dischen Volkes seines Bruders Aron als Sprecher bei seinen
Verhandlungen bediente, da ihm selbst, wie es in der Bibel
heisst, die Zunge zu schwer war.

Bei einiger Uebereinstimmung mit Cima da Coneglia-~
no’s erster Manier, enthalten diese Bilder schon ein tiberaus in-
tensives Colorit, wenn es auch vorlaufig noch einen dunkeln Trieb
aur Veranlassung hat, der in solchen Zeichen eines kindlichen
Jauchzens seine geistige Gesundheit kund giebt. Die Compo-
sition ist kunstlos und in Riicksicht auf ihren Gegenstand ein-
fach und bezeichnend. Die spatern entwickeltern Typen giorgio-
nischer K6pfe sind bei einigen Figuren schon hier, wenn auch
nur embryonisch, enthalten.

Die Schule Bellinis mag Giorgione nur kurze Zeit besucht
haben, da Bilder, in welchen der Einfluss Bellinis aus dieser
Periode ersichtlich, sehr selten sind und an dem Geriichte, dass
dieser ihn aus Neid von sich entfernt habe, wenigstens so viel
hervorgehen dirfte, dass der Unterricht von ungewohnlich kur-
zer Dauer gewesen. So viel ist indessen gewiss, dass Giorgione’s
biegsame Anstelligkeit, im Verein mit seinem ticfdringenden
Geiste, ihn sehr schnell einem Ziele zufiihrte, das sich in sol-
cher Weise noch Niemand vor ihm gesteckt, da er mit dem Sinn

der idealen Allgemeinheit zugleich dem engern Organismus der
Realitaét eine malerische Bedeutsamkeit zu geben wussle, in der
	die artistische Vollendung erst ihren hochsten Punkt erreicht.
Ein unter No, 152 in der Galerie des Museums zu Berlin
befindliches Werk, das man als von seiner Hand bezweifeln
will, vorstellend die Bildnisse zweier Geistlichen, kommt
dieser Untersuchung zu statten, da es entweder wahrend
	der Zeit von Giorgione vollendet worden, als er noch Schii-
ler Bellini’ s war, oder in die. [Periode kurz darauf fallt,
als er eben dessen Schule verlassen. Eine liebevolle Hinge-
bung, ein inniges Interesse fir den zu behandelnden Gegen-
stand, seinem geistigen Inhalt nach, und die einfachste Auffas—
sung, zu diesen Eigenschaften, welche sich in diesem Bilde
kund thun, die auch zugleich die der Werke des trefflichen
Lehrers sind, gesellen sich noch eine gewisse Scheu, das cha-
rakleristisch Zufallige der Bewegung dieser Gestalten, nicht
durch einen bis dahin tblichen Styl zu behindern. Die ganz
eigenthiimliche Zuriickhaltung eines bereits feuchtern Colorits
mit weicher Verschmelzung der Téne und Formen, kommt einer
Modellirung zu statten, welche besonders im Profilkopfe be-
wunderungswiirdig ist. Man ist indess mehr versucht, dies Bild
als cin Werk zu betrachten, das Giorgione unter des Lehrers
Augen vollendet, da sich in dieser Zuritckhallung eine gewisse
Riicksicht fiir die bellinischen Schulgesetzie hei einer tiefern
Einsicht in das Farbenwesen kundgiebt. Die naturgemassere
Entwicklung der Bildungsgesetze erscheinen hier mehr wie ein—
gepascht; und doch ist die Unschuld in der Behandlung noch
bewahrt, und so gewinnt es das Ansehn, als sei diese hier
Bedingung, wahrend sie sich bei Bellini mehr von selbst ver-
steht. Aber das gesteigerle Bewusstsein collidirt hier nicht mit
dem reinen empfindungsvollen Kunsttriebe.

