DMewifches
	Zeitung
	fiir bildende Kunst und Bankunst.
	ВАЛО ИС о.
	Organ
der deutschen Kunstvereine.
	Unter Mitwirkung yon
	uglier in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Diisseldorf — Schnaase
in Berlin — Schulz in Dresden — Frster in Minchen — Bitelberger v. Edelberg in Wien
	redigirt von Dr. F.. Eggers in Berlin.
	Ae 19, Sonnabend, den 10. Mai. . 1851.
	Fin neuer Baustyl. —
	  wirkt, so sehen wir auch die grosse Conception der Geschichte,
die Erscheinung eines neuen Baustyls, hervorgerufen durch
	Inren Inhait. Der Inhalt des griechischen Baustyls ist die
Religion, seine Form entwickelt sich am Tempelbau. Der
Inhalt des rémischen Baustyls ist die weltliche Macht, seine
Formen findet er nicht allein im Tempelbau, sondern zugleich
in den Foren mit ihren Basiliken und Curien, in den Triumph-
bogen und Mausoleen, in den Kaiserpalasten, Circus, Theatern,
Amphitheatern, Thermen etc. Der Inhalt des gothischen Bau~
styls, za welchem der altchristliche mit Byzantinismus und Ro-
manismus nur Anfange und Uebergiinge sind, ist wieder die
Religion und seine Formen giebt ihm der Kirchenbau. Es
ist hier nicht an der Zeit, diese Satze weiter auszufihren; ich
habe damit zunachst nur auf die Einfachheit der Grundlage, auf
die Weite des umschliessenden Kreises hindeuten wollen. Fragen
wir nun, was der Inhalt eines neuen Baustyls sein kénnte, so
ist das offenbar zugleich eine Frage nach dem die Gegenwart
beherrschenden Genius. Da werden die Einen auf Handel und
Industrie, Andere auf Eisenbahnen, wieder Andere auf Volks-
bildung, noch Andere auf die Kirche, und sehr Viele auf den
Geist der Unabhangigkeit und Gottlosigkeit hinweisen. Aber
die Geschichte steht nicht im Wellenschlag der Gegenwart, sie
rechnet nicht nach Menschenaltern, sondern nach Zeitaltern;
das unsrige beginnt, wo das Mittelalter aufhért. Der Genius
des Miltelalters ist die Religion; sein Walten ist ewig; aber
seine Alleinherrschaft hat aufgehért, seit in und mit der Re-
formation das Mittelalter abgeschlossen war. Nur im Werden
und Ringen offenbart sich der Genius der Zeit, nur in der Ar~-
beit, nicht in der Ruhe; und so ist nicht die Religion die
Aufgabe der Neuzeit, sondern der Staat. Wir arbeiten an
der Griindung und Befesligung eines Zustandes der mensch-
lichen Gesellschaft, in welchem alle ihre Interessen, die dies-
seiligen so gut wie die jenseitigen, die geistigen und die ma-
teriellen, der Bildung und des Wohlstandes, der Religion, der
Wissenschaft und der Kunst nach den Principien von Weisheit,
Recht und Freiheit gleichmassig geschitat und gefordert werden.
Es ist sehr beachtenswerth und erfreulich, dass der anonyme
Verfasser des Begleitschreibens der akademischen Einladung
yon demselben Gedanken ausgeht und ihn mit Entsohiedenheit
und Nachdruck hervorhebt, indem er sagt: :

»Als rein geistiges Moment, das auf die Architektur Ein-
filuss hat, steht obenan der Geist der Zeit, in welcher die Bau
	werke entstehen. Als die Grundideen unsrer Epoche kann
19
	Die kénigliche Akademie der bildenden Ktinste zu Miinchen
hat ,,mit Ermichtigung Sr. Majestit des Konigs Maximilian von
Bayern* eine Binladung an Architekten ergehen lassen zu einem
Concurs fiir den Bauplan zu einer ,hdhern Bildungs- und Un-
terrichts - Anstalt* und der Einladung ein anonymes (allem An-
schein nach urspriinglicheres ) lithographirtes Begleitschreiben
beigefiigt, in welchem die von ihr nur angedeuteie Absicht,
auf diesem Wege ,eine neue Bauart zu finden* bestimmt
ausgesprochen ist. Das Deutsche Kunstblatt hat sich bereits in
No. 14 tiber die gedachte Einladungsschrift ausgesprochen. Die~-
selbe beriihrt aber so viele allgemeine Interessen der Gegen-
wart, greift so tief in Hoffnungen, Bestrebungen und Leistungen,
ja in den Charakter der Zeitgenossen ein, dass eine Erwaégung
und Erérterung derselben, wo mdglich von verschiedenen Seiten,
namentlich an dieser Stelle, gerechtfertigt, wo nicht winschens-
werth erscheinen sollle.

Das Ziel, um dessen Erreichung es sich handelt, ist die
Erfindung eines neuen Baustyls; das vorgeschlagene
Mittel dazu: der Bau einer héhern Bildungs- und Un-
terrichts-Anstalt. Auf die Vorfrage, ob tiberhaupt etwas
Mégliches angestrebt werde, antwortet freilich die Geschichte:
Baustyle werden nicht gemacht, sondern entslehen. Aber eben
weil sie entstehen, weil sie — sogar mit ihren Modificationen
und Ausartungen — der verkérperte Ausdruck der Bildung, des
Uebel- oder Wohlstandes einer Nation und einer Zeit sind, 50
ist der Glaube durchaus folgerichlig, auch die Gegenwart konne
einen derartigen, ihr eigenthiimlichen Ausdruck finden, selbst
bei kleineren Kraften und Bewegungen als in ihr sind. Ja es
kann auch ein solches Entstehen von oben sichtbar angeregt
und gefordert werden, wie es unverkennbar von ebendaher auf-
gehalten und verhindert werden kann.

Ist nun das Ziel kein Traum und seine Erreichung denkbar,
so gilt es, den sichersten Weg einzuschlagen und mit Vermei-
dung aller Irr- und Abwege cinzuhallen. Auch hier ist die
Geschichte die beste Fihrerin, indem sie uns die Enistehungs-
momente jedes Bauslyls zeigt. Wie bei der Conception des
einzelnen Kunstwerks der Stoff (Gegenstand) die wesentlichste
Grundlage ist, und die Form als die Bedingung sciner Er-
scheinung in sich tragt und aus sich entwickelt, und in der
organischen Einheit von beiden die Macht liegt durch die es
	Il. gahryang.