die Schopfung eines dem Lesueur verwandten Geistes. — Im
rein klassischen Styl der strengen Linie, doch nichts weniger
als kali, ist Charles Timbal’s ,,Greisenalter des Evangeli-
sten Johannes“, der, auf einem Ruhebetie sitzend, die Glieder
der Gemeine lehrend um sich versammelt. Die Composition
dieses Bildes ist durchdacht, der Ausdruck der Képfe sprechend
und edel, die Farbung lehbaft und wahr.

Mehr durch aussere Higenschaften, obschon das geistige
Element keineswegs ganz abwesend ist, glinzt Edouard Ar-
mand Dumaresq’ ,,todter Christus“. Der Kopf des Heilands
ist von grosser Schénheit; der ausgestreckte Leib, von sehr
edlen Formen, verrath in Zeichnung und Modellirung eine Mei-
sterhand, wie nicht minder die Behandlung des Leintuches,
darauf der Leichnam ruht. Vorn liegen Dornenkrone, Becken
und Schwamm; im Hintergrund hat der Kiinstler eine Aussicht
auf das Meer eréfnet.

Auch Jule Jollivet hat einen ,,todten Christus im Schoosse
der Jungfrau“ dargestellt, eines der besseren Bilder von feier-
lichem Ton und kraftiger Farbung in der grauen Harmonie.

Octave Tassaert, ein Kiinstler, dessen schwermiithigem
Geiste die Bilder menschlichen Jammers, doch in milder ele-
gischer Fassung, zusagen, hat sich verleiten lassen, unter dem
Titel ,, Himmel und Hille“ ein Bild auszustellen, in der Art
des Rubens’schen Engelsturzes, wo menschliche Verworfenheit
und die Strafen, die ihrer harren, sich im Vordergrunde vor
dem Blick ausbreiten; eine Darstellung, mit der die Seligen
im Hintergrunde nicht ausséhnen kénnen, so wenig als grosse
malerische Verdienste. — Weit vorzuziehen ist desselhen Kiinst-
lers ,, ungliickliche Familie“, ein Bild, das von tiefer und wah-
rer Empfindung eingegeben, mit malerischem Sinn, von ge-
wandter Hand ausgefiihrt, seine Wirkung nicht verfehlt.
	» Der Schnee bedeckte die Dacher; ein etsiger Wind schlug gegen
das Fenster dieser engen und kalten Wohnung; eine alte Frau warmte
an einer Kohlenpfanne ihre blossen, zithernden Hinde. 0, meine
Mutter, sprach das junge Madchen, du bist nicht immer in dieser
dirftigen Lage gewesen.... Und die alte Frau sah das Bild der Mutter
Gottes an, und das Madchen schluchtate..... Kurze Zeit nachher sah
man zwei weibliche Gestalten, strahlend wie selige Geister, gen Him-
	mel sich erheben.“
	$115 аш Кгеи2е“, аеп аЦеп Мез$\егп паспое рае, die dieser
Kiinstler viel studirt hat; endlich J. L. E. Paille’s ,,Christus im
Grabe“, verdienen erwahnt zu werden. P. A. Jeanron, der ehe-
malige Direktor der National-Museen, auf den wir noch zuriick~
kommen werden, hat eine Flucht nach Aegypten genreartig be-
	handelt; die Hauptsache ist die felsige Landschaft, von kraftiger
	Behandlung, grossem Charakter und gewandter Pinselfiihrung.

  Tony Johannot, ein Kinstler von Verdienst und grosser
Thatigkeit, der nur leider durch die vielen Zeichnungen fir
illustrirte Biicher zu einer etwas flichtigen Manier verleitet
worden ist, hat sechs Bilder ausgestellt, darunter ein ,,Tod des
heiligen Paulus, des ersten EHinsiedlers“. Diesem Bilde fehlt
es nicht an trefflichen Motiven. Der Liwe, der dem sterben-
den Heiligen die Fiisse Jeckt, ist ausgezeichnet in der Bewe-
gung und im Ausdruck der Ergebenheit. Dem Kopf des Hei-
ligen selbst gebricht es aber an Adel; man sieht darin zu sehr
das Modell. Die Farbung ist zu schillernd und bunt. Das beste
Bild Johannot’s ist ,,eine von der Falkenjagd zuriickkommende
Gesellschaft, am Meeresufer haltend. Der Kistler befindet
sich hier ganz in seinem Elemente und entwickelt die ihm eigen-
thiimliche Eleganz der Formen, Natiirlichkeit der Composition,
Lebendigkeit der Bewegung und gewandte Behandlung.