In diesem Sinne ist auch das weisse Brusthemd des einen
Geistlichen mit hoher Naivetét behandelt. Meines Wissens ist
hier zum ersten Male das Bildungsmaterial der wahren Lebens-
gusserung der Erscheinung in einer Weise dienstbar gemacht,
die auf eine Reform im Farbenwesen hinweist, welche erst dem
Giorgione, im Verein mit dem grossen Tizian, vorbehalten war.
Das Weiss ist hier nicht, wie dies bis dahin geschieht, das der
eigentlichen Erscheinung vindicirte Weiss des Bildungsmaterials,
sondern es ist als eine in ihren Ursachen erkannte Wirkung,
rein empfunden; — es ist der gewisse Grad einer modificirten
Leuchtbarkeit, bedingt durch den Aggregatzustand der Materie,
	nach den Bedingungen einer Stimmung abgefublt und wieder-
47 *
	Kunstgeschichte viel Dunkel, wenn auch die anerkannten Werke
seiner Hand, deren nur wenige existiren, zur Geniige darthun,
dass er im Fache der Malerei eine grosse Thatigkeit entfaltet
haben miisse. Bei ihrer grossen Verschiedenheit verhalt es sich
mit seinen Bildern, wie mit denen des Lionardo da Vinci: nur
die grosse Gewichtigkeit ihres innern Lebensfonds ist bei der
ausserlichen Uebereinstimmung mit den Arbeiten threr bedeu-
tenden Schiiler maassgebend, um sie von diesen zu unterschei-
den. Deshalb ist es auch um Vieles schwieriger da eine ge-
nauere Bestimmung zu treffen, wo man zwischen Giorgione
und Tizian in fraglichen Fallen zu entscheiden hat, da der
Erstere bekannilich auch auf den Letztern einen so bedeuten-
den Einfluss ausgeiibt, dass in ihren Werken haufig fast ganz
gleiche Prinzipien vorwalten, besonders in denen, die weniger
der Erfindung anheimfallen, weswegen auf die Eigenthtimlich-
keit Tizians hier so viel als néthig Bezug genommen werden soll.

Es diirfte anzunehmen sein, das Giorgione, bevor er in
die Schule Bellinis nach Venedig gekommen, sich in Castel-—
franco, seinem Geburtsorte, bei einem vielleicht dirftigen Un-
terrichte im Zeichnen, cine Zeit lang selbst iberlassen war;
denn die mehr oder weniger beengenden Schulregeln scheinen
ihm urspriinglich fremd gewesen zu sein. Indem der Natura-
list, bei dem Mangel fremden Beistandes, seine Leistungen
stets mit misstrauischen Augen betrachtet, vermeidet er dieje~
nigen Angewohnungen, welche aus den Eigenthiimlichkeiten der
Lehrer entspringen, die die Schiiler oft auf Treu und Glauben
annehmen. Bestehen diese Angewohnungen meist in einer Menge
vorgefasster Meinungen, die hier stereotyp geworden, wodurch
sich oft zu ihrem Nachtheile ganze Schulen von einander un-
terscheiden, so ist aber der sich Selbstiiberlassene in anderer
Hinsicht iibel daran. Es fehlit seiner Zeichnung vorlaufig die
Ruhe und jenes erlernte Geschick der zweckmassigen Zusam-
menfassung, um sie mit mehr Leichtigkeit ins Leben treten zu
lassen, Indess ist dabei doch nicht zu tbersehen, dass bei einem
spiteren methodischen Unterricht, wodurch er durch selhstan-
diges Priifen der Kunstbedingungen um so geeigneter gewor-
den, fiir die auch hier nur schwer zu besiegende Unruhe eine
Unbefangenheit schadlos halt, vermillelst welcher eine Menge
feinerer Wahrheiten oft za Tage kommen, wogegen das con-
ventionelle Schulwesen meist erstarrt ist.

Dass auch die Kunstleistungen sich selbst iberlassener
Naturalisten mit den derzeitigen ausgebildeten Kunstleistungen
in einer gewissen Uebereinstimmung stehen, kann um so we-
niger befremden, als sich gerade in jener Unbefangenheit die
Zeichen der Zeit, in welcher sie hervorgegangen, am deutlich-
sten aussprechen. Es kann demnach nicht auffallen, wenn dem
Meister zwei kleine Bilder in der Gallerie der Uffizien zu Flo-
renz zugeschrieben werden, die als Anfange ein Talent offen-
baren, das weder von der Schule von Padua, noch von der zu
Venedig einen direkten Vorschub erhalten, obgleich diese Bilder
das Geprige der Kunstleistungen dieser Gegend tragen. Das
eine stellt das Urtheil Salomonis, das andere, merkwiirdig ge-
nug, eine nur wenig bekannte jiidische Legende aus dem Leben
Moses vor, weswegen ihrer hier Erwaihnung geschehen soll.
Es heisst namlich in der rabbinischen Exegese, dass, als die
Tochter Pharaos den kleinen Moses ihrem Vater prasentirt, das
Kind nach seiner Krone gegriffen habe. Dieses Zeichen deutete
man auf eine bevorstehende Usurpation, und man suchte sich
in dieser Hinsicht zu vergewissern, indem man dem Kinde ein
Becken voll Gold und ein Becken voll glithender Kohlen vor-
hielt. Es gereichte demselben zur Reltung, dass es nach den
Kohlen griff. Bei dieser Gelegenheit hatte sich das Knablein
den Mund verbrannt, und daher soll es in der Folge nothwen-
dig geworden sein, dass sich der nachmalige Befreier des jii-