Dewriches 4eitung fiir bildende Kunst und Baukunst. Organ der deutSchen Kunstvereine,. Unter Mitwirkung von Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Diisseldorf — Schnaase in Berlin — Schulz in Dresden — F6rster in Minchen — Bitelberger v. Edelberg in Wien 1501. ‚№ 91. redigirt von Ог. Е. Eggers in Berlin. sonnabend, den 24. Mai. Wechsel der Ansichten und Anschauungen des Menschen, auf das Innigste zusammen und die Kostimlehre muss somit als ein integrirender Theil der allgemeinen Geschichtswissenschaft be- trachtet werden. Als solcher aber wird ihr gerade fiir den akademischen Unterricht eine um so gréssere Wichtigkeit bei- zumessen sein, als dieselbe durchweg auf dem Boden der sinn- lichen Anschauung beruht und eben deshalb fir die Kimnstler stets einen grossen Reiz und eine grosse Verstandlichkeit ha- ben wird. Aber was so einerseits als erwiinschtes Hiilfsmittel zur Ver- anschaulichung bestimmlter Geschichtsperioden Werth hat, das wird andrerseits fiir das unmittelbare Schaffen des Kiinstlers, in sofern dasselbe historische Vorwiirfe betrifft, zu einer un- abweislichen Forderung. Denn der Kistler, dem eine be- stimmte historische Aufgabe gestellt ist, wird nicht etwa blos in den allgemeinen Zusténden und Bildungsverhaltnissen der Zeit, dem das darzustellende Faktum angehért, zu Hause sein mlissen, sondern ег muss —- da die Kunst ja das Leben in seiner vollen Wahrheit und Unmiltelbarkeit zur Anschauung bringen soll —- auch mit allen dessen kleinen Einzelheiten, mit den Eigenthtimlichkeiten von Tracht und Silte, mit dem gesamm- ten Habilus der Umgebung in Gerath und Haus und Hof még- lichst vertraut sein. Derohne lasst sich cben kein historisches Bild malen, und es stellt sich somit die Kenntniss alles dessen — wenn der Kiinstler nichts aufs Gerathewohl etwa die Dinge erfinden oder ins Blaue hinein entwerfen will — als eine noth- wendige Vorbedingung des kiinstlerischen Schaffens selbst dar. Das ist nun der praktische Werth derjenigen Wissenschaft, die wir als Kostimlehre bezcichnen und die dem Forscher, welcher den Interessen des praktischen Kinstlers zu dienen gewillt ist, noch Raum genug zu grosser und erfolgreicher Thatigkeit darbietet. Sie ist es, die wir durch Aufnahme in den akademischen Unterricht den praktischen Erfordernissen der Kunst dienstbar machen wollen und es scheint nach dem Gesagten nicht mehr schwer, die Art und Weise zu erkennen, wie jene Wissen- schaft dem akademischen Unterricht einzureihen und in wel- cher Methode sie dem Kinstler vorzulragen sei. Was den ersten Punkt betrifft, so scheint es rathlich hier an den Geschichtsunterricht als solchen und zwar in der Art anzuknipfen, dass, nachdem der Lehrer die geschichUiche Be- \rachtung eines bestimmlen Zeitabschniltes nach den oben an- gegebenen Gesichispunkten beendet hat, nun die Betrachtung 91 Der wissenschaftliche Unterricht auf Kunstakademieen. Уоп №. Erust Guhl. (Schluss } Hinem solchen Bediirfnisse nun in méglichst umfassender Weise Geniige zu leisten und dem Kiinsiler eine Masse unné- thiger ertédtender Arbeit zu ersparen, die er besser thut, dem frischen fréhlichen Schaffen zuzuwenden — das sollte meines Erachtens die dritte Aufgabe sein, welche die Methodik eines akademischen Geschichtsunterrichtes zu lésen hilte. Es ist dies aber auf die einfachste Weise dadurch zu er~ reichen, dass bei einem jeden, von dem Lehrer behandelten Zeitabschnitt, bei jedem in den Vortrag hineingezogenen fir kulturgeschichtliche oder kiinstlerische Darstellung bedeutsamen Ereignisse, die wichtigsten Quellenwerke angefiihrt werden, in denen der Kistler bei spater eintretenden Fallen selbststandig und ohne einen in der Regel ohnehin vergeblichen Zeit- und Arbeitsaufwand die specielleren Nachweisungen uber die ge- suchten Punkte aufzufinden im Stande sei. Eine — hei jedem akademischen Lehrer tiberhaupt voraus- zusetzende oder doch sehr wiinschenswerthe Vertrautheit mit dem kiinstlerischen Schaffen und den Bedingungen desselben wird dem Lehrer auch in diesem, wie in den beiden anderen Punkten das Maass anzugeben haben, nach welchem, je nach der Natur der vorliegenden Gegenstinde, die in dem bisherigen — wenn auch nur fluchtig — angedeutete Lehrmethode in Ап- wendung zu bringen sei. Soviel tuber die Methode des Geschichtsunterrichts als solchen. Nun haben wir schon oben als zweiten Gegenstand der vorgeschlagenen Erweilerung des wissenschaftlichen Unterrichts die Lehre vom Kostiim angegeben, und schon einmal, mehr beilaufig, darauf hingewiesen, wie dieselbe als Vehikel des ge- schichllichen Unterrichts behufs Veranschaulichung einzelner Zeilabschnitte zu benutzen sei. Denn in der That hangen die Veraénderungen des Kostiims —— das wir nicht ctwa blos auf die Kleidung beschranken, son- dern im weitesten Sinne auf die gesammle vom Menschen selbst geschaffene und mit dem Stempel seiner Ligenthiimlichkeit he~ zeichnete Umgebung desselben ausdehnen — mit der Geschichte, als dem Verlauf der Ercignisse und dem dadurch hedingten И, Jahrgang.