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	eine manchmal bis an’s Eigensinnige grenzende Verschiedenheit
bemerkbar, und wenn manche seiner Sujets deshalb als solche
rathselhaft geblieben sind, so steht dies mit einem haufig von
ihm grundsatzlich beobachteten Indifferentismus des Aktionellen
im Zusammenhang, der, obgleich schon bei den gréssten Mei-
stern des griechischen Alterthums bemerkbar, so haufig der
Verkennung preisgegeben, da seine Bedeutung zur Zeit noch
einer wissenschaftlichen Behandlung der bildenden Kunst vor-
behalten ist.

Die Galerie im Belvedere zu Wien enthilt einige treff-
liche Werke von ihm; so besonders unter No. 10: Ein junger
Mann, mit Weinlaub bekrénzt, wird von einem geharnischten
Krieger, der hinter dem Riicken einen Dolch verbirgt, von
hinten angefallen. No. 36: Ein geharnischter Krieger, dessen
Profilkopf in der Behandlung sehr viel Aehnliches mit dem der
Berliner Galerie hat. Das Bild No. 6, die Feldmesser aus dem
Morgenlande genannt, ist leider fir sein Format zu hoch be-
findlich, lasst aber auch so schon allerdings eine fremde Hand
erkennen, welche der Angabe nach die des Sebastian del
Piombo sein soll. Die wbrigen dem Giorgione hier zugeschrie-
benen Werke sind sehr zu bezweifeln und das unter No. 51,
Maria Magdalena bittet den Heiland an der Tafel des Simon,
ihm die Fusse salben zu dirfen, gehért offenbar der Schule
Bassano’s an, als diese noch nicht in die ihr spater so eigene
Lockerheit ausgeartet war.

Sehr zu beklagen ist es indess, dass die Hand eines un-
wissenden Restaurateurs die beiden erstgenannten Bilder so
schonungslos angegriffen, eir Schicksal, das in einem zum Theil
gesteigerten Grade leider hauptsichlich die Werke der vene-
zianischen Schule in dieser Galerie betroffen hat.

Bei dem Bilde der Rebekka am Brunnen, in der Galerie
zu-Dresden No. 187, ist eine genauere Untersuchung gleichfalls
der Placirung wegen nicht méglich. Es gehért der Klasse von
Bildern an, deren feines Lebensmaass Giorgione in einer Be-
handlung zu gewinnen weiss, die, wenn ihr nicht eine gross-
meisterliche Gefihlsforderung zum Grunde liegt, so leicht in’s
Nichtssagende ausartet, was besonders von den schwarzlichen
Schattenpartieen gilt.

Aehnlich behandelte Werke besitzt die Leuchtenberg’-
sche Galerie zu Miinchen, woselbst sich auch in der Pina-
kothek ein Portrait befindet, dass der Angabe nach des Kinst-
lers eigenes sein soll. (No. 586.) Der Wahrscheinlichkeit, ob
dasselbe als ein Werk Giorgione’s gelten kénne, lasst sich nichts
Erhebliches entgegenstellen, zumal die Behandlung der Hand,
welche bei der Art ihrer Beschddigung eine genauere Prifung
zulisst, mehr dafiir, als dagegen spricht. Das Bild der soge-
nannten Eitelkeit, No. 474 ebendaselbst, ist als eins seiner
schénsten zu bezeichnen. In demselben wiederholt sich in Be-
handlung der Hinde eine Eigenthimlichkeit, die man weder bei
Tizian, noch bei Palma, auf die man beim Anblick dieses
Werkes verfallt, vorfindet, wodurch man vornehmlich hewogen
wird, die Schwankung des Urtheils, ob es von einem oder dem
andern der letztgenannten Meister, aufzugeben, da zugleich die
Art und Weise der Sattigung der Farbe und ihres Traktaments
in vielen Stiicken mehr fir Giorgione spricht. Bei aller Rein-
heit des Styles liebt es Giorgione, die individuelle Bildung die-
ser Gliedmaassen, manchmal bis auf gewisse Abnormitaten, fest~-
zuhalten. Zugleich weiss er mit einem @Бегаиз feinen Sinn in
Stellung der Finger die psychische Regung mit Adel auszu-
driicken, ohne hierin den conventionellen Gesetzen zu verfal-
len, indem er, wie immer, das Zweckmissige mit grosser Nai-
уе! dem Angenehmen vorzicht, was besonders von den Fin-
gergliedern gilt, die er nach der Situation des Vorzustellenden
oft bis zum ganzlichen Verschwinden. verkirzt. Die im Schalten
	regten Irrthimern in. Hinsicht der Formen, die hier in einem
Werke seiner letzten Periode zum Vorschein kommen, enthalten
diese Figuren, sowohl in Beziehung der Motive, als auch der
Zusammenstellung, so viel Treffliches, dass man diese Irrthii-
mer gern tibersieht. Jener beschwichtigende Zauber der Keusch-
heit, mit dem die Alten dergleichen Vorwirfe behandelten, ist
auch hier tiber die drei edlen Gestalten in einer Weise ausge-
gossen, dass dies allein schon als ein sicheres Kriterium fiir
die Reinheit des Kunstbegriffs gelten kann, mit welchem hier
eine selbstandige Schépfung durch Giorgione ins Leben getre-
ten. Sehr bemerkenswerth ist es, dass in diesem Bilde die
Vorziige des venezianischen Colorits zugleich mit einem Hell-
dunkel verknipft sind, welches einem Correggio um so weniger
nachgiebt, als der Zweck desselben mit in der instrukliven Ver-
anschaulichung einer lebendigen Farbenmodification beruht:

Die Darstellung des David mit dem Haupte des Goliath, in
der Galerie Borghese zu Rom, ist in einem eben so grossen,
als posiliven Sinn componirt. David erscheint hier bereits als
ein vollendeter Kriegsheld gewappnet und das Attribut erinnert
an das geschichiliche Faktum, das ihm nur ein dusserlicher An-
lass ist, die vorzufiihrenden Consequenzen einzuleiten; denn die
geschichtlichen Specialitéten selbst erscheinen dem Meister we-
nig geeignet, den malerischen Werth eines Kunstwerkes zu er-
hébhen. Mit.dem Streben nach hoher Lebensfahigkeit ergiebt
sich in der Gestalt des David die gdltliche Beseelung, die in
der Kunst jene Ruhe erheischt, wie man sie in den besten
Werken des griechischen Alterthums beobachtet findet. Das
Haupt des Goliath und cin dem David beigesellter staunender
Jiingling sind fiir das Gegenstindliche bezeichnend genug.

In diesem Sinne ist auch eine Judith, im Privatbesitz au
Erfurt, behandelt, welche das genaue Geprige einer der drei
Frauengestalien des Altarblaltes in der Kirche St. Chryso-
stomo zu Venedig enthalt. Manchen Aufsehluss erhalt man

iiber die Eigenthiimlichkeit dieses Meisters durch mehrere alte
Copieen, die sich in Venedig zur Zeit noch vorfinden. und de-
ren Originale verschleppt zu sein scheinen. Die Galerie Man-
frie daselbst enthalt einige schatzenswerthe Bilder dieser Art,
von welchen eins, zwei musicirende Frauen vorstellend, ein
entschiedeneres Geprage der Originalitat tragt. Eine Auferste-
hung Christi, in der Kirche St. Giovani bei Venedig, lasst
eine genauere Untersuchung ihrer hohen Placirung wegen nicht
zu, ist aber dem Anschein nach echt.

Eine Anbetung der Hirten, welche bei Versteigerung der
Galerie Fesch in Rom in englischen Besitz tibergegangen, ist
eben so naiv als originell mit einer religidsen Innigkeit durch-
gefiihrt, die ein um so grésseres Interesse gewahrt, als Gior-
gione anderwarts als ein freisinniger Naturphilosoph erscheint,
Wenn das Rituelle, genauer betrachtet, nichts Anderes ist, als
die schwerer erkennbare philosophische Religionswahrheit in
populdrer Glaubensform, so darf dies nicht befremden, und es
kann dieses Bild zum Beweise dienen, in welchem Grade die-
ser treffliche Meister objektiv zu sein wusste. Eine Folge wah-
rer Erkenntniss, der es immer leicht wird, sich eine andere
Ausdrucksweise dienstbar zu machen.

Dieses Werk, sowie das der musicirenden Geistlichen im
Palast Pitti, kénmen als die eben so reinen wie ergiebigen
Quellen betrachtet werden, aus denen ein Aufschluss in frag-
jichen Fallen iber Giorgione’s artistische Leistungen zu schépfen
ist, die sich gemeiniglich durch eine eigentiimliche intensive
und nachhallige Wirksamkeit auszeichnen.

Bei Giorgione besonders wird es anschaulich, wie bei Trak-
_tirung irgend eines Vorwurfs, diescr selbst in der bildenden
Kunst weniger zu meinen sci, als seine Schénheit. Um dess-
willen macht sich in Hinsicht der Wahl des Gegenstandlichen