kunst, dass man tiber den Mitten den Zweck aus dem Auge
verloren habe. So ziirnt er in einem seiner Sonette ther die
Siegespforte in Minchen:

»Ja, wenn die firstlichsten Gelegenheiten

Des Vaterlandes Kunst emporzurichten

So ungenutzt an euch voriibergleiten:
Kommt Barbarossa lang noch nicht gezogen
	Aus des Kyffhausers diistren Felsenschichten:
Denn solcher Mann zielit nicht durch rém’sche Bogen. “
	Ueber die Feldherrnhalle, zu der er eine im Holzschnitt bei-
gegebene Skizze von eben so grossarliger als poetischer Con-
ception entworfen hat, klagt er:

» Hier wurde Miinchen um sein Herz betrogen. “
	Eine von Miinchen aus nach Regensburg, Ulm und Nurn-
berg unternommene Reise und das Studium dieser Schatzkam-
mern deutscher Kunst war fir den vorzugsweise romantisch
gestimmten Geis Miller’s von entscheidender Wirkung. Als
hichstes Ziel seines Strebens schwebte ihm dic Begrindung
eines neuen nationalen Baustyles vor; hier glaubte er einen
Anknipfungspunkt gefunden zu haben, der ihm naher zu liegen
sehien, als das Zuriickgreifen zu den Bauordnungen der antiken
Welt. Um diese Zeit trat er zum ersten Mal Offentlich bei einer
von der Stadt Méhlhausen im Elsass ausgeschriebenen Concur-
renz fiir den Bau einer protest. Kirche auf. Wenn sein Plan
auch nicht zur Ausfihrung kam, so wurde ihm doch die Ge-
nugthuung, dass das franzésische Ministerium ihm fiir die Er-
laubniss, eine Kopie des Entwurfes zu nehmen, 300 Frs. anbot.
Bald darauf war er so gliicklich, mit einem reichen Baseler Pa-
trizier Hrn. Rud. Merian eine Reise nach Italien antrelen zu
kénnen. Hier erhielt die Richtung, welche er nun bereits ein-
geschlagen halle, neue Nahrung; weit entfernt, elwa den an-
tiken Stylen sich mehr zuzuneigen, fand er im Gegentheil z. B.
an dem kleinen in griechischer Architektur erbauten Theater
von Carrara Gelegenheit zu bemerken, ,wie so ganz unzer-
trennlich Marmor und griechische Formen* seien. ,,Woher
nihme* — fiigt er hinzu — , deutscher Mauerbewurf, Gyps
und Sandstein den Reichthum der Reflexe von einem Glied aufs
andere! die Durchsichtigkeit der Perlenschntire und Canelirungen,
den Glanz der glatten Quadern! Und wir quilen mit unsern
Nachahmungen den Genius der griechischen Kunst im Grabe,
wahrend der deutsche seine Stimme vergeblich in die Wolken
schickt. “

So viel, um Miller’s Stellung zur Architektur zu bezeichnen.
Vor allem strebte er nun nach dem Ziel cines christlichen Kir-
chen-Baumeisters, und da sagte denn der italienisch - gothische
Styl seiner Sinnesrichtung am meisten zu; diese Mischgattung,
die das Spitzbogensystem zwar aufnimmt, ohne es jedoch bis
zu jener fast abstrakten Consequenz zu verfolgen, wie dies an
den Hauptwerken der deutschen Gothik geschehen; die vielmehr
durch Verbindung von horizontalen und rundbogigen Formen
mit denen des Spitzbogens und des steilen Giebels einen eigen-
	  thiimlich reichen poetischen Reiz hervorbringt. Hier war es
	auch, wo der Gedanke an die Ausitihrung аег Касаае ае$
Florentiner Domes zuerst sich seiner Seele bemichtigte;
er liess sich. in Florenz nieder, um diesem mit Enthusiasmus
ergriffenen Plane sich ganz hingeben zu konnen. ,Diese Arbeit,
sagt scin Biograph, mitissen wir als dic bedeutendste, als den
Hohepunkt seines leider so sehr kurzen Lebens betrachten. Ihr
widmete er seine Liebe, seine Begeistrung, seine kiimstlerischen,
wie scine kérperlichen Krafte, ja sein Leben; dem in der un-
ausgeseizten und wachsenden Anstrengung und in der unter
derselben gesteigerten Glut der Phantasie erfuhren seine Nerven
den ersten Schlag, und die nebenher schleichende Sorge, sein
Alles an eine vergebliche Mithe gesetzt zu haben, legate sich
	wunderung ihm dabei den Pinsel tihren, eine kleine skizzirte
Kopie zu geben.

