Gruppen. — Die innere Triebkraft der Entwicklung dehnt sich
nun in’s Breite aus; die Fruchtschale erhebt sich mit einer lej-
	sen, doch kraftigen Schwellung. Um ihren Bauch legt sich ein:
	Band von Darstellungen in Hautrelief, die den weiter fortgesetz-
ten Kampf des Menschen mit den widerstrebenden Gewalten der
Natur ausfithren. Nichls geht tiber die frische Lebendigkcit und
schéne Einfachheit dieser Reliefs, in denen Anmuth und kraft-
geschwellte Kiihnheit wechseln. Aus dem Rande der Schale
lissL nun die emportreibende Kraft einen Kranz von Blittern
aufwarts streben, wahrend sie in der Mitte zusammengefasst
eine Krone von Palmblaitlern in die Héhe schiessen macht. Auf
dem Gipfel derselben erhebt sich mit gewaltig emporspringender
Bewegung ein Engel mit machtigem Fligelpaar, der Genius des
Menschengeschlechtes, mit der einen Faust die dreiképfige Hydra
der Machle des Abgrundes erwiirgend, in der Rechten hoch
die Fackel des Lichts, der Bildung, der Erkenntniss schwin-
gend. Dies ist ausserlich wie innerlich der Gipfelpunkt des
Werkes: erst nach Besiegung der roheren materiellen Elemente
kann der Menschengeist zu seinen héchsten geisligen Triumphen
sich aufschwingen. In dieser Figur, die Prof. Fischer model-
lirt hat, liegt eine Kithnheit und Gewalt, wie sie selten in so
innigem Bunde mit massvoller Schénheit gefunden wird. Zu-
gleich bietet sie, von welcher Seite man das Kunstwerk be-
lrachte, dem Ganzen einen durchaus befriedigenden Abschluss.
— Die Vertiefung in die Delailhetrachtung wiirde uns noch Stoff
zu vielen Bemerkungen geben; wir begniigen uns jedoch mit
dem bereits Gesagten. Nur das mége noch zu erwahnen ge-
	slaltet sein, was wir als einen besondren Vorzug der techni-
schen Behandlung rtihmen miissen, dass nimlich an den mensch-
	lichen Figuren uberall die Haut beim Ciseliren mit eigenthim-
licher Feinheit behandelt ist, so dass sie einen weichen Schmelz
erhalten hat, dem Nichts mit der harten Glatte des Metalls ge-
mein ist. Was aber den Eindruck des ganzen Werkes zu ei-
nem so harmonischen macht, was allen Einzelheiten zu ihrer
bestimmten Gellung. verhilft, was namentlich die schénen Reliefs
der Schale, selbst an ihrem minder giinstig beleuchteten Ort, in
groésster Bestimmlheit .vom Grunde ablést — das ist die alle
falschen Reflexe, ailen triigerischen Metallschimmer verbannende
Aetzung, die dem Werke einen priachtigen duftigweichen Ton
verleiht.

Der Kistler hat neun Monate an diesem Meisterstiicke
seiner Kunst gearbeitet. Es wird wohl nicht zweimal tiber den
Kanal gehen.
	ТУ.
	Berliner Beitrage zur Londoner Industrie -Ausstellung.
(Vgl. No. 6.)
Von WW. Lithbke.
		Kin ausgezeichnetes Werk der Silberschmiedekunst sahen
wir unter den Hinden des Bildhauers und Juweliers Wagener
entstehen, ein Kunstwerk im héchsten Sinne des Wortes, weil
Ausfiihrung und Form sowohl, als der ideelle Gehalt es zu die-
sem Range siempeln. Schwerlich méchte Berlin in dieser Gat~
tung der Kunst schon ein ebenbiirliges haben entstehen sehen.

