114 haltnisse des Tintoretto hat er so thbertrieben, dass die hier dargestellten Senatoren wohl zehn Kopflangen haben und in ih- ren rothen Talaren aussehen, als wollten sie gar nicht enden. Dann hat er den gliihenden Farbenton, den Zeit und Firniss den Bildern der venetianischen Schule mitgetheilt haben, zur Richtschnur genommen, und seinem Bilde eine Beleuchtung ge- geben, wie sie nie und nirgends in der Natur vorkommen und wie unter keinen Umstanden die Sonne sie hervorbringen kann, sondern héchtens nur bengalisches Feuer. Ich habe oben gesagt, dass R. Fleury nur zwei Bilder aus- gestellt. Wer sich aber, ohne sich um Namen zu bekimmern, im Salon umsieht, dem stossen wenigstens zehn Bilder dieses Meisters auf. Kaum ist namlich je ein Maler so vollkommen nachgeahmt worden, wie dieser. Adolphe Aze und Benoit Thollot heissen die jungen Talente, die ihren Ehrgeiz darauf beschranken, ein Anderer zu sein. Aber selbst J. Beaume, ein erprobtes Talent, seit langen Jahren bekannt durch Schlach- tenbilder, besonders aber durch die seiner Natur mehr zusa- genden biirgerlichen Dramen und Scenen aus dem Hofleben Ludwigs XIII und XIV, wie deren zwei in der Galerie des Lu- xembourg sich befinden, gefallige Darstellugen von wahrer Far- bung und weicher Behandlung, selbst Beaume lasst sich jetat verleiten, in kleinen unbedeutenden Genrebildchen, in die Weise R. Fleury’s und in seinen braunrothen glihenden Farbenton zu verfallen. Besonders auffallend und anstéssig durch den innern Widerspruch ist diese Beleuchtung bei dem bedeutendsten die- ser Bilder, die Gebriider van Eyck vorstellend, wie sie dem Geheimniss der Farbenbereitung mit Oel nachspiiren, — die Gebrider van Eyck, deren Oelgemalde noch heute, nach mehr als vier Jahrhunderten, in einer gesunden, hellen und strahlen- lenden Farbung prangen, die tiber solchen Uebertreibungen den Stab bricht. Eugéne Isabey hat eine ,,Episode aus Heinrich IV Ver- mihlungsfeier“ und ,,die Einschiffung von Ruyter und de Witt“ ausgestellt, beides Bilder von bedeutendem Umfange, mit einer unzihligen Menge kleiner Figuren. Diesem beriihmten Kinstler ist der Gegenstand, den er wahlt, sellen mehr als ein Vor- wand, um die glinzenden Eigenschaften seiner Palette und seine ausserordentliche Gewandtheit der Behandlung an den Tag zu legen. Ich gestehe aber, dass mir seine Bilder selten Befrie— digung gewaéhren, denn es fehit ihnen nicht nur an geisligem Gehalt, sondern man vermisst auch haufig den dusseren Mittel- punkt der Handlung, und das Auge sucht vergebens Ruhe in dem bunten Gewirre der Farben. Von den alteren Ktinstlern sind Decaisne, Ziegler und Gigoux zu erwahnen. Ersterer hat in lebensgrossen Figuren den Kanzler l’Hopital mit seiner Familie wahrend der Bartholo- mausnacht vorgestellt. Die Composition dieses Bildes ist all- taglich und ohne Interesse, der Ausdruck der Képfe unbedeu- tend, die Behandlung geistlos und hélzern, der Farbenton schwer. Verdienstlicher und anziehender ist: ,,. Ludwig XIV und Madame de Ja Valliére“, sich mit Musik unterhaltend. Die Portraits dieses Kiinstlers leiden an den oben gertigten Fehlern. J. Ziegler, der durch seine grossen Wandmalereien in der Mag- dalenenkirche, so wie auch Staffelbilder in der Art des jungen Giotlo in der Werkstatte Cimabue’s, und als heil. Lucas die Jungfrau malend, sich einen ehrenvollen Platz unter den Kiinst- lern unserer Zeit errungen hat, verfallt immer mehr in eine kalte und oberflachliche Manier. Sein » Brautigam und Braut“, nach dem hohen Liede, erinnert lebhaft an Schopin und seine platte, frostige Weise. Es sind zwei schlanke akademische Fi- guren, in verschrankter Stellung neben einander sitzend, zu ihren Fiissen weiden die Lammer. Gut gezeichnet und tiichtig gemalt, haben diese beiden Gestalten weder den Ausdruck, noch Guermann-Bohn, dem die Etre geworden ist, fir