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	haltnisse des Tintoretto hat er so thbertrieben, dass die hier
dargestellten Senatoren wohl zehn Kopflangen haben und in ih-
ren rothen Talaren aussehen, als wollten sie gar nicht enden.
Dann hat er den gliihenden Farbenton, den Zeit und Firniss
den Bildern der venetianischen Schule mitgetheilt haben, zur
Richtschnur genommen, und seinem Bilde eine Beleuchtung ge-
geben, wie sie nie und nirgends in der Natur vorkommen und
wie unter keinen Umstanden die Sonne sie hervorbringen kann,
sondern héchtens nur bengalisches Feuer.

Ich habe oben gesagt, dass R. Fleury nur zwei Bilder aus-
gestellt. Wer sich aber, ohne sich um Namen zu bekimmern,
im Salon umsieht, dem stossen wenigstens zehn Bilder dieses
Meisters auf. Kaum ist namlich je ein Maler so vollkommen
nachgeahmt worden, wie dieser. Adolphe Aze und Benoit
Thollot heissen die jungen Talente, die ihren Ehrgeiz darauf
beschranken, ein Anderer zu sein. Aber selbst J. Beaume,
ein erprobtes Talent, seit langen Jahren bekannt durch Schlach-
tenbilder, besonders aber durch die seiner Natur mehr zusa-
genden biirgerlichen Dramen und Scenen aus dem Hofleben
Ludwigs XIII und XIV, wie deren zwei in der Galerie des Lu-
xembourg sich befinden, gefallige Darstellugen von wahrer Far-
bung und weicher Behandlung, selbst Beaume lasst sich jetat
verleiten, in kleinen unbedeutenden Genrebildchen, in die Weise
R. Fleury’s und in seinen braunrothen glihenden Farbenton zu
verfallen. Besonders auffallend und anstéssig durch den innern
Widerspruch ist diese Beleuchtung bei dem bedeutendsten die-
ser Bilder, die Gebriider van Eyck vorstellend, wie sie dem
Geheimniss der Farbenbereitung mit Oel nachspiiren, — die
Gebrider van Eyck, deren Oelgemalde noch heute, nach mehr
als vier Jahrhunderten, in einer gesunden, hellen und strahlen-
lenden Farbung prangen, die tiber solchen Uebertreibungen den
Stab bricht.

Eugéne Isabey hat eine ,,Episode aus Heinrich IV Ver-
mihlungsfeier“ und ,,die Einschiffung von Ruyter und de Witt“
ausgestellt, beides Bilder von bedeutendem Umfange, mit einer
unzihligen Menge kleiner Figuren. Diesem beriihmten Kinstler
ist der Gegenstand, den er wahlt, sellen mehr als ein Vor-
wand, um die glinzenden Eigenschaften seiner Palette und seine
ausserordentliche Gewandtheit der Behandlung an den Tag zu
legen. Ich gestehe aber, dass mir seine Bilder selten Befrie—
digung gewaéhren, denn es fehit ihnen nicht nur an geisligem
Gehalt, sondern man vermisst auch haufig den dusseren Mittel-
punkt der Handlung, und das Auge sucht vergebens Ruhe in
dem bunten Gewirre der Farben.

Von den alteren Ktinstlern sind Decaisne, Ziegler und
Gigoux zu erwahnen. Ersterer hat in lebensgrossen Figuren
den Kanzler l’Hopital mit seiner Familie wahrend der Bartholo-
mausnacht vorgestellt. Die Composition dieses Bildes ist all-
taglich und ohne Interesse, der Ausdruck der Képfe unbedeu-
tend, die Behandlung geistlos und hélzern, der Farbenton schwer.
Verdienstlicher und anziehender ist: ,,. Ludwig XIV und Madame
de Ja Valliére“, sich mit Musik unterhaltend. Die Portraits
dieses Kiinstlers leiden an den oben gertigten Fehlern. J.
Ziegler, der durch seine grossen Wandmalereien in der Mag-
dalenenkirche, so wie auch Staffelbilder in der Art des jungen
Giotlo in der Werkstatte Cimabue’s, und als heil. Lucas die
Jungfrau malend, sich einen ehrenvollen Platz unter den Kiinst-
lern unserer Zeit errungen hat, verfallt immer mehr in eine
kalte und oberflachliche Manier. Sein » Brautigam und Braut“,
nach dem hohen Liede, erinnert lebhaft an Schopin und seine
platte, frostige Weise. Es sind zwei schlanke akademische Fi-
guren, in verschrankter Stellung neben einander sitzend, zu
ihren Fiissen weiden die Lammer. Gut gezeichnet und tiichtig
gemalt, haben diese beiden Gestalten weder den Ausdruck, noch
	Guermann-Bohn, dem die Etre geworden ist, fir den Pra-
sidenten der Republik ,.Romeo und Julie“ zu malen. Dieses
Bild ist in jeder Beziehung misslungen, unbedeutend im Cha-
rakter, sentimental in der Auffassung, schwach in der Zeich-
nung, ohne Schénheit der Form, ohne Reiz im Ausdruck, kallt
im Lichte und von gequalter Ausfiihrung. — Ich ziehe die kleine
»griechische Studie“ dieses Kiinstlers bei Weitem vor. Dieses
Bildchen, eine junge Griechin am Brunnen vorstellend, ist vor-
trefflicher Intention, voll Geschmack, Eleganz und Styl; die
Ausfiihrung lasst jedoch zu wiinschen iibrig.

