellen, die die Form von Akanthusblattern anneh-
men, fallt uns unwillkirlich das shakespear’sche ,,whai’s Hecuba
to me?“ ein, und man fragt sich: was gehen uns die Oceani-
den an? Es ist schwer zu sagen, wo L. sein Ideal weiblicher
Schiénheit hergenommen; so viel ist gewiss, dass dasselbe von
der Antike, von Raphael und der Natur gleich weit entfernt ist.

Fir die Kapelle einer hiesigen Kirche (auf der Insel St.
Louis) hat H. L. eine Himmelfahrt der Jungfrau gemalt. Die
Verklarte erhebt sich, von drei Engeln getragen, tiber die in
grauer Ferne liegende Erde und schwebt nach oben, wo ein
Chor von Engeln und Cherubim ihrer wartet. Die Hauptgruppe
ist elegant in Linien und Bewegung; das ist Alles, was sich
zum Lobe des Bildes sagen lasst. Ein blaugriner Farbenton
herrscht in dem Ganzen (ebenso in den Oceaniden), und theilt
sich selbst dem Fleische mit. — Die , Consolatrix Afflictorum “,
die Jungfrau ohnmachlig am Fusse des Kreuzes hinsinkend, von
Nicodemus, und Magdalena uud ciner anderen Frau unterstiitat,
ist des Kiinstlers so ganz unwiirdig, dass ich, der Augenschein-
lichkeit zum Trotz, dieses Gemalde fir das Machwerk eines
stiimperhaften Nachahmers halten méchte.

Besonders thatig ist L. im Portraitfach. Unter den neun
Bildnissen, die er dieses Jahr ausgestellt, zeichnet sich das
einer schénen jungen Frau von stidlichem Ausehen aus. Sie
halt den Facher in der Linken, die Rechte tiber den linken
Arm gekreuzt; farbige Bander zieren die schwarzen Haare,
liber die ein schwarzer Schleier gelegt ist. Das Kleid ist mit
Pelz yerbrimt. Die Zeichnung dieses Bildes ist von grosser
Schonheit, die Behandlung hichst gewandt, nur zu glanzend
im Vortrag. Der Blick und die Haltung des Modells hat etwas
	Herausforderndes, was auch wieder den ruhigen Етагаск $1011.
	In der Auffassung mit H. Lehmann verwandt ist Aug
45
	H. Lehmann. — A. Guermann-Bohn. — Th. Chasseriau. —- J, Alaux. —
Rob. Fleury. — “I. Beaume. — Eug. Isabey. — Decaisne. — Ziegler. —
Gigoux. — Ad. Yvon. — Al. Laemlein.
	So erfreulich und lohnend die Aufgabe des Berichterstat-
ters ist, wenn ihm zu Theil wird, ein gelungenes Kunstwerk
den Lesern vorzufihren, tiber ein mit Begeisterung erfasstes
und ausgefiihrtes Bild auch im vollen Erguss der Begeisterung
zu sprechen: eben so undankbar und entmuthigend ist sie auch,
wenn ihm die harte Pflicht obliegt, einem Kistler, besonders
einem Kinstler von Ruf, herbe Wahrheiten zu sagen. Nicht
einmal mit dem Umgehen der Wahrheit ist es gethan, denn
bitterer Tadel selbst ist weniger empfindlich, als — Stillschwei-
gen. Diese Betrachtungen drangen sich mir auf, da ich im
Begriffe stehe, von einem geschatzten Kiinstler, und noch dazu
einem deutschen, von Heinrich Lehmann, zu sprechen. Die
Art und Weise dieses Kiinstlers darf wohl im Vaterlande als
bekannt vorausgesetzt werden, was mich der Beschreibung tber-
hebt. Er gehort unstreilig zu den denkenden Kiinstlern unserer
Tage, und die Richtung dieser seiner Gedanken verliert sich
	nie nach unten; sein Streben ist vielmehr ein durchaus reines,
	und edles. Leider aber sind auch alle Gebilde seiner Kunst
reine Verstandesprodukte, nicht erwarmt vom Gefiihle, dessen
beseelender Hauch doch dem Kunstwerk erst Leben und Odem
verleiht. Desshalb lassen sie auch den Beschauer immer und
ewig kalt, mag er auch noch so sehr die strenge Symmetric
der Anordnung, die korrekte Zeichnung, die glatte Ausfiihrung
und eine gewisse Eleganz in Formen und Linien anerkennen.
Diese letztern Eigenschaften arten freilich wieder in Fehler aus,
denn bei L. ist Alles berechnet, Alles vorbereitet, Alles aus-—
studirt. An die Stelle der Natur, der Naivetit und des Unbe-
wussten ist tiberall die Kunst, ja die Verkiinstelung, Ziererei
und Pritention getreten, die Todfeinde alles freudigen und fri-
schen Genusses. So entfernt sich denn dieser Kiinstler auch
immer mehr und mehr von der Natur und verfallt in Manier;
das Absonderliche, das Erzwungene ist fir ihn das Schone.
Dieses deutet gewissermaassen schon die Wahl seiner Stoffe,
noch mehr aber deren Behandlung an. In der Art seiner ,Sy-
гепеп“ уоп 1848, nur auf weit grésserer Flache, hat L. fir
dic Galerie des Luxembourg die gegenwirtig ausgestellien
	li, Jahrzang.