166
	scheint, etwas geringschalzig und vornehm auf Overbeck herab-
sehn, der nach ihrer Meinung sich auf einem tiberwundenen
Standpunkte befindet und seine mittelalterliche Richtung oder
seinen Nazarenismus unserer vorgeschrittenen Gegenwart auf-
dringen méchte, die fir die Gegenstinde seines Pinsels kein
Inleresse hegt. Leider ist diese letzte Angabe nicht unbegriindet,
doch trifft sie mehr die vom Glauben emancipirte und dem Hei-
ligen durch die Legion der Tagesgétzen entfremdete Zeit als
den Kistler in seiner freilich etwas vereinsamten Stellung.
Doch wird er immer der Anerkennung aller Kunstfreunde gewiss
sein dirfen, die, unbeirrt durch den herrschenden Geschmack
oder dic Stimmung der Zeit, sich auf die rechte Wiirdigung
des geisligen Gehalts in den Dingen verstehn.

Overbeck’s grosses Bild im Stadelschen Museum, wie man
auch dariiber denken mége, wird immer eine der merkwirdig-
sten Kunsterscheinungen unserer Tage bleiben. Der Meister
hat sich darin nicht: bloss als religidsen und selbst als theo-
logischen Maler, sondern sogar als dogmatisirenden Lehrer der
Geschichte der Kunst gezeigt und seine orthodoxe Doctrin durch
den Pinsel zur Anschauung gebracht. Er hat sein feierliches
Glaubensbekenntniss gemalt und zugleich seinen entschiedenen
Protest gegen alle Richtungen der Kunst, die ihm mehr oder
weniger verwerflich scheinen und diese seine Ansichlen selbst
in einer eigenen kleinen Druckschrift zur Auslegung des Bildes
veréffentlicht. Damit hat er aber auch die Polemik herausge-
fordert, welche der Bewunderung seines Werkes gleich von
Anfang an die Wage hielt. Es ist uns noch in frischem Ge-
dachtniss, wie dieses Bild, als es Overbeck 1840 in Roth nach
siebenjahriger Arbeit ausstelite, dort eine freudige Bewegung
der ganzen Bevélkerung und einen Zudrang hervorrief, dem
sogar durch Grenadiere gesteuert werden musste, und wie es
	- dort von den ersten Autoritéten als das vorzugiichste der neveren
	Staffeleigemalde, ja selbst ftr die bedeutendste. Erscheinung
nach der Disputa Raphael’s erklart wurde. Aber wir erinnern
uns auch aller Gegenstiirme der Kritik, welche das Bild bei
der Ankunft an seinem Bestimmungsorte empfingen, wo es mit
de Keyser’s grossem Gemalde der Schlacht von Worringen zu-
sammentraf und das Publikum in zwei feindliche Lager schied.
Allerdings imponirte de Keyser’s Bild durch noch отбз5еге Di-
mensionen der Leinwand, durch Farbenglanz und wohlberech-
nete Effekte, wahrend das Werk Overbeck’s mit seinem tiefen
Ernste und der feierlichen Haltung seiner Figuren einen Ge-
dankenreichthum umschliesst, der sich nur allmahlich offenbart
und dem unkundigen Beschauer ganz verborgen oder unver-
stindlich bleibt. Es ist ein erhabenes Epos gegeniiber der blen-
denden Episode des beligischen Malers, cine grossartige Sym-
phonie neben einem musikalischen Effektsttick im neuesten Style
betaubender Instrumentation. Overbeck wollte die Entwickelung
der christlichen Kunst unter dem Einfluss géttlicher und mensch-
licher Krafte darstellen und so schuf er sein tiefempfundenes,
gedankenreiches Bild, von dem uns verstaltet sei, noch cinmal

in aller Kiirze den Inhalt anzugeben, auch um schon von vorn
herein und in Hinsicht auf den Umfang das Unternehmen des

Kupferstechers als ein ausserordentliches zu bezeichnen.
	Der obere Theil des Bildes, gleichsam eine den unten versam-
melten Kinsilern vorschwebende Vision darstellend, zeigt uns die
himmlischen Urgegenstande der christlichen Kunst in einer Zusammen-
stellung von Figuren, deren altherkémmlicher Typus an klassische Vor-
bilder, wie tiberhaupt die ganze Composition an Raphael s Disputa er-
innert. In der Milte thront mit dem Jesuskinde die h. Jungfrau, ih-
ren Lobgesang niederschreibend, wodurch die Poesie als der Miltel-
punkt aller Kitnste bezeichnet wird. Ihr zu beiden Seiten befinden
sich die Heiligen des alten und neuen Bundes, welche Beziehungen
unter einander, zur Kirche Christi und zu den Kiinsten haben, von
	friihen Verlust bleibt es erhebend, dass es inm vergonnt ge-
wesen, seinen friiheren Werken durch dies letzte gleichsam die
Krone aufzusetzen und zu vielen im Leben errungenen Kranzen
noch den schonsten Lorbeer zu gewinnen, der freilich nicht
mehr seine Stirne, sondern nur sein Grab zu schmiicken be-
stimml war.

