135 eine manchmal bis an’s Eigensinnige grenzende Verschiedenheit bemerkbar, und wenn manche seiner Sujets deshalb als solche rathselhaft geblieben sind, so steht dies mit einem haufig von ihm grundsatzlich beobachteten Indifferentismus des Aktionellen im Zusammenhang, der, obgleich schon bei den gréssten Mei- stern des griechischen Alterthums bemerkbar, so haufig der Verkennung preisgegeben, da seine Bedeutung zur Zeit noch einer wissenschaftlichen Behandlung der bildenden Kunst vor- behalten ist. Die Galerie im Belvedere zu Wien enthilt einige treff- liche Werke von ihm; so besonders unter No. 10: Ein junger Mann, mit Weinlaub bekrénzt, wird von einem geharnischten Krieger, der hinter dem Riicken einen Dolch verbirgt, von hinten angefallen. No. 36: Ein geharnischter Krieger, dessen Profilkopf in der Behandlung sehr viel Aehnliches mit dem der Berliner Galerie hat. Das Bild No. 6, die Feldmesser aus dem Morgenlande genannt, ist leider fir sein Format zu hoch be- findlich, lasst aber auch so schon allerdings eine fremde Hand erkennen, welche der Angabe nach die des Sebastian del Piombo sein soll. Die wbrigen dem Giorgione hier zugeschrie- benen Werke sind sehr zu bezweifeln und das unter No. 51, Maria Magdalena bittet den Heiland an der Tafel des Simon, ihm die Fusse salben zu dirfen, gehért offenbar der Schule Bassano’s an, als diese noch nicht in die ihr spater so eigene Lockerheit ausgeartet war. Sehr zu beklagen ist es indess, dass die Hand eines un- wissenden Restaurateurs die beiden erstgenannten Bilder so schonungslos angegriffen, eir Schicksal, das in einem zum Theil gesteigerten Grade leider hauptsichlich die Werke der vene- zianischen Schule in dieser Galerie betroffen hat. Bei dem Bilde der Rebekka am Brunnen, in der Galerie zu-Dresden No. 187, ist eine genauere Untersuchung gleichfalls der Placirung wegen nicht méglich. Es gehért der Klasse von Bildern an, deren feines Lebensmaass Giorgione in einer Be- handlung zu gewinnen weiss, die, wenn ihr nicht eine gross- meisterliche Gefihlsforderung zum Grunde liegt, so leicht in’s Nichtssagende ausartet, was besonders von den schwarzlichen Schattenpartieen gilt. Aehnlich behandelte Werke besitzt die Leuchtenberg’- sche Galerie zu Miinchen, woselbst sich auch in der Pina- kothek ein Portrait befindet, dass der Angabe nach des Kinst- lers eigenes sein soll. (No. 586.) Der Wahrscheinlichkeit, ob dasselbe als ein Werk Giorgione’s gelten kénne, lasst sich nichts Erhebliches entgegenstellen, zumal die Behandlung der Hand, welche bei der Art ihrer Beschddigung eine genauere Prifung zulisst, mehr dafiir, als dagegen spricht. Das Bild der soge- nannten Eitelkeit, No. 474 ebendaselbst, ist als eins seiner schénsten zu bezeichnen. In demselben wiederholt sich in Be- handlung der Hinde eine Eigenthimlichkeit, die man weder bei Tizian, noch bei Palma, auf die man beim Anblick dieses Werkes verfallt, vorfindet, wodurch man vornehmlich hewogen wird, die Schwankung des Urtheils, ob es von einem oder dem andern der letztgenannten Meister, aufzugeben, da zugleich die Art und Weise der Sattigung der Farbe und ihres Traktaments in vielen Stiicken mehr fir Giorgione spricht. Bei aller Rein- heit des Styles liebt es Giorgione, die individuelle Bildung die- ser Gliedmaassen, manchmal bis auf gewisse Abnormitaten, fest~- zuhalten. Zugleich weiss er mit einem @Бегаиз feinen Sinn in Stellung der Finger die psychische Regung mit Adel auszu- driicken, ohne hierin den conventionellen Gesetzen zu verfal- len, indem er, wie immer, das Zweckmissige mit grosser Nai- уе! dem Angenehmen vorzicht, was besonders von den Fin- gergliedern gilt, die er nach der Situation des Vorzustellenden oft bis zum ganzlichen Verschwinden. verkirzt. Die im Schalten regten Irrthimern in. Hinsicht der Formen, die