Felix Barrias, der sein fiinftes Jahr auf der franzésischen
Hochschule der Kunst in Rom vollendet hat, bekundet in sei-
nem ,Verbannien des Tiberius“ ein wahres Talent, das zu
grossen Hoffnungen berechtigt, wenn nicht wie so haufig, die
Zeichen triigen. In den lebensgrossen Gestalten der auf die
See verstossenen Bewohner von Caprea, wo der finstere Despot
seinen Sitz aufgeschlagen, driicken sich, in feinen psychologi-
schen Abstufungen, die Gefiihle der Rachsucht, der Verzweiflung
und der Ergebung aus. Eine Gruppe, inmitten des Schiffes
stehend, die Arme ausgestreckt nach dem Palast des Tyrannen,
der die Felsenhéhe der Insel krént, bricht in lebhafte Verwiin-
schungen aus. Ein Paar Liebender oder Neuvermahlter, im
Gefiihle ihres stillen Glitckes, das keine aussere Gewalt ihnen
rauben kann, versinkt in ganzliches Vergessen der Aussenwelt.
— In den irren Blicken einer grade vor sich hinstierenden
jungen Frau aber liest man die in der Selbstvergessenheit des
Wahbnsinns nahende Erlésung.

Wenn ich nun noch L. Boulanger’s ,,Schmerz der Hecuba“
(nach Dante), Blagdon’s ,,Andrea Vesalio in Padua“ (einen
Leichnam vom Galgen abnehmend) Ch. Herbsthoffer’s ko-
lossalen Daniel in der Lowengrube“; Tony Zae’s ,Tod* (nach
Horazens pallida mors etc.), alle vier an Uebertreibungen und
schwerer Versiindigung gegen den Geschmack leidend; ferner
Bomdier’s ,Tod des Zurbaran*, P. Ch. Comte’s ,Besuch
	  Carls IX beim Admiral Coligny*, und Karl Muiller’s (nicht
	zu verwechseln mit Charles Muller) .rodmischen Carnaval“ an-

gefiihrt, so glaube ich sehr wenige von einiger Bedeutung
tibergangen zu haben.

Unter den Portrats, deren wir einige der gelungensten
schon erwilmt haben, ist nun zu allererst anzufiihren: Horace
Vernet’s ,Porlraét des Prinzen Louis Napoléon, Prasidenten
der Republik*. Er ist zu Pferde dargestellt, in Begleitung des
General’s Changarnier und mehrerer Officiere. Dieses Bildniss
ist schon vorigen Sommer im Palais national ausgestellt ge-
wesen, und die dargestellte Person nicht minder als der Name
des Kiinstlers sicherte ihm die lebhafte Theilnahme des Publi-
kums. Die Critik findet aber in diesem Bilde wenig Besonderes
herauszuheben, denn der Meister hat uns, zumal in den letzten
Jahren, so verwéhnt, dass wir von ihm nichts Anderes als
Vortreffliches erwarten. Diesesmal aber scheint ihn sein Modell
nicht inspirirt zu haben, was auch aus der Aeusserung hervor-
	geht, die er gegen einen seiner Freunde that: ,dieser Mann
16 *
	бо lautet der Text zu der ergreifenden Composition die-
ses Bildes.

Noch miissen wir in Kiirze einige Bilder religidsen Inhalts,
simmtlich in Lebensgrésse und im grossen Saal hingend, be-
sprechen. Eloi-F.-Féron’s ,,Gefangennehmung Christi im
Oelgarten“ hat viel malerisches Verdienst; die nachtliche Be-
leuchtung ist von schlagender Wirkung, aber die ganze Auf-
fassung ist so profan, die heiligen Personen sind im Charakter
so weit entfernt von den tiberlieferten Typen, dass man sich
mit dieser Darstellung nicht befreunden kann. Petrus steht
ganz vorne, sein Schwert ziechend, in Haltung, Charakter und
Ausdruck das vollsténdige Bild eines Verschwérers oder des
Verrathers in einem Melodrama.

Auguste Bigand, in Versailles, ein Maler nach Art der
Naturalisten des 17. Jahrh., stellt unter dem Titel: ,,Christliche
Liebe“ den heil. Martin vor, seinen Mantel mit einem Armen
theilend. Dieser Gegenstand ist fir den Kiinsler ein Vorwand,
den Gegensaiz eines jungen stattlichen Rilters und seines Ge-
folges mit zerlumpten Bettlern und Krtppeln, mit Weibern
und Kindern auszumalen.

Adolphe Brune’s ,,Marter der heil. Catharina“; Alex.
Cabanel’s ,,heil. Johannes der Taufer“; P. Franque’s ,,Him-
melfahrt der Jungfrau*; Marcel Verdier’s ,,heil. Laurentius“;
Е. G. L. Tabar’s ,,heil. Sebastian, Martyrer“; Charles Du-
gasseau’s ,,schmerzensreiche Mutter“; Al. M. Colin’s »Chri-