stehenden Anwesenden, wie ungemein lebendig sind sie, ob- wohl nur durch leichte Umrisse, geschildert! Mit welchem Ver- standniss endlich sind die Gewandmotive der Christusfigur an- gedeutet und wie ausdrucksvoll ist diese in der Bewegung. Alles an dem kleinen Bilde ist voll cigenthiimlicher Natirlichkeit. Ich kann nicht anders vermuthen, als dass Herr Kritiger sehr treu copirt habe. Die zweite Tafel liefert den ,Siindenfall* aus der lateini- schen Foliobibel, Lyon 1538. Des Vergleichs wegen mit an- dern Darstellungen desselben Gegenstandes von desselben Mei- sters Hand ist diese Miltheilung sehr interessant. Sonst gefallen uns andere dergleichen besser, z. B. Blatt 2 in den Todtenbildern. Doch: — dies Blatt ist selten, es findet sich nur in den so~ genannten Probedrucken jener Bilderbibel und der Originalstock ist frih abhanden gekommen. Es werden also Diejenigen mit dieser Copie zufrieden sein, welche die Auswahl gern den seltensten Blaittern zugewendet sehen. Mein verehrter Freund, der Herausgeber, schreibt mir: ,Ich hére von manchen Seiten, dass ich nur seltenste Blatter soll kopiren lassen; man bedenkt aber nicht, dass es der Geist des gesammten Holzschnittwesens ist, den ich vorzufiihren beabsichtige. Nicht bloss Seltenstes, sondern auch Schénes und besonders Charakteristisches dieses oder jenes Meisters, vorztiglich aber auch, was Geistvolles der Art in Bichern steckt, glaub’ ich geben zu miissen.“ Eine solche Erfassung der Aufgabe ist anerkennenswerth und wird gewiss auch einen grésseren Kreis von Interessenten fiir sich haben. In dem vorliegenden Hefte ist Weigel nicht erfolglos gewesen in dem Streben, beide Theile zu befriedigen. Es durften also in demselben vor Allem auch keine Proben aus den unsterblichen Todtenténzen des Meisters fehlen. Aus dem grésseren wiahlte W. den ,Kramer.“ Die von H. Lédel in Géitingen gefertigte Copie, welche wir hier im Ab- drucke mittheilen, tbertrifft bei weitem alle bisher vorgekom- menen, die von Schlotthauer mit dem gréssten Fleisse nachge- zeichneten nicht ausgenommen. Die Gewalt des Ausdrucks in dem Kopf und der ganzen Kérperbewegung des Skeletts, die Formklarheit eines jeden Muskels des Korpers, einer jeden Falte des Gewandes bei dem Manne, das innere Leben in Kopf, Hand, Haltung, Alles verraith den Meister, dessen Zeichnung in dieser Nachbildung mit einer seltenen Scharfe, Reinheit und Treue wiedergegeben ist. Die vierte Tafel enthalt zwei Blatter aus dem Todtentanz- und Bauernalphabete. Dieselben sind aus dem griechischen Galen (Basel 1538. fol.) genommen, da der Herausgeber nur diese und die in andern Basler Drucken vorkommenden Blalter fiir Originale halt. Unsere Leser werden sich erinnern, dass Herr Lédel in Géttingen im Jahre 1849 die ganze Folge dieses Alphabets nach dem unter Lutzelburger’s Namen im Dresd- ner Kupferstichkabinet befindlichen Foliobogen sehr vortrefflich geschnitten hat ). Somit ist hier ein Vergleich mit dem ersten Blattchen, welches die Spieler darstellt, méglich. Da muss man nun sagen, dass — die Bravour der beiderseitigen Holzschnei- der aus dem Spiel gelassen — das X des Dresdner Kabinets ungleich schwacher ist, als das im Galen, vor Allem in der Pragnanz des Ausdrucks der Képfe, die sogar einen ganz an- dern Charakter haben, besonders was den Tod und den Spieler links anbetrifft. Der Tod, der im Galen elwas Hydnenhaftes, Wildschnappendes im Ausdruck hat, zeigt bei dem Dresdner Blalt nur ein Exekulorgesicht. Des Spielers Ztige im Galen sind schmerzdurchzuckt, er fihlt sich plétzlich vom Unerbill~ lichen unentrinnbar gepackt; der Spieler auf dem Dresdner Bilde scheint sich nur fir einen Augenblick selber zu unter- brechen, wie etwa um sich vom Schenken noch ein Seidel zu fordern. Der andere Spieler (der Soldat) sieht dort lasterhaft, hier nur gulmiithig aus. Aus Bauernalphabeten sind zwei Proben gegeben, der Buch- stabe T aus dem Galen und auf der folgenden (finften) Tafel der Buchstabe L aus dem Folioblatte mit Liitzelburger’s Namen oder Adresse im kénigl. Kupferstichkabinet zu Dresden, um zu zeigen, dass diese Darstellungen ganz verschieden sind. In der That sind die Litzelburger’schen kleiner im Format und nihern sich in der Technik sehr dem Spieler aus dem Galen, wahrend die Bauern aus demselhen, obgleich den Vorrang be- hauptend, doch der geringeren Technik niher kommen, die wir an der Probe aus dem Kinderalphabet vom Folioblatte be- merken, womit dieses Heft schliesst, dessen Alphabcischnitte in Hugo Burkner’s Anstalt zu Dresden ausgefihrt sind. (Schluss folgt.) EF. Eggers. Qéunstiiteratur. Die Ногпатпа. Ет Monolog von Frans Kugler. Stuttgart, Verlag von Kbner u, Seubert. 1851. Pr.: 5 Sgr. Wo sich die Geschichte der wissenschaftlichen Forschung gegentiber mit einem verhillenden Schleier umgiebt, ist es der Poesie gestattet in freier selbstschépferischer Weise vorzudrin- gen. Ihr ist es erlaubt den Schleier ‘zu liften und mit der Phantasie das za erganzen, was schweigend zu tbergehen der Geschichtsforschung zur Pflicht gereicht. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, bietet das unter obigem Titel erschienene Gedicht, immerhin einen Beitrag der kiinstlerischen Auffassungsweise des grossen Meisters, der, durch die innige Verschmelzung der sinnlich schénen Form mit der edlen Erhabenheit der Seele, in seinen Werken das Héch- ste in der Kunst geleistet hat. — Ein inniges Verhaliniss Ra- phaels zur Fornarina, der er bis zu seinem Ende in Liebe ge- dachte, ist wohl nicht zu leugnen, wenngleich die in Dunkel gehiillte Geschichte des Weibes zu manchen statt- und unstatt- haften Vermuthungen Veranlassung gegeben hat. Dass jedoch ein solches Verhiltniss, bei einem so fein und edel empfinden- den Geiste, wie der eines Raphael, nicht rein sinnlicher Natur gewesen sein kann, dafiir legen seine hohen Schépfungen, die 1) Hans Holbeins Initial-Buchstaben mit dem Todtentanz. Nach H. Lutzelburgers Original -Holzschnitten im Dresdner Kabinct zum ersten Mal treu copirt yon Heinrich Lodel, mit erliuternden Denkversen etc. vy. A. El- lissen. Gottingen. Dietrich. 1849. — auch alle 24 Bl. auf Chines. Papier auf 1 Foliobogen abgedruckt, ferner in Abklatschen mit Randbildern von Oster- wald, als Buch mit dem Titel: Holbenii pictoris alphabetum mortis etc. Céln 1849. 8. Siehe dariber Dérer-Jahrgang No. 10.