hier in einem Werke seiner letzten Periode zum Vorschein kommen, enthalten diese Figuren, sowohl in Beziehung der Motive, als auch der Zusammenstellung, so viel Treffliches, dass man diese Irrthii- mer gern tibersieht. Jener beschwichtigende Zauber der Keusch- heit, mit dem die Alten dergleichen Vorwirfe behandelten, ist auch hier tiber die drei edlen Gestalten in einer Weise ausge- gossen, dass dies allein schon als ein sicheres Kriterium fiir die Reinheit des Kunstbegriffs gelten kann, mit welchem hier eine selbstandige Schépfung durch Giorgione ins Leben getre- ten. Sehr bemerkenswerth ist es, dass in diesem Bilde die Vorziige des venezianischen Colorits zugleich mit einem Hell- dunkel verknipft sind, welches einem Correggio um so weniger nachgiebt, als der Zweck desselben mit in der instrukliven Ver- anschaulichung einer lebendigen Farbenmodification beruht: Die Darstellung des David mit dem Haupte des Goliath, in der Galerie Borghese zu Rom, ist in einem eben so grossen, als posiliven Sinn componirt. David erscheint hier bereits als ein vollendeter Kriegsheld gewappnet und das Attribut erinnert an das geschichiliche Faktum, das ihm nur ein dusserlicher An- lass ist, die vorzufiihrenden Consequenzen einzuleiten; denn die geschichtlichen Specialitéten selbst erscheinen dem Meister we- nig geeignet, den malerischen Werth eines Kunstwerkes zu er- hébhen. Mit.dem Streben nach hoher Lebensfahigkeit ergiebt sich in der Gestalt des David die gdltliche Beseelung, die in der Kunst jene Ruhe erheischt, wie man sie in den besten Werken des griechischen Alterthums beobachtet findet. Das Haupt des Goliath und cin dem David beigesellter staunender Jiingling sind fiir das Gegenstindliche bezeichnend genug. In diesem Sinne ist auch eine Judith, im Privatbesitz au Erfurt, behandelt, welche das genaue Geprige einer der drei Frauengestalien des Altarblaltes in der Kirche St. Chryso- stomo zu Venedig enthalt. Manchen Aufsehluss erhalt man iiber die Eigenthiimlichkeit dieses Meisters durch mehrere alte Copieen, die sich in Venedig zur Zeit noch vorfinden. und de- ren Originale verschleppt zu sein scheinen. Die Galerie Man- frie daselbst enthalt einige schatzenswerthe Bilder dieser Art, von welchen eins, zwei musicirende Frauen vorstellend, ein entschiedeneres Geprage der Originalitat tragt. Eine Auferste- hung Christi, in der Kirche St. Giovani bei Venedig, lasst eine genauere Untersuchung ihrer hohen Placirung wegen nicht zu, ist aber dem Anschein nach echt. Eine Anbetung der Hirten, welche bei Versteigerung der Galerie Fesch in Rom in englischen Besitz tibergegangen, ist eben so naiv als originell mit einer religidsen Innigkeit durch- gefiihrt, die ein um so grésseres Interesse gewahrt, als Gior- gione anderwarts als ein freisinniger Naturphilosoph erscheint, Wenn das Rituelle, genauer betrachtet, nichts Anderes ist, als die schwerer erkennbare philosophische Religionswahrheit in populdrer Glaubensform, so darf dies nicht befremden, und es kann dieses Bild zum Beweise dienen, in welchem Grade die- ser treffliche Meister objektiv zu sein wusste. Eine Folge wah- rer Erkenntniss, der es immer leicht wird, sich eine andere Ausdrucksweise dienstbar zu machen. Dieses Werk, sowie das der musicirenden Geistlichen im Palast Pitti, kénmen als die eben so reinen wie ergiebigen Quellen betrachtet werden, aus denen ein Aufschluss in frag- jichen Fallen iber Giorgione’s artistische Leistungen zu schépfen ist, die sich gemeiniglich durch eine eigentiimliche intensive und nachhallige Wirksamkeit auszeichnen. Bei Giorgione besonders wird es anschaulich, wie bei Trak- _tirung irgend eines Vorwurfs, diescr selbst in der bildenden Kunst weniger zu meinen sci, als seine Schénheit. Um dess- willen macht sich in Hinsicht der Wahl des Gegenstandlichen