Aus dem vor uns liegenden Buche, welches ausser der Le-
bensbesehreibung des frith Dahingeschiedenen eine Auswahl
seiner dichterischen Ergiisse bringt, tritt uns derselbe als eine
jener ernsten, sinnigen acht deutschen Naturen entgegen, die
in begeisterter Hingebung an ein ideales Streben die Aufgabe
ihres Daseins setzen. Geboren am 15. Sept. 1822 zu Mosnang
im Kanton St. Gallen, aufgewachsen in einer Familie von ge-
diegener biirgerlicher Tiichtigkeit, entwickelle er schon frith
crosse Lernbegierde und gute Geistesanlagen. Besonders aber
	lockte die Poesie ihn frtihzeitig in ihr Zauberreich, und 1m
	Welteifer mit seinen alteren Briidern gab er mit Leidenschatt
	seinem dichterischen Hange nach, so dass er gegen den Vater,  
	der ihn zuerst die Farberei erlernen lassen wollte, mit einem
entschiedenen , Nein!“ und ,er wolle Dichter werden*
heraustrat. Die Herrlichkeit der ihn umgebenden Schweizer-
naltur gab diesem Feuer eben so edle als reiche und michtige
Nahrung, und von da her stammt in Miller’s menschlich sché-
nem Wesen jener tiefe Zug zur Natur und zu seinem beson-
dern Vaterlande, jene kindliche Frémmigkeit und Milde, die ihn
sein ganzes Leben hindurch nicht verlassen hat, jene асШе
glutvolle Begeisterung, die ihm jeden Gedanken der Seele und
jede Erscheinung der Aussenwelt zur poetischen Form verklarte.
Als sein Vater ihn nun fiir das Studium der Architektur be-
stimmte, brach er erfreut in die Worte aus: ,Das ist ja auch
Dichtkunst“, eine Aeusserung, die fiir all sein spéteres Wir-
ken maassgebend geblieben ist. Nachdem er eine Zeitlang beim
Staatsarchitekten F. W. Kubli in St. Gallen gearbeitet hatte,
ging er nach Mimchen, wo Ziebland ihm seine Belehrung
angedeihen liess. Von Ziebland’s Art, auf seine Schiiler ein-
zuwirken, heisst es 8. 31: Er schreibt ihnen nicht diesen oder
jenen Styl vor, ja er empfiehlt nicht einmal cinen; er weist
sie fiir ihre Plane vor Allem auf Bediirfnisse und Bedingungen
des aufgegebenen Baues hin und lasst die Formen aus diesen,
aus Denkweise, Sitte und Gebrauch des Volkes, dem man als
Kistler dient, und aus der Geschmacksrichtung des Schiilers
sich bilden. Das letztere ist ganz besonders sein Augenmerk,
und Forderung eigenthimlicher Sinnesweise bei seinen Schii-
lern der Grundzug seiner Methode, woher es denn kommt,
dass man in den Werken von ihnen eine Schule im gewéhn-
lichen Sinne nicht wahrnimmt. Miiler’s reiche Eigenthtiimlich-
Keit hatte er bald erkannt, und es ist unbedenklich mit das
Verdienst seiner das Talent in keiner Art beschrankenden oder
bevormundenden Methode, dass sie sich so rasch und mit so
klarem Bewusstsein entfaltete. “

Diese Higenthtimlichkeit Miller’s arbeitet sich in der That
schnell heraus, und schon frihe Aeusserungen von ihm bekun~
den, mit welch klarem Geiste, kiinstlerischem Takte und siche-
rem Urtheil er die verschiedenen Architekturformen aufzufassen
wussite. Der in Miinchen mit besonderer Vorliebe gepflegte
schwerfallige Styl der friihromanischen Zeit sagt ihm nicht 2u;
» Wir sind nicht,“ sagt er, ,die Menschen einfaltigen Herzens
wie jene des 6. oder 10. Jahrhunderts. Vielmehr glaube ich,
dass fiir uns im Allgemeinen die gricchische Archilektur mit
ihrer zarten Eleganz, ihrer Klarheit und Ruhe, ihrer slillen
Grossartigkeit passender wire, wenn sie unbefangen und frei
den veriénderten Lebensverhiltnissen angepasst wirde.* Aber
auch den antiken Stylen vermochte er nicht unbedingt sich hin-
zugeben, so sehr er auch die Vertheile anerkannte, welche
durch das Studium und die Erneuerung derselben der Archi-
tektur zugeflossen sind. Vor Allem beklagt er schmeralich,
dass in Minchen die grossarlig gebotene Gelegenheit nicht be-
nutzt worden sci zur Begriindung ciner neuen nationalen Bau-