Etwas rasch ist der Uebergang von diesen Portraits zu de-
nen des Baron de Schwiter, der von seinem Aufenthalt in
London in den Jahren 1848 und 49 die Abbildungen des Dom
Miguel von Braganza, des Generals Don Ramon Cabrera und
einiger englischen Ladies und Gentlemen mitgebracht hat. Ge-
wandt in der Behandlung und glinzend im Vortrag, nach Art
der englischen Portraitmaler, hat unser Kistler von diesen
aber auch die etwas iibertriebene, falsche und schillernde Far-
hung sich angeeignet. — In dieselbe Categorie gehdrt Fr. E.
Lansac, der sieben Bildnisse aus der vornehmen Welt аиз-
gestellt hat, darunter auch den Prinzen Louis Napoléon zu
Pferde, in Lebensgrésse. Es fehlt diesen Portraits, ausser einer
fertigen Pinselfiihrung, an jeder anderen Eigenschaft.
	Lariviére, der bekannte Historienmaler, hat unter апае-
ren Portraits das des Banquiers und Ministers A. Fould; der
	amerixanische Kiinstler Healy hat das des Kénigs Louis Phi-
lipp, des verstorbenen amerikanischen Staatsmannes John С.
Calhoun und sechs andere Bildnisse eingesandt.

Die Leser dieses unseres Kunstberichtes werden vielleicht
zum Theil den Mangel einer strengen Classilicirung und das
	паиное Ueberspringen von einer Gattung in die andere tadelnd
vermerkt haben. Dieser Uebelsiand ist dem Verfasser selbst
	am wenigsten enigangen; wer sich aber nur einigermaassen die
herkulische Arbeit vergegenwartigen mag, eine so uniiberseh-
bare Zahl von Gemalden (3200) gehérig zu sichten, zu ordnen
und einzutheilen, der wird auch die fast unvermeidliche Ver-
wirrung gern entschuldigen. Zweierlei Griinde besonders sind
es, die uns 2. B. bei Besprechung der historischen Bilder hiufig
verleitet haben, in’s Gebiet des Genre tiberzustreifen, ein in-
nerer und ein dusserer. Der innere Grund besteht in der ern-
sten Schwierigkeit, bei der endlosen Mannigfaltigkeit der ver-
schiedenartigsten Stoffe und Darstellungsweisen und der un-
merklichen Uebergange einen allgemein giilligen, logischen Ein-
theilungsgrund zu finden und eine Grenzlinie zu ziehen zwischen
historischer Malerei und Genre: in dieser Verlegenheit lasst
man sich nicht selten und gleichsam unwillktirlich von der Grosse
der Leinwand bestimmen, so dass die Frage sich nach Quadrat-
Fussen und Zollen entscheidet. Der dussere Grund aber liegt
in dem Uebelstand und der Unbequemlichkeii, der Eintheilung
in Gattungen zu Liebe, Bilder eines und desselben Meisters
auseinanderzureissen und so zwei- oder mehremale auf den-
selben Namen zuriickzukommen. So mag es denn auch umge-
kehrt kommen, dass bei den Genrebildern, die wir jetzt in’s
Auge fassen wollen, wieder manches mitunterliuft, was ein
strenger Theoretiker fiir historisch erklaren wirde, oder was
im Sinne des Kiinstlers dieses auszeichnende Pradikat verdiente.
Dazu kommt auch noch, dass ein und das andere geschicht-
liche Bild von Werth, das bishecr unbeachtet geblieben und erst
bei der kirzlich vorgenommenen Umstellung ) zum Vorschein
gekommen ist, eine Wiirdigung oder zum mindesten eine kurze
Erwahnung beansprucht, was uns denn auch zu einigen Wie-
derholungen verleiten wird.
Wir holen also nach:

Charles Landelle’s vier Portraits, seine ,,heil. Veronika“,
seine ,, Maureske“ und sein ,,Antiquar“. Dieser junge Kinstler,
obwohl von beschrankjer Erfindungsgabe, gehért zu den her-
vorragendsten Talenten der neuen Schule. Sein grésster und
populdrer Triumph waren die 1846 unter dem Titel: ,,Heute“
und ,,Morgen“ ausgestellten zwei Seitenstiicke, worin er die
	1) Der hiesige Salon wird in der Regel nach den ersten vier bis finf
Wochen auf acht Tage lang geschlossen, um mit méglichster Bericksichti-
gung der hdufig eingehenden Vorstellungen und Reklamationen, den beson-
	ders ungunstig aufgehangten Bildern cine vortheilhaftere und angemessenere
Beleuchtung zu Theil werden 2u lassen.
	Gegenwart der glanzend geschmiickten, sorglosen, im Genusse
schwelgenden Buhlerin, und die Kehrseite des Bildes, das jam-
merliche Loos der Verlassenen, mit etwas grellen Farben (ich
spreche von der moralischen Auffassung), doch mit verfihre-
rischem Reiz auf der einen, mit rithrendem Pathos auf der an-
deren Seite, und mit grosser Gewandtheit der Ausfiihrung dar-
stellte. Dieses Jahr steht seine heil. Veronika mit dem Schweiss-
tuche obenan, wobei ihm in der Gesichtsbildung und im me-
lancholischen Ausdruck Henry Scheffer vorgeschwebt hat. Seine
diistere und, wie man es bezeichnen kénnte, puritanische Far-
bung aber hat er dem Letzteren gliicklicherweise nicht entlehnt.
Rein und dabei kraftig und ausdrucksvoll ist seine Zeichnung ;
clait und doch reich seine Pinselfihrung; zierlich und beste-
	chend seine Behandlung. Dieselben Eigenschaften zeichnen
seine tbrigen Bilder, besonders sein maurisches Madchen aus.
	Henry Scheffer hat, ausser seinen sechs Portraits, einen
» Christusknaben“ eingesandt, der in der Ausfihrung allerdings
einen Meister verraéth, jedoch im Charakter verfehlt und schwach
in der Farbung ist.

Léon Riesener, der als Colorist eine sehr bedeutende
Stelle einnimmt, hat ausser einer grossen Zahl (14) von Bild~
nissen, darunter freilich sehr wenig gelungene, eine Art Genre-
bild mil lebensgrossen Figuren, ,, Schafer und Schaferin“, aus-
gestellt. Dieses Bild ist, bei der gréssten Wahrheit in der
Auffassung, von seltener Tichtigkeit und Gediegenheit der Be-
handlung und gehért zu den hervorragendsten Erscheinungen
der naturalistischen Richtung. Die Farbung, von grosser Kraft
und Frische, hat doch auch zum Theil etwas Auffallendes: so
ist die junge Schaferin von rosig-blauen Reflexen ganz tiber-
gossen.

S. de Malval, aus Lyon, hat den ,,Tod des Malers Luis
de Vargas“ dargestellt, den sein alter Diener im Sarge liegend
findet, welchen er sich zum Voraus bestellt und in den er sich,
als er sein Ende herannahen fihlte, gelegt hatte. Todt vor
Schrecken, sinkt der greise Diener neben dem Leichnam sei-
nes Herrn hin. In lebensgrossen Verhaltnissen ist dieser Ge-
genstand mit sehr gewissenhafter Zeichnung und in einer treff-
lichen, wahren und schlichten Weise ausgefihrt, einfach und
fern von allem System, — eine nicht genug zu schatzende
Eigenschaft. Aehnliche Vorziige und eine sehr kraftige Aus-
fihrung, die in ihrer Derbheit nur die Gefahr der Hingebung
an einen einseitigen Naturalismus in sich schliesst, zeichnen die
sieben Bilder Alex. Antigna’s und besonders seine Scene einer
» Feuersbrunst“ — eine durch die hereindringenden Flammen
in ihrer Stube grasslich tiberraschte arme Familie, — mit le-
bensgrossen Figuren, aus.

Ein ungewéhnliches Talent bekunden die mit grosser Mei-
sterschaft und kraftiger Wirkung, vom Studium des Ribera und
Alonzo Cano eingegebenen zwei grossen Bilder des Ignacio
Merino, den ,,Apostel von Peru“ und den ,,heil. Franziskus
Solano“ vorstellend, ebenso die beiden kleineren, darin dieser,
wahrscheinlich peruvianische Ktinstler Frauen ven Lima (Peru)
in ihrem festlichen Puize, so wie in der Alltagstracht uns vorfiihrt.

Eigenthimliche Vorstellungen, allegorisch-idyllischer Art,
gaben uns zwei junge Kiinstler, H. Picou und B. Masson,
unter dem Titel: ,,An die Natur“ und ,,die Blumen“, ersteres
mit fast lebensgrossen Figuren, leizteres in noch weit grésserem
Maassstabe. Unter ,,Blumen“ versteht Masson eine Schaar blii-
hender Madchen, die sich auf einer blumenreichen Wiese, aim
Saume eines Gehdlzes ergehen und eine Pansherme im heitern
Spiele bekrinzen. Das Bild ist eine Nachahmung Chassérian’s,
nicht ohne Manier. Ein bedeutenderes Talent ist H. Picou, aus
der Ingres’schen Schule hervorgegangen und Gérome verwandt;
durch ernste Studien gebildet, von gelautertem Geschmack und

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