in der Galerie des Museums zu Berlin No, 161, kann man selr versucht sein, fiir ein Werk des Giorgione aus dieser Periode zu halten, da es dessen schwarzliche Tinlen in den Schalten- parthieen und gewisse beabsichtigte Formenhiarlen besitzt, dic mehr den plastischen Ausdruck dominiren lassen, wogegen eine Durchfiihrung des Colorits, wie es sonst Tizian eigen, verstos- sen wiirde. Ist das von Vasari angegebene Sterbejahr Gior- gione’s richtig (14771511), so méchte es schwerlich einem Zweifel unterliegen, dass Tizian der Urheber dieses Bitdes ist, da es eine spalere Jahreszahl trigt, und es kann nur zum Ве- weise dienen, wie innig der artistische Verkehr dieser beiden Meister war. Dass cin so fruchtbares Genie, wie Giorgione, in keiner Periode seiner kiinstlerischen Wirksamkeit gleichmassig bei sei- ner Manier beharrte, diirfte damit zu erkliren sein, dass die Art seiner Ausbildung ihn von einer einseitigen Anschauung der Natur fern hielt, Nach Maassgabe seines geistigen Inter- esses ist der Grad der Ausfihrung, und durch diese die Modi- fication seines Styles bedingt, welcher sein Verfahren stets geist- voll rechiferligt. Hiervon giebt cine Darstellung Musicirender im Palast Pitti zu Florenz Zeugniss, die, obgleich der letzten Periode angehérig, mif einer bei andern Meistern Ve~ nedigs ungewéhnlichen Wirme des Colorils, besonders in der Hauptfigur, eine Ausfiihrung verkniipft, die, wenn auch dadurch von der des Tizian verschieden, ihr dennoch dem Werthe nach gleichkommt. Die beiden andern Figuren sind indess ungleich schwacher durchgeftihrt und der am schwachsten behandelte Kopf kann zugleich zum Fingerzeig dienen, dass das ihm zuge- schriebene Bild derselben Galerie, vorstellend eine von cinem Faun verfolgle Nymphe, das eins von der Art seiner Bilder ist, die mehr involviren als ausdriicken, und dadurch leicht der Verkennung Preis gegeben sind, richtig bestimmt worden. — Durch die geistvolle Ergriindung der realen Erscheinung waren vor Allen Giorgione und Tizian geeignet, die Werke der Antike richtig zu wirdigen. Die in derselben dargethane Con- sequenz der Naturgesetze, welche zum Ausdrucke des geistigen Lebens fihren, galt ihnen mehr, als der conventionelie Typus griechischer Gestalten, in welchen sie nur ein nationales Ele- ment einer Auffassung des Aeusserlichen erblickten, Auf diese Weise verblieben diese Meister selbst beim Traktiren griechi- scher Vorwitrfe in der direkten Bezichung zur Natur und es gewinnt mehr das Ansehen, als wenn sich ihre Grundprinzipien mit denen der Antike begegneten, wahrend sie anderwirts oft als etwas aus der Plastik Angenommenes erscheinen, dessen Bestandtheile nur héchst sellen malerisch bewiiltigi sind. Durch die reinste philosophische Anschauung erkannten auch sie, gleich den Meistern des klassischen Alterthums, wie die positive Seite der bildenden Kunst nur in der Darstellung einer ruhigen be- deulsamen Zustindlichkeit der Erscheinung zu suchen sei. Werke, in welehen von Giorgione die griechische Myihe traklirt worden, scheinen hdchst selten 2u sein, da er sich, ausser der Behandlung christlich-religidser Gegenstinde, dem oben angedeuteten Sinne gemass, mehr den Erschcinungen eines wirklichen Lebens zuwendet. Yon um so grésserem Inicresse erscheint mir daher ein Bild, in dessen Besitz ich leider stiick- weis gekommen bin, das aber trol der tibrigen vandalistischen Beschidigung noch immer einen deutlichen Begriff von der Trefflichkeit dieses Meisters gewihrt. Das Bild stellt das Ur- theil des Paris vor. Der Kiinstier, der so oft bewiesen, wie tief er in die Natur des Schénen gedrungen, erscheint hier in seinem venezianischen Kostiim, woran der Unverstand, der das Wesentliche nicht van dem Unwesentlichen zu unterscheiden vermag, so leicht Anstoss nimmt, wie ihn die Galerie Mau- frie zu Venedig giebt, als