Es ist ein Tafelaufsatz und zwar eine Fruchtschale von
etwa 33 Fuss Hohe in getriebenem Silber gearbeitet, ein Werk,
bei dem chen sowohl die sinnige, acht kiinstlerische Idee, als
die liebevoll und meisterhaft gehandhabte Technik, eben so
wohl die organische Schénheit und Harmonie mit der die Theile
zi einem Ganzen zusammenwachsen, als die sorgsame vom
feinsten Detailstudium zeugende Ausfihrung auch des Kleinsten
und Unscheinbarsten Volle Anerkennung verdient. Der kiinst-
lerische Gedanke, den das Ganze veranschaulichen soll, ist der
Entwickelungsgang in den Kulturzusténden des Menschenge~
schlechtes. Diese Idee durchdringt so vollstindig das Kunst-
werk, dass auch das kleinste Detail im genauesten Zusammen-
hange mit ihr steht und nur aus dem einen gedanklichen Mit-
telpunkle seine Erklarung findet. Zugleich ist ein solcher
Reichthum an derarligen Beziehungen vorhanden, dass der
	aufmerksame Beschauer sein Forschen durch immer neue Ent-
deckung von feinen sinnigen Ziigen belohnt sieht, So entsteht
hicr ein ahnlich wechselvoller Genuss, wie beim Anhéren eines
trefflichen Musikstiickes, das dem tiefer Eindringenden ausser
dem Tolaleindruck noch eine ganze Welt von verborgneren
Schénheiten offenbart.

Den Fuss hilden drei schlummernde Lowen, den kreisfér-
migen Untersalz tragend, dessen Rand durch cinen Kranz jener
wilden Friichte verziert ist, mit welchen die Allmutter Natur
ihre Menschenkinder ein mihloses urzustandliches Dasein fristen
lisst. Die Schlangen, die sich durch das Gewinde der Friichle
ringeln, deuten vereint mit den Lowen das schlimme und gute
Doppelwesen der in der Natur waltenden Krafte an. Auf der
Fiache des Untersatzes zeigen sich uns in drei plastischen
Gruppen die ersten Beschaftigungen des Menschengeschlechtes:
Hirt, Jager, Fischer. Hier, wie in allen tbrigen Theilen des
Kunstwerkes, waltet das genaueste, eingehendste Studium der
Natur. Hunde, erlegtes Wildpret, Vogel, Fische, alles Das ist
mit der gréssten Sorgfalt hehandelt; wie sehr der Meister sein
obendrein schwer zu behandelndes Material beherrscht, und mit
welchem Erfolg er alle Mittel sciner Technik anzuwenden weiss,
sieht man namentlich an der Art, wie das zotlige Haar des Hun-
des, das weiche Vliess des Schafes, die Schuppen der Fische,
die zarten Federn der Vogel, die feinen Maschen des Fischer-
netzes zur Erscheinung kommen. Ein machtiger Eichenstamm,
dieser unverwiistlichste Patriarch unserer Walder, dient den
drei erwdhnten Gruppen zur Anlehnung und dem ganzen Werke
zum stitzenden und aufstrebenden Mittelstiick. An ihm steigt
zugleich die Entwicklung empor, die wir auf der nachsten Stufe
durch drei weibliche Figuren, mit Blumen, Baumfriichten und
Achren, den Erzeugnissen hoherer Cultur, in Handen, vertreten
finden. Die milderen Gestalten des zarteren Geschlechts reden
von den schon milder gewordenen Sitten; aus dem unstiten
Hirten-, Jager- und Fischervolk ist ein sesshaftes Pflanzerge-
schlecht geworden, das in geregelter Arbeit der Natur ihre
Gaben abringt. Rebengewinde und herabhangende Trauben be-
granzen, ein segengeschwelltes Dach, diese charakteristischen
	Yon Werken der Plastik gehen-wir zu Erzeugnissen der
Galvanoplastik tiber. Die neueste Zeit ist tberreich an
Erfindungen auf dem Gebiete der vervielfailtigenden Kinste ;
Kingst nicht mehr mit den mechanischen Mitteln zufrieden, hat
sie sich auch an dic Chemie gewandlt, und ihre Verbindung mit
derselben ist bereits von den tiberraschendslen Erfolgen gekrént
worden. Einer der schénsten und wichtigsten ist die Galvano-
plastik; sie ist gewissermassen die Daguerreotypie fir die pla-
stischen Kunstgebilde; denn auf rein chemischem Wege, ohne
dass das Urbild in irgend einer Weise angegriffen wiirde und
Schaden naihme, stellt sie musterhaft getreue und sorgfaltige
Kopieen desselben her. Das Eigenthiimliche dieser Kunstindu-
strie-Erzeugnisse ist bekanntlich, dass man durch die Wirkung
des galvanischen Apparates, ohne Guss oder Druck, ohne Ci-
selirung und die verwandten mechanischen Hilfsmittel anzu-
wenden, einen genauen Abdruck oder vielmehr Niederschlag
des Gypsmodelles in Metall erhalt. Welch hohe Ausbildung
dieser junge Industriezweig auch bei uns bereits erfahren hat,
	sahen wir in der Anstalt von F. L. Mohring an einem Haui-
90 *