denen die Sculptur durch Salomo mit dem Modell des ehernen Meeres,
die Musik durch David, die Malerei durch den Evangelisten Lucas und
die Architektur durch Johannes mit dem Grundrisse des. himmlischen
Jerusalems reprasentirt wird. Unten auf Erden sehen wir die Meister
der religidsen Kunst versammelt und zwar mit demselben poetischen
Anachronismus, der in der Schule von Athen und in der Disputa gel-
tend gemacht ist. In ihrer Mitte befindet sich ein Springbrunuen, der
die himmelanstrebende Richtung der christlichen Kunst andeutet und
seine Wasserstrahlen in zwei Becken ergiesst, von denen das obere
den Wiederschein des Himmels enthalt, wahrend des untere die irdi-
schen Gegenstinde abspiegelt. So ist die ideale und die mehr mate-
rielle Richtung der Kunst bezeichnet, als deren vorzitglichste Vertreter
L. da Vinci mit seinen Schilern um das obere Becken, hingegen um
das untere zur Beschauung irdischer Schénheit und ihres Farbenschmuckes
die Venezianer Bellini, Tizian u. A. gestellt sind. Zur Rechten des
Brunnens lauschen den begeisternden Gesangen Dante s die Maler Tos-
canas und Umbriens, vor welchen Raphael’s edle Gestalt sich bedeu-
tungsvoll erhebt, wahrend Michelangelo, in tiefes Sinnen versunken,
mehr seitwarts auf zerbrochenen Sculpturen neben L. Signorelli sitzt.
Links zeigen sich in freundlicher Vereinigung mit den italienischen auch
die deutschen und niederlandischen Meister, zunachst die durch gleiche
Uebung von Malerei und Kupferstecherkunst verwandten, L. v. Leyden,
Mantegna, Direr, M, Anton, dann Fiesole in herzlicher Begrissung
der Briider Eyk nebst Anderen, und auf den Stufen der Brunnenter-
rasse zwei sitzende Klostergeistliche, vertieft in die Betrachtung von
Miniaturen, um auch auf diesen, vorziglich in den Kléstern gepflegten
Kunstzweig hinzuweisen. Den Vordergrund nehmen die Vertreter der
Sculptur und Architektur ein. Auf der einen Seite ist Nicolo Pisano
(dem Archimedes ahnlich) beschaftigt, einer Gruppe von Jinglingen
die Basreliefs eines altchristlichen Sarkophags zu erklaren, wodurch,
wie durch eine auf den Boden hingestreckte zertrimmerte Statue, das
Emporblihen der christlichen aus der antiken Kunst bezeichnet ist.
Daneben stehen im Gesprache die Meister der Bildhauerei L. della Rob-
bia, Ghiberti und P. Vischer. Auf der anderen Seite ist eine Gruppe,
theils auf Saulentrammern sitzender, theils knieender Jiinglinge um einen
alten Architekten versammelt, der ihnen aus der Zeichnung einer Ba-
silika den Ursprung und Fortgang der christlichen Kirchenbaukunst er-
klart. Sehr sinnig hat der Maler in den Gestalten der Jinglinge, un-
ter welchen auch ein Sarazene sich befindet, das Nationale des Ita-
lieners, Franzosen, Spaniers und Englanders ausgedriickt, um an die
Entwickelung des romanischen und maurischen Baustyls und die gros-
sen Bauwerke bei diesen Vélkern zu erinnern. Als Reprasentant der
deutschen Baukunst steht, erhaben hinter den zur Erde gebiickten Be-
schauern der Basilika, Erwin von Steinbach mit dem Aufriss eines go-
thischen Miinsters, auf welchen Brunelleschi priifende Blicke wirft, wah-
rend mehr riickwarts Bramante sich mit deutschen Baumeistern bespricht.
Endlich sehen wir zu beiden Seiten des Vordergrundes auch Staat und
Kirche als kunstbeschitzende Gewalten personificirt, neben den Bildhauern
die prachtige Gestalt eines Kaisers mit einem stattlichen Begleiter (Symbol
des Volkes), und neben den Architekten einen Pabst, an dessen Seite
ein Bischof die Gemeine reprasentirt. Der Pabst, in dessen Hand ein
Blatt mit Musiknoten an den erhabenen Kirchengesang erinnert oder
vielleicht gar sich auf die Architektur als versteinerte Musik hezieht,
drackt in seiner ganzen Hallung die religidse Begeisterung, wie der
Kaiser Milde und Gerechtigkeit aus. Im Hintergrunde zeigt sich auf
der Seite der Architekten ein angefangener Kirchenbau, auf der ent-
gegengesetzten, hinter den um Dante versammelten Kinstlern, cine
Aussicht in die freie schéne Natur. Wir wollen nicht itbersehen, dass
hinter Dante der Meister auch sein eigenes und das Bild seiner Freunde
Cornelius und Veit angebracht hat.