Théodore Chassériau, einer der jiingeren Kiinsiller,
verdankt seine erste Bildung der Schule Ingres’, die er spater
verliess, von Eug. Delacroix’ Weise angezogen. Seitdem ist
er denn auch als entschiedener, obwohl keineswegs sklavischer
Nachahmer dieses letzteren Meisters aufgetreten. Einzelne deut-
liche Anklinge an seine erste Schule; gewisse ihm eigene Ty-
pen; sehr lange, schlankgegliederte Gestalten; eine Zeichnung,
der es nicht an Grossartigkeit fehlt; eine Farbung, die, in grés-
seren Bildern besonders, mehr Kraft und Uebereinstimmung
wtinschen lasst: dieses Alles, zusammen mit einer in allen
Theilen sichtbaren Nachahmung Delacroix’, bezeichnet den Sty!
des Kiinstlers, dem schon mehrere ehrenvolle Auftrige von der
Regierung zu Theil geworden sind. Das wichtigste der acht
Bilder, die Ch. dieses Jahr auf den Salon geschickt, ist die fast
in Lebensgrésse ausgeltihrte Darstellung , arabischer Reiler, die
nach einem Gefechte mit den Spahis ihre Todten wegtragen*.
Eine theilweise Vernachlassigung der Zeichnung, so wie der
Ausfiihrung, eine gewisse Uebertreibung der Motive und ein
etwas erkiinstelter Geschmack, der sich im Bizarren mehr als
im einfach Schénen gefallt, sind die Fehler dieser Composition
und kleben den meisten Werken dieses Kiinstlers an. Als die
gelungensten unter seinen acht Bildern betrachte ich die zwei
kleinen: ,Sappho“ und ,Desdemona“. Der Kopf der letzteren
hesonders ist von reizender Form und seelenvollem Ausdruck.

Zu den bedeutendsten Bildern der Ausstellung, dem Um-
fange wie dem Werthe nach, gehért J. Alaux’ (Direktors der
Akademie in Rom) ,,Vorlesung des Testamentes Ludwig XIV“, fiir
Versailles bestimmt. Der talentvolle und héchst gewandte Kiinst-
ler hat die schwierige und undankbare Aufgabe, eine zahlreiche
Versammlung schwarzgekleideter Personen mit langen Periicken,
darunter eine kleine Gruppe mit violetten Manteln, Talaren und
Mittzen — ohne eigentlich Handlung darzustellen, mit vollkom~
menem Erfolge gelést. Das Licht spielt um all die Gestalten;
die Farbe ist glinzend und tief, die Wirkung harmonisch, das
Halbdunkel uniibertrefflich schon.

Robert Fleury, einer der alteren Meister, bekannt durch
seine Darstellungen aus dem Mittelalter, der Reformationsge-
schichte, Grauelscenen der Inquisition, Ziige aus dem Leben
berihmter Maler etc., ausgefithrt in einer kraftigen, breiten und
wirkungsreichen Manier, die aus dem Studium Rembrandt’s und
Fintoreito’s hervorgegangen, hat dieses Jahr nur zwei Bilder
ausgestellt, das eine ist: ,,Jane Shore“, als Hexe und Ehebre-
cherin verurtheilt und in den Strassen Londons vom Pébel ver-
hohnt. Ohnmiachtig sinkt die Arme unter der Vorhalle eines Pa-
lastes nieder. Der Kiinstler hat diesen Gegenstand, mit Ver-
kennen des Wesens seines Talentes und Ueberschatzung seiner
Kraft, in Lebensgrésse dargestellt. Die triviale Auffassung, die
styllose rembrandtsche Zeichnung wirken abstossend auf den
Beschauer. Das zweite Bild: ,,der Senat von Venedig“, unter
dem Vorsitz des Dogen Pascal Cicogna, im Saale des grossen
Rathes versammelt, nimmt den ihm vom Konig Heinrich IV tiber-
sandten Degen in Empfang. Der Kiinstler ist hier durch die
tibelverstandene Nachahmung der alten Meister in eine doppelte
Uebertreibung verfallen. Die gewodhnlich tiberschlanken Ver-