urtheilender Paris. Bei den be- gegeben, die um so Vieles tiefer als die Naturerscheinung an sich angeschlagen ist, dass dadurch der strenge Parallelismus zwischen Bild und Natur moéglich wurde, den beide Meister bis in die speciellsten Eigenthiimlichkeiten der Realitat so geistvoll zu verfolgen wussten. Dass die strengen bellinischen Schulprincipien nicht ver- mochten, den so enischieden vorwarts dringenden Geist Gior- gione’s auf langere Zeit festzuhalten, geht deutlich aus diesem Werke hervor, welches, trotz der engen dussern Schranken, eine der gréssten Selbstandigkeiten erkennen lasst, Фе sich auf diese Weise nach Innen eine Bahn bricht, die erst spater und in anderer Art von Tizian betreten wurde. So lange die festen Grundsitze und Eigenthiimlichkeiten des trefflichen Bellini noch bei ihm im frischen Andenken sei- nen Geist gesammelt halten, leistet er im hohen Grade УоПеп- detes. Spater fasst er seine erworbenen ticfen Kenntnisse, die ein Tizian nicht verschmaht, in einem grossartigen Styl zusam- men, wie man in einem Altarblatte der Kirche Sta. Chrysostomo zu Venedig sehen kann, das er mit seinem Schiller Sebastiano del Piombo vollendet haben soll, und ganz zuletzt kommen dann die verschiedenartigsten Werke zum Vorschein. Hier, wo er sich in losgelassener artislischer Willktr mehr seinem Gefithle tberlasst, vermag die Einsicht in die tiefern Bedin- gungen der Erseheinung ihn nicht vor Irrthiimern zu schiitzen, welche dem Forscher zum Fingerzeig dienen kénnen, dass er von Hause aus eines slreng geregelten Unterrichtes, wie ihn Tizian in Bellini’s Schule genoss, entbehrte. Diesem Umstande verdankt man indess schr bedeulende Ergebnisse seiner selbstandigen Forschung. Auf Umwegen hatte er bercits Erfahrungen gemacht, welche Bellini’s grader Weg zum Kunsiziele nicht bot, und als er es spater vermochle, ihre Natur zu ergriinden, sie zu erweitern und erspriesslich in An- wendung zu bringen, da war, im Verein mit Tizian, eine Staffel der Kunst erreicht, die in malerischer Hinsicht als die héchste bezeichnet werden muss. Wihrend Tizian die Natur der Erscheinung auf das Spe- cieliste ihrem Wesen nach zu ergriinden und darzustellen suchte, gelangle er auch zu jenem natirlichen Grade der Schweigsam- keit ursachlicher Bedingungen, deren unverhalinissmassige Ver- laulbarung dem innern Organismus der Wahrheit so gefahrlich ist und die Lebensfahigkeit der Erscheinung so leicht beein- trachtigt. Die fortwahrende Absicht, diese durch die Ermitte- lung innerer Ursachen noch mehr zu steigern, beurkundet sich in einem stets wachsamen und empfindungsvollen Interesse, das seinen Werken, bei aller Grossheit des beobachteten Styles, eine hohe Vollendung verleiht. Giorgione, der dem Tizian in dieser Hinsicht wenig nachgiebt, trieb diese Massigung des Ur- sachlichen oft bis zur Verheimlichung, woraus seine Werke mit- unter ein leercs Anschen gewinnen. Genauer betrachtel aber ist die Kraft des Ursichlichen in ihnen nicht verloren, sondern stylvoll in cinem Surrogat zusammengefasst, durch welches er die in dieser Art vollfiihrten Werke mehr ihrer Wirkung nach natirlich zu beleben weiss. Dieses a&ussert sich in einem oft goldig glithenden Colorit, das ciner Blithe gleicht, welche Kunde giebt von der Fruchtbarkeit ihres Bodens. Dic Werke dieser Periode sind die zahlreichsten, wahrscheinlich, weil der Welt, die seine Werke so haufig verkennt, die ausserliche Ma- nier bezeichnender ist, als die Art und Weise der Auffassung des innern Lebensfonds der Erscheinung selbst. Ihr gehért das Bild des Seesturmes in der Akademie zu Venedig und ein Por- trait ebendaselbst. Das Bildniss cines Malteserritters in der Uf- fizie zu Florenz бий, obgleich in soleher Weise gemalt, eine im hohen Grade bewunderungswiirdige Lebensfille aus. Das dem Tizian zugeschriebene Bildniss des Admiral Mauro,