den Pra- sidenten der Republik ,.Romeo und Julie“ zu malen. Dieses Bild ist in jeder Beziehung misslungen, unbedeutend im Cha- rakter, sentimental in der Auffassung, schwach in der Zeich- nung, ohne Schénheit der Form, ohne Reiz im Ausdruck, kallt im Lichte und von gequalter Ausfiihrung. — Ich ziehe die kleine »griechische Studie“ dieses Kiinstlers bei Weitem vor. Dieses Bildchen, eine junge Griechin am Brunnen vorstellend, ist vor- trefflicher Intention, voll Geschmack, Eleganz und Styl; die Ausfiihrung lasst jedoch zu wiinschen iibrig. Théodore Chassériau, einer der jiingeren Kiinsiller, verdankt seine erste Bildung der Schule Ingres’, die er spater verliess, von Eug. Delacroix’ Weise angezogen. Seitdem ist er denn auch als entschiedener, obwohl keineswegs sklavischer Nachahmer dieses letzteren Meisters aufgetreten. Einzelne deut- liche Anklinge an seine erste Schule; gewisse ihm eigene Ty- pen; sehr lange, schlankgegliederte Gestalten; eine Zeichnung, der es nicht an Grossartigkeit fehlt; eine Farbung, die, in grés- seren Bildern besonders, mehr Kraft und Uebereinstimmung wtinschen lasst: dieses Alles, zusammen mit einer in allen Theilen sichtbaren Nachahmung Delacroix’, bezeichnet den Sty! des Kiinstlers, dem schon mehrere ehrenvolle Auftrige von der Regierung zu Theil geworden sind. Das wichtigste der acht Bilder, die Ch. dieses Jahr auf den Salon geschickt, ist die fast in Lebensgrésse ausgeltihrte Darstellung , arabischer Reiler, die nach einem Gefechte mit den Spahis ihre Todten wegtragen*. Eine theilweise Vernachlassigung der Zeichnung, so wie der Ausfiihrung, eine gewisse Uebertreibung der Motive und ein etwas erkiinstelter Geschmack, der sich im Bizarren mehr als im einfach Schénen gefallt, sind die Fehler dieser Composition und kleben den meisten Werken dieses Kiinstlers an. Als die gelungensten unter seinen acht Bildern betrachte ich die zwei kleinen: ,Sappho“ und ,Desdemona“. Der Kopf der letzteren hesonders ist von reizender Form und seelenvollem Ausdruck. Zu den bedeutendsten Bildern der Ausstellung, dem Um- fange wie dem Werthe nach, gehért J. Alaux’ (Direktors der Akademie in Rom) ,,Vorlesung des Testamentes Ludwig XIV“, fiir Versailles bestimmt. Der talentvolle und héchst gewandte Kiinst- ler hat die schwierige und undankbare Aufgabe, eine zahlreiche Versammlung schwarzgekleideter Personen mit langen Periicken, darunter eine kleine Gruppe mit violetten Manteln, Talaren und Mittzen — ohne eigentlich Handlung darzustellen, mit vollkom~ menem Erfolge gelést. Das Licht spielt um all die Gestalten; die Farbe ist glinzend und tief, die Wirkung harmonisch, das Halbdunkel uniibertrefflich schon. Robert Fleury, einer der alteren Meister, bekannt durch seine Darstellungen aus dem Mittelalter, der Reformationsge- schichte, Grauelscenen der Inquisition, Ziige aus dem Leben berihmter Maler etc., ausgefithrt in einer kraftigen, breiten und wirkungsreichen Manier, die aus dem Studium Rembrandt’s und Fintoreito’s hervorgegangen, hat dieses Jahr nur zwei Bilder ausgestellt, das eine ist: ,,Jane Shore“, als Hexe und Ehebre- cherin verurtheilt und in den Strassen Londons vom Pébel ver- hohnt. Ohnmiachtig sinkt die Arme unter der Vorhalle eines Pa- lastes nieder. Der Kiinstler hat diesen Gegenstand, mit Ver- kennen des Wesens seines Talentes und Ueberschatzung seiner Kraft, in Lebensgrésse dargestellt. Die triviale Auffassung, die styllose rembrandtsche Zeichnung wirken abstossend auf den Beschauer. Das zweite Bild: ,,der Senat von Venedig“, unter dem Vorsitz des Dogen Pascal Cicogna, im Saale des grossen Rathes versammelt, nimmt den ihm vom Konig Heinrich IV tiber- sandten Degen in Empfang. Der Kiinstler ist hier durch die tibelverstandene Nachahmung der alten Meister in eine doppelte Uebertreibung verfallen. Die gewodhnlich tiberschlanken Ver-