Ehe wir den trefflichen Kupferstich naher betrachten, sei
es vergénnt, zuvor noch einen Blick auf das Gemilde Over-
beck’s zu werfen und von neuem auf die Bedeutung desselben
und seines Meisters hinzuweisen, die jelat hiufig verkannt wird.
Ohne Uebertreibung darf man es wohl als eine der edelsten
Hervorbringungen deutscher Kunst bezeichnen, zu deren Wie-
dergeburt Overbeck so kraftig mitgewirkt hat. Wir miissen es
dem vergesslichen Geschlecht ins Gedachtniss zuriickrufen, dass
Overbeck es war, der im Verein mit einigen gleichgesinnten
und hochbegabten Freunden die Kunst von dem Banne des leeren
Scheinwesens, der prunkenden Acusserlichkeit und eitlen Effekt-
sucherei befreien half und das, was seine Vorganger Carstens,
Wachter und Schick nur angestrebt hatten, zur Verwirk-
lichung und Anerkennung durchfiihrte. Geistlosem und manie~-
rirtem Eklekticismus gegentiber schlug er wieder die Wege
der Natur und Wahrheit ein und begab sich in die Schule der
alten vor-raphaelischen Meister, um hier an der Quelle zu
schépfen und sich anzueignen, was eben in dieser Schule die
grossen Maler des sechszehnten Jahrhunderts so gross gemacht
hatte. In diese Schule brachte er jedoch schon mit, was die-
selbe vorzugsweise charakterisirt, namlich kindlichfrommen Sinn,
reines, liebevolles Gemiith und Tiefe des religidsen Gefihis;
aber in ihr und unter dem Einflusse einer seltenen Geistesbil-
dung entwickelte sich auch sein kiinstlerisches Genie und erhob
sich tiber die Mangel der Schule, wenn auch jugendliche Pietat
dieselben anfinglich nachahmte, sehr bald durch meisterhafte
Zeichnung, grossartige Composition und vollendete Schénheit
der Formen, welche im Ausdruck des feierlichen Ernstes oder
der holdseligen Anmuth untibertrefflich sind. Seit jener Zeit
hat Overbeck mit unerschépflicher Productivitaéé eine zahllose
Reihe von Kunstwerken in Staffeleigemilden, Fresken und na-
mentlich Zeichnungen geschaffen, welche ausser den vielen im
Privatbesitz befindlichen durch Kupferstich und Lithographie ver-
breitet sind und deren neueste, vorztglich die vortrefflichen
evangelischen Darstellungen siegreich beweisen, dass der jetzt
in das Greisenalter eingetretene Meister nicht nur nichts von
seiner kinstlerischen Begabung eingebiisst hat, sondern diese
wo moglich noch reicher und lebendiger entfaltet. Um nur ап
einige seiner friiheren grossen Compositionen zu erinnern, ег-
wahnen wir hier seine berihmten Fresken aus der Geschichte
Joseph’s in den Bartholdyschen Zimmern, an die Fresken in
der Villa Massimi aus Tasso’s befreitem Jerusalem, an die In-
dulgenz des h. Franciscus von Assisi in der Kirche Santa Maria
degli Angeli, an die spaéter gemalten Apostel in der Villa Tor-
lonia, vieler grosser Staffeleigemilde nicht zu gedenken. Wah-
rend seine Freunde die Aufgaben fir ihre grossen Werke den
heiligen Ueberlieferungen, der Geschichte und Mythologie ent-
nahmen, ist er vorzugsweise der Maler der Religion geblieben,
die den innersten Kern seines ganzen Wesens bildet und in der
Form des katholischen Glaubensbekenntnisses sein Denken und
Dichten ausfillt. Was er malt, das ist nur ein Ausfluss seiner
wahrhaft gotlerfiillten Seele, ein Abdruck seines kirchenglau-
bigen Geistes und eben dieses unterscheidet ihn von vielen so
genannten religiésen Malern unserer Zeit, in deren Werken
Frémmigkeit und Naivetat sich leicht als conventionelle und an-
gekiinstelte Ingredienzen verrathen. Dics ist auch der Grund,
warum viele Kritiker, denen alles Religiése in der Kunst an-
tiquirt, verfalscht oder wenigstens nicht mehr zeitgemass er-