	first wenn man mit der Idee und Topographie des Bildes
einigermassen vertraut ist, enthtillen sich allmahlich die ausser-
ordentlichen Schonheiten desselben. Trotz der grossen Anzahl
Figuren (man zahlt 104) ist in der tiefdurchdachten Composition
alles iibersichtlich und Klar geordnet. Nirgend zeigt sich Hau-
fung oder Verworrenheit, sondern iiberall die grdésste Bestimmt-
heit und Rundung der frei bewegten und natislich gruppirten
Gestalten. Durchgangig erblicken wir edle und reine Formen,
	Wahrheit und Tiefe des Ausdrucks, grossartigen Styl in Ge-
wandern und Faltenwurf, und mit Befriedigung weilt das Auge
auf den Gegenstinden, wie sie in der vollkommensten Luft-
und Linienperspective sich nah und fern, aber immer klar und
deutlich, darstellen. Der erhabenen Stimmung, welche dieses
Bild hervorruft, wird auch der ehrliche Kritiker sich nicht ent-
ziehen kénnen und dem Werke Overbeck’s seine Bewunderung
zollen miissen, wenn er auch die Dogmen des Kimsilers nicht
Шей.

Soll ein Kupferstich wahrhaft seinem Originale entsprechen,
50 muss zwischen Maler und Stecher diejenige geistige Ver-
wandschaft stalifinden, wie sie uns hier so wunderbar entge-
gentritt. Nur ein Mann, der seine Kunst so aufgefasst hatte
und ausiibte wie Amsler, konnte uns Overbeck’s Gemilde und
dessen tiefe Innerlichkeit wiedergeben, dasselbe gleichsam nach-
schaffen. Amsler hatte in dem Vorgange der beriihmten alten
Meister seines Faches schon frih erkannt, dass nicht die Bra-
vour des Grabstichels, nicht das Glanzende und Gefallige der
Technik, sondern die Treue der Auffassung, das liebevolle Ein-
dringen in den Geist des Vorbildes, die Haltung und der Vor-
trag den wahren Werth des Stiches begriinden. Wahrend die
gefeiertesten Kupferstecher unserer Zeit haufig ihr Original
durch sinnlichen Reiz zu tberbieten und durch Streben nach
Farbenausdruck dem Auge zu schmeicheln suchen, wollte Amsler,
stets sich innerhalb der Granzen seiner Kunst haltend, im Ge-
miithe des Beschauers tiefere Saiten anschlagen und eine ernst-
heitere, nachhaltige Stimmung hervorrufen. Diese ее Rich~
tung seiner Kunst spricht sich in einer Reihe trefflicher Blatter
aus, die alle nur nach klassischen Meistern, sowohl der Malerei,
als der Plastik, gearbeitet sind. Wir wollen hier nur an seine
Arbeiten nach Raphael erinnern, an die zart und anspruchslos
gestochene, aber mit der Innigkeit des Originals wiedergege~
bene Madonna Comnestabile, an das seelenvolle Blatt der Grab-
legung mit ihrer Predella aus der Villa Borghese, an die h.
Familie (Canigiani) und die Madonna Tempi in Miinchen, an das
herrliche Titelblatt zu den Nibelungen von Cornelius, an den
Stich des Alexanderzuges von Thorwaldsen, des h. Georg, Mo-
zart, Goethe von Schwanthaler u.s.w. Solche Arbeiten hatte
er seinem letzten grossen Werke vorangehen lassen und auch
dieses durch eine Radirung der Handzeichnung Overbeck’s nach
dem ersten Entwurfe zu dem beriihmten Bilde gleichsam ein~
geleitet und angekiindigt. Das jetzt vollendet vor uns liegende
grosse Blatt zeigt alle Vorziige der Amslerschen Stechweise in
der schénsten Vereinigung und Vollendung. Er hat fir dasselbe
einen Vortrag gewahlt, der bei aller Hervorhebung des Plasti-
schen doch das Malerische nicht ganz ausschliesst, also nicht
ganz Kartonstich genannt werden kann, da er uns deutlich er-
kennen lasst, dass die Platte nicht nach einer Zeichnung, son-
dern nach einem Gemilde gestochen ist, wiewohl Overbeck’s
Farbengebung, hierin den Meistern der umbrischen Schule fol-
gend, sich nie zu einer ausschliesslichen Wirkung anf Kosten
der Zeichnung zu erheben sucht. Gehen wir zur Betrachtung
des Einzelnen tiber, so erregt die durchgangig liebevolle Be-
handlung, das klare Verstandniss und das zarte Eingehn in jedes
Detail unsere volle Bewunderung. Es ist ein wahrer Genuss,
der Hand des Kiinstlers bis zu den zartesten, engsten Strich-
lagen, bis zu den feinsten Biegungen der Linien zu folgen und
jeden noch so kleinen Gegenstand klar und verstandlich dem
Blicke dargeboten zu sehn. Nirgend eine Spur von Manier,
Kiinstelei oder Streben nach Effekt, sondern tberall einfache,
lautere Wahrheit, tnnigster Anschluss an das Vorbild und gleich
sorgfaltige und fleissige Behandlung auch des Kleinsten und
Geringsten, wodurch die Verschiedenheit der Strichlagen natur-
gemiss bedingt und immer die rechte Wirkung erzeugt wird.